Was sie nicht umbringt. Liza Cody

Was sie nicht umbringt - Liza  Cody


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trug meine schwarze Lederjacke. Mr. Cheng mag mich in der Jacke – er meint, darin sehe ich aus wie ein Gangster. Hätte mich ein kleines Vermögen gekostet, die Jacke, wenn ich sie bezahlt hätte.

      Als ich ankam, lehnte Mr. Cheng hemdsärmelig auf der Theke und bearbeitete seinen Taschenrechner. Er hat einen Sinn für Zahlen. Ich glaube, er mag sie lieber als Essen oder Menschen.

      Er sagte: »Habbenkleinjobfüddieva.«

      Er meinte: »Ich habe einen kleinen Job für dich, Eva.« Aber er redete so schnell, dass ich es mir erst mal übersetzen musste.

      »Tantaboln«, sagte er.

      Okay, dachte ich – Tante abholen. Schon kapiert.

      »Hinter«, fuhr er fort, »färsseinneabnertrokassirn.«

      »Was?«

      Er sah hoch. »Wassenlos, Eva? Bissetaub, oder was? Ich habe gesagt, hinterher fährst du in die Abernathy Road kassieren.«

      »Ach so«, sagte ich. »Okay, Mr. Cheng, wird erledigt.«

      Er hielt mir die Hand hin. »Schlüssel«, sagte er.

      »Wo?«

      »Fristree.«

      Das hieß, dass der Rover auf dem Parkplatz in der Frith Street stand. Ich nahm den Schlüssel und ging. Mr. Cheng redet zu viel.

      Ich mochte den Rover. Er war groß und schwarz, und er wurde beachtet. Und es war mal eine Abwechslung, einen Wagen mit der Erlaubnis des Besitzers zu fahren.

      Trotzdem, ganz legal war die Sache nicht. Ganz legal geht es bei mir nie ab, wenn du es unbedingt wissen willst. Tatsache ist nämlich, dass ich keinen Führerschein habe. Ich bin eine gute Fahrerin, ich habe noch nie einen Unfall gebaut, aber ich habe den Schein nicht. Dazu müsste ich die Prüfung machen. Dazu müsste ich Formulare ausfüllen, und mein Name würde in einem Behördencomputer landen. Darauf kann ich verzichten.

      Anstandshalber hätte ich Mr. Cheng die Sache mit dem Führerschein sagen sollen. Aber er hat mich schließlich nie danach gefragt. Und wer keine Fragen stellt, bekommt von mir auch keine Antwort.

      Er hat bloß gefragt: »Kannst du fahren, Eva?« Was sich eher wie »Kannzefaaneva?« anhörte.

      Ich sagte: »Ja.« Das war’s auch schon.

      Mr. Cheng hat mich dann als Fahrerin angeheuert, weil er auf dem Weg zum Flughafen Geschäftliches zu bereden hatte. Wahrscheinlich ging es um ziemlich krumme Geschäfte, weil er jemand brauchte, der kein Chinesisch konnte. Mein Chinesisch ist in etwa so gut wie sein Fachwissen über das Catchen, also passen wir ausgezeichnet zusammen.

      Ich fuhr gern mit dem Rover Autobahn. Man fühlte sich so nobel dabei.

      Nach sechs Uhr abends durch die Stadt bis zur Edgware Road zu gurken war allerdings was anderes. Die ganze Zeit bloß stop-go-stop. Manchmal glaube ich, London erstickt.

      Tante Lo wohnte in einem Apartmenthochhaus. Da hatten sie einen Türsteher, der Aufzug funktionierte, und niemand kam auf die Idee, Geschlechtsteile an die Treppenhauswände zu sprühen.

      Obwohl mich der Türsteher gut kannte, ließ er mich erst rein, nachdem er mit Tante Lo telefoniert hatte.

      Ich bin noch nie in Tante Los Wohnung gewesen. Es läuft immer auf die gleiche Tour ab – ich gehe nach oben, läute, warte. Sie beäugt mich durch den Spion, hängt die Kette vor und sagt durch den Türspalt: »Bist du das, Eva?« Wenn sie hundertprozentig sicher ist, dass ich es tatsächlich bin, kommt sie mit der Handtasche vor der Brust auf ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen rausgestöckelt.

      Tante Lo muss mindestens fünfundsechzig sein, aber sie trägt immer die modernsten Teenagerschuhe, die du dir vorstellen kannst. Ansonsten ist sie von dem kleinen Wolljäckchen bis zur Kunstlederhandtasche ganz Mr. Chengs Tante. Aber diese Schuhe!

      Sie reißt auch gerne Witze, nur bringt sie leider jedes Mal dieselbe Schote. Und an diesem Abend war es genauso wie an allen anderen Abenden auch.

