Feiertage und andere Katastrophen. Stefanie Grimm

Feiertage und andere Katastrophen - Stefanie Grimm


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Mary traurig, nahm ihr Buch und »begab« sich auf die Veranda, wie sie sich auszudrücken pflegte. Sie machte auf mich einen merkwürdigen Eindruck. Etwas durchscheinend – wie ein Geist. Anny meinte dazu nur, dass ich Gespenster sehen würde und dass schwangere Frauen halt immer eine besondere Aura ausstrahlten. Sie griff nach unserem Rucksack und zog mich hinaus.

      Es war ein wunderschöner Tag. Wir hatten so etwas von Glück: Späte Osterferien und ein stabiles Hoch über Schottland. Die Sonne schien, aber ein paar Schäfchenwolken sorgten dafür, dass es nicht zu heiß wurde. Wir würden dennoch UV-Schutz brauchen, um nicht gleich am ersten Tag rote Nasen zu bekommen. Der Weg um den See herum war ordentlich befestigt. Die Wanderung tat uns beiden gut. Fern ab von all dem Stress in der letzten Zeit, fanden wir Schritt für Schritt wieder ein kleines Stückchen zueinander. Vielleicht war es wirklich richtig gewesen, unserer Beziehung noch eine Chance zu geben und Anny doch nicht zu verlassen. Gegen Mittag erreichten wir wieder das Haus. Es war eine prachtvolle Erscheinung mit seinen Türmchen und Erkern. Von außen erschien es mir noch viel größer, als von innen.

      Das Nachmittagslicht erwärmte den Blauen Salon, in dem uns Miss Elisa Sandwiches und Scones mit Clotted Creme servierte. Wir hockten auf stilvollen, aber durchgesessenen Möbeln, bezogen mit hellblauem Samt. Merkwürdigerweise hatte mich eine solche Ruhe erfasst, dass mich nicht einmal das sonst nervtötende Ticken der Standuhr störte. Auch hier hingen Portraits an den Wänden. Ich betrachtete die alten Bücher in den raumhohen Regalen, die für jeden Antiquar ein Schatz gewesen wären.

      »Sie können sie gern lesen. Das ist erlaubt.« Mary war durch die Verandatür gekommen, setzte sich auf einen zierlichen Stuhl und bediente sich an den Scones.

      »Ich liebe ihre Scones. Nur meine Großmutter hat so gute gebacken.«

      »Sie sind wirklich richtig lecker. Und ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt auch viel essen müssen – sozusagen für zwei.« Oh Anny. Manchmal konnte sie ein Elefant im Porzellanladen sein. »Anny meint das nicht so ...«

      »Doch.«

      Mary lachte. »Ach, es ist ja wirklich kein Geheimnis mehr. Und mir bleibt wenigstens die Lust am Essen.«

      Ich wunderte mich etwas über den melancholischen Ton, aber Anny hakte gleich nach.

      »Wann ist es denn so weit?«

      »Nie.«

      Jetzt war auch Anny platt. »Wie meinen Sie das?«, stammelte sie.

      »Ich werde vorher sterben.« Mary sagte das ganz gleichgültig, griff nach einem weiteren Scone, erhob sich und verließ den Salon.

      Pünktlich um zwanzig Uhr servierte Miss Elisa Selleriesuppe, Lammkeule mit Roasted Potatoes und Minzsauce. Daisy schwärmte, dass für den kommenden Karfreitag wunderbare Forellen angekündigt seien und zum Ostersonntag selbstverständlich Lammfilet. Dass die Küche in diesem einsamen B&B so gut war, hatte ich nicht erwartet. Obwohl der Prospekt von einem Viktorianischen Zauber schwärmte.

      Es schmeckte ganz wunderbar. Aber als ich Mary verstohlen beobachtete, merkte ich, dass mich ihre Worte betroffen gemacht hatten. Waren das Schwangerschaftsdepressionen? Nicht dass ich mich damit auskannte. Oder hatte sie vielleicht eine Krankheit? Selbst Anny hatte sich nicht wie gewohnt in wilden Spekulationen ausgetobt. Ich beobachtete allerdings, dass Mary recht unbeschwert ihr Essen genoss und mit Paul flirtete. Max, der Dunkelhaarige, machte hingegen ein finsteres Gesicht. Ed und Daisy plapperten fröhlich und irgendwann ließen wir uns von ihrer guten Stimmung anstecken.

      »Hörst du das?« Anny rüttelte mich wach. Ich kämpfte mich mühsam aus dem Tiefschlaf.

      »Was?«, murmelte ich müde.

      »Auf der Treppe und über uns. Gepolter, als ob irgendjemand durch die Gänge gejagt wird.«

      »Da ist nichts. Schlaf weiter«, brummte ich, aber dann hörte ich es auch. Als würden mehrere Leute die Treppe hinauf und hinunterrennen. Mit einem Satz war ich aus dem Bett, schlich zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Im Treppenhaus war es stockdunkel und der Lärm war verstummt. Merkwürdig. Hatte ich mir das eingebildet, oder hatte Anny nur schlecht geträumt?

