Kleiner Tod im Großen Garten. Bodo Dringenberg
alle bisherigen Richtungen. Gründe für einen Mord oder Totschlag, eventuell für einen Raubmord, gibt es bei unseren drei Kandidaten bestimmt.«
»Sie waren vorgestern Nacht im Großen Garten und haben ihn dann fluchtartig, quer durch die Graft hindurch, verlassen. Erklären Sie mir das bitte.«
Die groß gewachsene Frau, Anfang dreißig, schüttelt leicht ihr langes blondes Haar und fragt frostig: »Moment mal, bitte. Können Sie mir sagen, was das soll?«
Die Hauptkommissarin bleibt von der kühlen Reaktion der Galeristin unbeeindruckt. »Sie sind von zwei Zeugen kurz vor Ausbruch des Unwetters gesehen worden. Möchten Sie, dass von Ihnen ein genetischer Fingerabdruck genommen wird? Möchten Sie, dass wir den mit den Spuren im Intimbereich des Toten vergleichen? Oder kommen Sie lieber gleich ins Erzählen?«
»Oh, Scheiße! Nein, nein.« Die blau gekleidete Frau beißt sich auf die Unterlippe. »Entschuldigung. Es ist so schrecklich. Ich hab’s gewusst, der Albtraum hört nicht auf. Bitte warten Sie einen Augenblick, ich schließe nur kurz die Eingangstür.«
Sie sei halt von Kunst fasziniert und besonders schätze sie Niki de Saint Phalle, die sie als wunderbar ästhetische Erotomanin geradezu verehre. Und den im Großen Garten Verstorbenen habe sie gekannt, ja. Dieser reife Politiker sei öfter bei Vernissagen und offensichtlich sehr kunstinteressiert gewesen. Er habe ihr schon öfter Avancen gemacht und ihr nun – dank seiner Beziehungen – eine exklusive Nacht in der Niki-de-Saint-Phalle-Grotte versprochen. »Im blauen Raum wie die Tiefe des Himmels und der See«, das müsse doch der Höhepunkt ihrer künstlerisch-erotischen Biografie sein. Erst habe sie diesen Vorschlag albern und zu riskant gefunden, dann aber doch zunehmend Geschmack an ihm gewonnen und schließlich zugestimmt. Ihr sei es dabei mehr um Kunst und Erotik als um schlichten Sex gegangen.
»Verstehen Sie, es geht um Entgrenzung, darum, dem Gemeinen und Banalen zu entrinnen. Vielleicht gelingt ja eine erotisch-künstlerisch perfekte Verkörperung von weiblich und männlich in einer feminin bergenden Höhle.«
Die Hauptkommissarin muss sich anstrengen, dass ihre Gesichtszüge nicht tiefe Zweifel an dieser Erzählung verraten.
»Fly like a bird und discover eternity«, habe er ihr zugeraunt, als sie sich in den Großen Garten schlichen. »Flieg wie ein Vogel und entdecke die Ewigkeit.«
»Na, das hat zumindest er ja getan!«, wirft die Kriminalbeamtin ein. Sie betrachtet die plötzlich verlegene junge Frau, die so gar nichts hat von den prachtvollen Rundungen und üppigen Farbgebungen der Künstlerin. Eher kühl und beherrscht wirkt sie, trotz voller Lippen und ausdrucksvoller grüner Augen. Die scharfe, sichelmondförmige Einkerbung um den rechten Mundwinkel herum signalisiert eine Spur von Härte und Verbitterung.
Sie hätten in seinem geräumigen Audi bei einer Magnumflasche Champagner auf die Nacht gewartet und über die Niederungen des Alltags geplaudert. Der Politiker habe sie dabei zurückhaltend und durchaus zärtlich berührt. Sie habe Vertrauen gewonnen und die Spannung auf das Kommende sei gestiegen.