      Sie sagte: »Wann heiratest du, Eva?« Und schon prustete sie heiser los.

      Ich sagte: »Die Männer sind alle nicht mein Kaliber, Mrs. Lo.« Und ich wartete, bis sie alle vier Türschlösser abgesperrt hatte.

      Als sie so weit war, fuhren wir mit dem Aufzug nach unten, und sie sagte: »Irgendwann muss ich wirklich mal einen Brief nach Hause schreiben – und dann besorge ich dir einen schönen, großen Chinesen.« Prust-prust-prust, bis wir unten waren.

      Ich kann Tante Lo gut leiden. Sie ist eine patente Type. Wenn im Beijing Garden einer Probleme hat, kriegt er von allen Seiten den Rat zu hören: »Frag Tante Lo.« Nur bei Mr. Cheng klingt es wie »Frachtalo«.

      Auf der Rückfahrt zum Restaurant nahmen wir noch zwei Männer mit. Sie waren ein gutes Stück jünger als Tante Lo und warteten an der Kreuzung Cabal Street auf uns.

      »Große Party heute Abend«, sagte Tante Lo. Und als die beiden Männer hinten einstiegen, schnaubte sie und sagte: »Nicht groß genug für dich, Eva?«

      »Im Leben nicht.«

      »Prust-prust-prust!«

      Mr. Cheng kam aus dem Beijing Garden auf den Bürgersteig. Er hatte sich die schwarze Jacke angezogen, um Tante Lo aus dem Wagen zu helfen. Nachdem er Tantchen im Restaurant abgeliefert hatte, kam er noch mal zurück und gab mir einen anderen Schlüssel.

      »Nimmenastra.« Das hieß, sein heißgeliebter Rover sollte nicht in eine abgewrackte Gegend wie Notting Hill Gate.

      Außerdem gab er mir einen unbeschrifteten, weißen Briefumschlag.

      »Beismie«, sagte er.

      Ich parkte den Rover und stieg gehorsam in den Astra um.

      Mr. Chengs Anweisungen hören sich vielleicht ein bisschen merkwürdig an, aber sie sind immer präzise. Und wenn ich mich genau daran halte – Tante abholen, bei Smith vorbeischauen, die Knete abliefern –, dann bezahlt er mich auch präzise. Bei ihm gibt es nie so was wie »Schönen Dank, Eva, du hast was gut bei mir«. Er sagt noch nicht einmal danke. Ich kriege meine Kohle und in der nächsten Woche vielleicht den nächsten Job.

      Bei Mr. Cheng weißt du immer, wo du dran bist. Allerdings weißt du nie, was er eigentlich treibt oder was er denkt. Aber das passt mir ausgezeichnet.

      Bermuda Smith hat eine Kellerbar – Musik, Tanz, Speisen und Getränke. Von jedem etwas. Er engagiert gute Bands.

      Die Weißen kommen wegen der Musik und der Atmosphäre, aber sehr wohl fühlen sie sich nicht unter den ganzen Schwarzen.

      Die Bullen kommen wegen der Drogen.

      Mr. Cheng betritt den Laden überhaupt nicht. Nicht mal seinen Rover lässt er in die Gegend.

      Ich weiß nicht, was für Geschäfte er mit Bermuda Smith macht, aber jedes Mal, wenn ich mit einem unbeschrifteten, weißen Briefumschlag auftauche, etwa alle zwei Monate, gibt Bermuda Smith mir eine Plastiktüte für ihn mit.

      Die Plastiktüte ist immer mit Isolierband zugeklebt, also kann ich dir nicht sagen, was drin ist. Ich glaube, ein Haufen Kohle.

      Wenn du jetzt vielleicht denkst, das wäre die Chance für mich, einen Riesencoup zu landen, hättest du dich schön geschnitten. Und ich will dir auch sagen, warum. Als ich das erste Mal für Mr. Cheng etwas abholen musste, hat er mich beschatten lassen. Und das Paket, das ich abgeholt habe, war eine Attrappe. Das weiß ich, weil er es mir später gezeigt hat. Er hat kein Wort gesagt. Er hat das Päckchen nur mit der Lupe untersucht, um zu sehen, ob ich es mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt hatte. Dann hat er es aufgemacht. Es war bloß zerschnittenes Zeitungspapier drin. Und eine kleine Brandbombe. Schon allein bei dem Gedanken kam mir der Schweiß.

      Später sagte Tante Lo zu mir: »Wenn du dem Affen Angst machen willst, musst du ihm erst zeigen, wie du das Huhn tötest.« Sie sagte, das wäre Mr. Chengs Lebensphilosophie.

      Mr. Cheng ist ein Mann, der weiß, wie man sich Respekt verschafft.


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