      Beim Frühstück fehlte Mary, doch außer uns schien es niemand zu bemerken. Anny fragte vorsichtig in die Runde, ob sie schon jemand gesehen hätte. Ed und Daisy schauten uns überrascht an. »Mary? Wer soll das sein?« Daisy klang nervös und Ed antwortete. »Das war doch die junge Frau, die schon vor langer Zeit abgereist ist, nicht wahr?« Ich verstand die Welt nicht mehr und Anny schien es genauso zu gehen. Die Mountainbiker verabschiedeten sich knapp und verschwanden, bevor Miss Elisa zum Abräumen erschien.

      »Miss Elisa, könnten Sie mal nach Mary sehen? Vielleicht geht es ihr nicht gut«, versuchte es Anny.

      »Ich kümmere mich nicht um die Geschichten der Gäste, nur um die Küche. Das Haus kümmert sich um seine Gäste.«

      Was für eine Antwort. Eine solch offensichtliche Ignoranz sowohl von Seiten der Gäste als auch der Besitzerin hatte ich in diesem noblen Haus nicht erwartet. Mit einem Mal fühlte ich mich hier doch nicht mehr so wohl. Außerdem fehlten mir Fernseher, Internet und meine Stammkneipe. In unserem Zimmer fragte ich Anny, ob wir schon früher abreisen sollten, aber sie hörte mir nicht zu. Versteinert sah sie aus dem Fenster. »Chris, sieh.« Ich trat neben sie. Am Ufer des Sees trieb ein Körper im Wasser. Ganz eindeutig in einem hellblauen Kleid. Mary. Ihr Rücken war blutrot. Schnell griff ich zu meinem Handy. Kein Netz. Ich stürzte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und rannte in die Küche. Miss Elisa wetzte gerade ein langes Messer und sah mich versteinert an.

      »Schnell, Mary liegt im Wasser«, keuchte ich.

      »Da täuschen Sie sich, Chris«, antwortete Miss Elisa und wandte sich ab. Ich hetzte auf die Veranda und die Wiese hinunter zum Seeufer. Keine Leiche weit und breit, keine Mary.

      Verwirrt saßen wir später in unserem Zimmer und besprachen die Möglichkeiten, die wir hatten. Aber wir hatten keine. Kein Funknetz und das Telefon in der Diele war ebenso tot. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und das war für mich ein sehr ungewohntes Gefühl.

      Ein eisiger Schauer ergriff mich. Anny gegenüber wollte ich das nicht zugeben. Sie war beunruhigt und brauchte meine starke Schulter. Da konnte ich sie nicht auch noch mit meinen wirren Gedanken belasten.

      Als wir zum Abendessen das Speisezimmer betraten, hatten wir uns vorgenommen zu glauben, dass wirklich nichts passiert sei. Dass wir einfach nur zu überarbeitet gewesen waren. Mit einer unbestimmten Nervosität sah ich mich um. Da saß Mary am Tisch, flirtete mit Paul und wurde von einem wütenden Max angestarrt. Ich musste mich getäuscht haben. Ed und Daisy erzählten wie immer und das Essen war hervorragend. So weit war alles wieder wunderbar. Als sich Mary aber erhob und umdrehte, sah ich auf ihrem Kleid einen großen blutroten Fleck, in dem ein langes Küchenmesser steckte. Ich kniff ungläubig die Augen zu und als ich sie wieder öffnete, war Mary verschwunden. Keiner der anderen, auch nicht Anny, schien es gesehen zu haben. Ich schenkte mir einen doppelten Whiskey ein.

      In dieser Nacht blieb es ruhig. Ich hatte Anny nichts von dem Messer in Marys Rücken erzählt. Sie hätte sich Sorgen gemacht. Und ich selber wusste nicht, was ich überhaupt denken sollte. Ich merkte nur, dass ich fror.

      Am nächsten Morgen luden Max und Paul uns zu einer Mountainbiketour ein. Da Anny darauf keine Lust hatte, fuhr ich alleine mit. Ich genoss die Bewegung. Es tat gut, sich endlich einmal so richtig auszupowern. Vielleicht hatte ich in den letzten Wochen einfach zu viel um die Ohren gehabt und musste nur mal richtig abschalten. Die Strecke war steil und anspruchsvoll. Wir kämpften uns über Wurzeln und groben Schotter. In einem Bachbett rutschte mir der Hinterreifen weg, aber es gelang mir, das Rad wieder auf Spur zu bringen. Endlich standen wir oberhalb des Waldes auf der felsigen Spitze eines der Berge. Ein grandioser Ausblick über Wald, See und Moor. Während ich die Aussicht genoss, schoben Max und Paul ihre Räder langsam weiter. Sie hatten erzählt, dass sie einen anderen Pfad für die Abfahrt nehmen wollten.

      »Du hast sie geschwängert. Sie ist meine Verlobte!«, hörte ich plötzlich Paul schimpfen.

      »Dann wirst du der Vater sein«, kam die


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