»In den Garten gelangten wir noch mittels seines Nachschlüssels, aber mit dem Schloss an der Grotte kam er nicht zurande. Als vom Galeriegebäude mit einem leichten Windstoß nicht allein der Duft der dort üppig blühenden Engelstrompeten herüberwehte, sondern auch Hundegebell, zog er mich eilig in den grünen Bereich des Großen Gartens.«
»Und dann kam es zwischen Ihnen und ihm aber doch noch zum Verkehr, da im Boskettdreieck.«
»Ja, er hat mich überredet, verführt, da habe ich nachgegeben.«
»Hat er Sie vergewaltigt?«
»Nein, nein, alles war freiwillig, wenn auch ganz anders, als es in der Grotte hätte werden können.«
»Er hatte seinen Erguss – und was passierte dann?«
»Es krachte, es splitterte irgendwie, er gurgelte auf und lag dann wie tot auf mir. War er ja wohl auch. Ich war erst wie gelähmt. Dann hatte ich furchtbare Angst.«
»Sie müssen doch etwas gesehen haben, Ihr Sexualpartner ist von hinten erschlagen worden, hat also das Gesicht Ihnen zugewandt, und der Täter muss ja dahinter gewesen sein. Verflixt noch mal, nun sagen Sie endlich, was Sie wahrgenommen haben!«
»Also gut, Sie wollen partout intime Details. Na ja, er hat bei der Tötung schon auf dem Rücken gelegen, auf meinem nämlich. Ich habe auf dem Bauch gelegen, wenn Sie es genau wissen wollen. Was sollte ich da schon gesehen haben, außer nachtfarbenem Gras? Die Hecke ist an dieser Stelle löcherig, da kann man schnell wieder verschwinden. Es krachte, knirschte über mir – dann war er reglos. Ich habe es erst nicht verstanden, ich habe ja niemanden gesehen. Vielleicht war es ein Irrer, vielleicht Nikis Geist? Was weiß ich!«
»Wenn es der Geist von Niki de Saint Phalle war, so werden wir den auf Flasche ziehen, das verspreche ich Ihnen!«
»So, mein Herr, nun möchte ich mal ganz genau und mit Hingabe von Ihnen hören, was Sie von der besagten Nacht im Großen Garten wissen, und bitte mit Vorgeschichte.«
»Aber gern, aber präzise, Frau Hauptkommissar. Zuerst die Vorgeschichte: Die Große Fontäne bildet das Zentrum des Nouveau Jardin, des neuen Gartens, der erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts angelegt worden ist. Ja, und was soll ich sagen, seitdem gibt es dort 32 dreieckige Boskette, die sogenannten Triangel. Begrenzt werden diese buschigen, baumhaltigen Dreiecke von hohen Hainbuchenhecken. Einst wurden in ihnen Obst und Gemüse angebaut, heute dienen sie allein dem Wohlfühlen und lassen oft süße Klänge herausschallen.«
»Nun quatschen Sie mal keine Opern, Mann, Sie stehen unter Tatverdacht wegen Raubmord. Sagen Sie klipp und klar, was Sie mit dem Fall zu tun haben.«
»Fall ist gut, genau das ist es nämlich! Was da mit dem Ritualmord in der Presse steht, ist natürlich großer Quatsch, sage ich Ihnen. Manche Kollegen können schlicht nicht Zeitung lesen, das ist es. Ich denke, der Fall ist schon ziemlich eindeutig. Sehen Sie mal!«
Einer Plastikhülle entnimmt der freischaffende Journalist graue Papiere. Ohne sie vorzulesen, hält er sie der Kriminalbeamtin hin und legt eindringlich los: »Hier, im August 1990 fiel ein fußballgroßer, eisiger Fäkalblock in ein Wohnhaus im nordrhein-westfälischen Vettweiß. Was war’s? – gefrorene Scheiße, mit Verlaub, aus einem Flugzeug. Und später, im gleichen Jahr, knallt im November eine Eisbombe durch das Dach eines Hauses in den USA, in Elkhorn/Wisconsin, auch dieser kalte Ballen war aus menschlichen Exkrementen. Können Sie alles nachlesen, kein Witz!«
»Jaja, moderne Mythen, kalter Kaffee, erzählen Sie mir was Neues, was Besseres als das, was schon seit Jahren in Büchern steht.«
»So? Dann schauen Sie mal hier hinein, in unser hochseriöses hannoversches allgemeines Anzeigenblatt. Hier, diese Ausgaben aus dem Januar. Na los, sehen Sie sich das an!«
Verblüfft liest die Beamtin von einem Eisball, der gerade erst in diesem Jahr südlich von Hannover niedergerauscht ist.
»Schon wieder jemand mit himmlischem Einschlag«, murmelt sie. Doch ihr Gegenüber lässt nicht locker:
»Und dann vor zwei Wochen der Klumpen auf Herrenhausen. Mitten im Sommer schmetterte der nachts durch das Dach einer Kleingartenbutze. Morgens war eine stinkende, braune Wasserpfütze unter dem Loch, obwohl es keinen Tropfen geregnet hatte. Muss ich da wirklich noch mehr sagen? Von wegen Mythen, Sagen, Erfindungen, Spinnereien – schlichte Realität ist das, eklig und stinkend, nichts weiter!«
»Ich sehe schon, die Einschläge kommen näher. Aber trotzdem sind das noch keine Beweise für Ihre Annahme.«
»Hören Sie, ich will zur Aufklärung beitragen, und die Belohnung dafür beanspruche ich natürlich auch. Was kann ich dafür, dass es kein Mord oder so was war.«
»Ach ja, ein glitzernder Stern fiel herab wie bei Niki de Saint Phalle. Nun hören Sie mal zu. Es ist einfach hochgradig unwahrscheinlich, dass ein eisiger Klumpen aus dem Himmel fällt und exakt diesem gerade sehr beschäftigten Menschen den Schädel einschlägt. Was Sie mir da weismachen wollen, riecht nach einer beschissenen Story, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.«
Der