Feiertage und andere Katastrophen. Stefanie Grimm

Feiertage und andere Katastrophen - Stefanie Grimm


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      Es war mir äußerst peinlich, dem Streit zuzuhören und ich ging ein paar Schritte zur anderen Seite der Kuppe. Meinten sie etwa Mary? Einer der beiden brüllte hasserfüllt: »Aber du hast sie umgebracht. Du hast ihr das Messer in den Rücken gestoßen und sie in den See geworfen. Du hast meine Mary umgebracht.«

      Oh Gott. Das wollte ich nicht hören. Verdammt, dann hatte ich gestern doch eine Leiche gesehen. Aber halt. Heute Morgen hatte sie munter am Tisch gesessen. Aber das Messer in ihrem Rücken? Konnte sie damit – leben ...? Dummer Unsinn. Damit konnte man nicht mehr leben, geschweige denn frühstücken. Plötzlich kam Max auf mich zu und sagte, wir müssten langsam los, um rechtzeitig zum Abendessen zurück zu sein.

      »Wo ist Paul?«, frage ich vorsichtig.

      »Der ist tot.« Max grinste.

      Mir blieb jegliche Erwiderung im Halse stecken. Ich war einem Wahnsinnigen ausgeliefert. Einen Moment schossen mir meine Optionen durch den Kopf, doch es waren nicht viele. Ihm in den Bergen zu entkommen war aussichtslos, außerdem musste ich zu Anny. So riss ich mich zusammen und zitterte mich den Berg hinab zu unserem See.

      Alle außer Paul, Max und mir saßen schon bei der Vorspeise, als wir dreckig und durchgeschwitzt durch die Diele polterten. Ich fand keine Gelegenheit, Anny von dem Mord zu erzählen. Paul wurde nicht vermisst. Keiner sagte irgendetwas. Nicht einmal Mary, die wieder recht munter am Tisch saß. Anny schien sich nicht an ihn zu erinnern. Sie lobte nur die grüne Minzsuppe mit den Kräuternockerln – es sei ja schließlich Gründonnerstag.

      Wer wurde hier eigentlich verrückt?

      Am nächsten Morgen saß Paul lebendig aber schlecht gelaunt wieder neben seinem Freund Max. Ich musste nicht lange nach irgendwelchen Verletzungen suchen. Er schien das rechte Bein und einen Arm gebrochen zu haben. Außerdem fiel ihm ein paar Mal sein Kopf so zur Seite, wie es nur mit einem Genickbruch möglich sein konnte. Marys Kleid war immer noch blutdurchtränkt und als ich mich Ed und Daisy zuwandte, um zu prüfen, ob sie vielleicht irgendwie irritiert waren, sah ich ein tiefes Loch in Eds Stirn. Kleinkaliber, wenn ich mich nicht täuschte. Und alle führten ein unbeschwertes Frühstücksgespräch. Ich schrak zusammen, als Ed mich anstupste und flüsterte: »Heute Abend gibt es die Karfreitagsforelle. Ich sage dir, ein Gedicht. Ein Höhepunkt der Woche. Meine Frau würde wegen der Lammkeule sterben, sagt sie. Aber mein Favorit ist eindeutig die gebratene Forelle mit Mandelblättern und wildem schottischen Thymian.«

      Ich nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und verbrannte mir dabei die Lippe. Unwichtig. Mein Gehirn versuchte verzweifelt eine wie auch immer geartete vernünftige Erklärung zu finden. Wahrscheinlich waren wir bei einem Haufen Irrer gelandet, die hier ihrer Maskeraden-Sucht frönten. Sozusagen Halloween das ganze Jahr. Wenn nicht, wurde ich langsam verrückt. Ich fröstelte. Dabei war es warm und das freundliche Gemurmel um mich herum wirkte so friedlich, so normal. Mein Magen zog sich zusammen. Irgendetwas sagte mir, dass das alles nichts mit Maskerade zu tun hatte. Ich bekam keinen Bissen mehr herunter, legte Messer und Gabel beiseite und flüsterte Anny ins Ohr: »Ich muss mit dir reden.« Ich zog sie auf unser Zimmer und verriegelte die Tür.

      »Anny, ich sehe hier Verletzte, tödlich Verletzte, die leben. Gestern hat Max mir auf dem Berg gesagt, dass Paul tot ist. Und heute sitzt er mit gebrochenem Genick am Tisch.«

      »Oh, Chris. Ich hatte schon befürchtet, nur ich allein wäre verrückt geworden. Oh mein Gott. Meinst du, es sind Wahnsinnige? Gestern habe ich gesehen, wie Ed Cromwell seiner Frau ein paar Tropfen in den Tee geträufelt hat. Wenige Minuten später hat Daisy sich auf dem Boden gewälzt und ist blau angelaufen.«

      »Wir müssen hier weg«, flüsterte ich.

      Anny fiel mir um den Hals, zitterte und schluchzte: »Du nimmst mich doch mit! Du darfst mich nie, nie verlassen.«

      Ja, wir mussten hier weg. Sofort. Aber wie? Kein Handy, kein Taxi und auch kein Auto. Nur die Mountainbikes.

      »Wir nehmen die Fahrräder. Morgen früh bei Sonnenaufgang«, flüsterte ich hoffnungsfroh. Es fühlte sich gut an einen Plan zu haben, wie bescheuert er auch sein mochte.

      Nach einer unruhigen Nacht hatten wir schnell das Nötigste zusammengepackt und schlichen noch vor Sonnenaufgang die Treppen hinunter. Wir schafften es, ungesehen von Miss Elisa, die schon in der Küche werkelte, durch die Hintertür zu schlüpfen. Der Schuppen war nicht abgeschlossen. Kein Wunder, dachte ich bitter. Wer würde einem Haufen Verrückter etwas klauen wollen.

      Fünf Stunden später standen wir erschöpft wieder am Ufer unseres Sees. Wir hatten alles versucht. Jeden Berg waren wir hochgestrampelt. Jeden Pfad hatten wir ausprobiert. Auch die Straße, die wir zu Beginn meiden wollten, weil wir mit Verfolgung rechneten, war keine Lösung gewesen. Immer wieder landeten wir am See. Anny heulte und ich fluchte, auch wenn mir mittlerweile ebenfalls zum Heulen zu Mute war.

      Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schlichen wir die Treppe zu unserem Zimmer hoch. Niemand war zu sehen, niemand war zu hören. Geisterhafte Stille. Morgen war Sonntag, Ostersonntag. Morgen würde uns der Taxifahrer wieder abholen. So hatten wir es zumindest vereinbart. Das würde unsere letzte Chance sein, diesem Wahnsinn zu entkommen. Anny klammerte sich an mich und zitterte am ganzen Leib. Ich durfte keine Schwäche zeigen, obwohl ich mich am liebsten in dem alten Kleiderschrank versteckt hätte. Stattdessen spielte ich den Besonnenen und gab Anweisungen. »Schließ das Fenster und hilf mir die Kommode vor die Tür zu schieben.« Während ich bereits versuchte, das schwere Möbelstück zur Seite zu rücken, schob Anny den offenen Fensterflügel nach unten. Er klemmte und sie musste ordentlich daran ruckeln. Plötzlich war es ganz still. Ich ließ von der Kommode ab und drehte mich zum Fenster. Meine Freundin stand da, mit dem Rücken zu mir und starrte in die Dämmerung. »Anny?«, fragte ich vorsichtig. Es war alles zu viel für sie, das wusste ich. Sie drehte sich langsam um und kam auf mich zu. Mit einem Messer in der Hand. »Du wirst mich doch nicht verlassen, Chris?«

      Das Frühstück war wieder ausgezeichnet. Miss Elisa hatte sich selbst übertroffen. In der Mitte des Tisches lag ein duftendes Osterbrot. Schokoladeneier in allen Farben schimmerten in echten Moosnestern. In einer Bodenvase steckten Barbarazweige, gerade aufgeblüht, mit bemalten Eiern geschmückt. Miss Elisa servierte kross gebratenen Schinken und perfekte Spiegeleier. Einfach ein wundervolles Osterfrühstück. Nur Paul maulte, dass er mit einer Hand die frisch gebackenen Brötchen so schlecht aufschneiden konnte. Mit der anderen hielt er seinen Kopf in Position. Mary lachte und half ihm, weswegen sie von Max böse angefunkelt wurde. Ed und Daisy unterhielten sich darüber, ob sie gestern endlich eine schwarze Gryllteiste gesehen hatten und Miss Elisa brachte Obstsalat.

      »Schatz, kannst du mir bitte den Kuchen reichen?«, bat mich Anny, die mittlerweile ganz süchtig nach Miss Elisas Früchtekuchen war. Ich reichte ihr die Platte. »Hier Liebling.« Meine Freundin sah bezaubernd aus. Der goldene Schal um ihren Hals passte gut zu ihren braunen Augen und kaschierte die blauen Würgemale. Hatte ich in den letzten Wochen wirklich daran gedacht, sie zu verlassen?

      »Schatz, das Kuchenmesser fehlt.« Anny strahlte über das ganze Gesicht.

      »Kein Problem, Liebling, du kannst das hier nehmen.« Ich zog das lange Messer aus meiner Brust und reichte es ihr. Die wenigen Blutstropfen, die ich verlor, tupfte ich sorgfältig mit der Damastserviette auf.

      Mit einem lauten Gong hallte die Türglocke und alle Gespräche verstummten. Einen Moment später erschien Miss Elisa, strich sich die Schütze glatt und verkündete mit einem freundlichen Lächeln: »Die Gäste für Zimmer fünf sind angekommen.«

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