Vampirnovelle. Frank Hebben

Vampirnovelle - Frank Hebben


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zucke die Schultern.

      Nachschauen, schlägt Johann vor. Welches Hotel?

      Lieber nicht.

      +

      Ihr Smartphone klingelt; sie sieht die Nummer, flucht, ehe sie auf den Balkon hinaustritt. Wir beobachten sie durch die Vorhänge: Sie steht da, die nackten Beine überkreuz, das Glas in der Linken, das Gerät rechts, unter dem Sonnenschirm; sehen, wie das Licht durch den Stoff glitzert. Ruth, lässig telefonierend, dann schmerzverzerrt; muss sich aufs Geländer stützen, wo der Rost am grünen Jugendstil nagt.

      Verblühte Astern in einem Topf, die Gießkanne. Links eine Hollywoodschaukel mit quietschenden Federn, rechts Bierkästen, leere Weinflaschen – und diese Grabfigur, die sie mit sich rumschleppt wie eine Reliquie, von Stadt zu Stadt zu Stadt. Immer muss es eine Wohnung mit Balkon sein, in Barcelona, Madrid; wo wir auch sind:

      Der Vogel im offenen Käfig.

      Sie kommt zurück. Santana will dich sprechen. Und legt mir das Ding in die Hand, blickt mich an, mit Sorgenfältchen.

      Ja?, hebe ich es ans Ohr.

      Ich habe dein neues Kind gefunden, sagt er. Ein hübsches Mädchen.

      Was?

      Was, was? Hol sie dir ab.

      Nein, setz sie ins nächste Taxi; und sag dem Fahrer, er soll sie zur Tür begleiten, weil sie … einen Schwächeanfall hat. Wir bitten ihn dann rein.

      Euer Wunsch sei mir –

      Danke auch.

      Dafür nicht, Kumpel. Echt nicht! Hat aufgelegt.

      +

      Auf dem Sofa, im Zwielicht, wirkt die Kleine hager – ihre Korsage, ihr verschmierter Lippenstift und ihre Tattoos, wie mit Filzstift auf die Haut gekritzelt. Die Haltung steif wie Puppen sitzen, im Schoß die schwarze, teure Lacktasche. Und traurig verweinte Augen. Keinen Stil, die Kleine.

      Hey, flüstert sie. Die Unterlippe zuckt. Na? Wo warst du noch?

      Ich schaue weg, wieder hin – mein Blick fliegt über die herzförmigen Risse im Nylon ihrer Strumpfhose. Hab das Interesse längst verloren. Was willst du‽

      Nichts.

      Hast du gefressen?

      Was?

      Du weißt, was ich meine …

      Ich hab’s versucht. Sie streckt die Hände vor: Unter den Nägeln klebt Blut. War schwierig, so ganz allein.

      Wasch dich. Und zieh dir diesen Müll aus! Meine Stimme hallt im Atelier nach. Dann legst du dich in ihren Sarg, ich zeige drauf, und verhältst dich still. Versuch zu schlafen.

      Gut, sagt sie.

      Muss los. Wir reden später.

      DREI

      Erst zu mir, kurz umziehen, danach ins Büro, wo sie auf mich warten, nicht, weil es was Dringendes zu tun gäbe, sondern weil ich ihr Boss bin, und sie meine Ratten im Versuchslabyrinth. Ein Anruf genügte.

      +

      14:02 Uhr. Ich gehe durch die Straßen … erinnere mich an diese Mädchen mit den leichten, flatternden Kleidern; mit rosig angehauchten Wangen, mit ihren Schwanenhälsen, duftend nach Parfüm, warm nach Schweiß, nach Kaugummi, Lutschbonbons, dass ich fast ohnmächtig werde von ihrer rauschhaften Schönheit, ihrer Jugend, ihrem Lebensglück; ein Gewächshaus voller Rosen, so üppig, dass ich – aber es ist Winter: In grimmigen Kokons aus Mänteln mit Kunstpelz starren sie mich an, und ich rieche gar nichts, außer Frost.

      +

      Im obersten Stockwerk liegt mein Apartment, ein Loft, meine eigenen vier Wände aus Backsteinmauern, aber keine Bilder aufgehängt, voller Umzugskartons; nur eine Gruft, die nach Zigarettenrauch stinkt – mit bester Aussicht auf die Altstadt, wären meine Jalousien nicht unten. Ich setze mich auf den einzigen Stuhl, den ich habe, und die Stille rauscht in mir.

      +

      Badezimmer, wasche mich mit einem Lappen – lasse die Haare fettig, gele sie bloß zurück; im Spiegel meine Fratze. Ein blütenreines Hemd, Hose und Krawatte und das Jackett, wie eine Rüstung angelegt, prüfe jede Falte, dann den Wintermantel, dann meine Sonnenbrille, bevor ich die Haustür hinter mir schließe, die Stufen runterlaufe. Ich lasse den Firmenwagen stehen, gehe zum Kiosk und decke mich ein. Nehme die Regiobahn.

      +

      Sinnlos beheizt, dafür leer: In der ersten Klasse trinke ich mein Bier, während hinter den Scheiben der Kurzfilm abläuft: rote Ampeln, kahle Bäume; Strommasten rauschen vorbei; eine Stahlbrücke, auf der jemand winkt. Radfahrer. Eisgraue Wiesen, dann wieder Wohngebiet: kaputte Fenster, Kneipen, Billigläden … die Säufer im Park; ein Flaschensammler, und dann Reihenhäuser und Villen, ein seelenloses Neubaugebiet, wo man sich im Wohnbunker eingesargt hat, mit der ganzen Familie; dann neue Parzellen, alles wie kopiert und eingefügt in einer Aufbau-Simulation für Spießer: der gleiche Rasen, der gleiche hohe Nachbarszaun mit Sichtschutz; und natürlich das Trampolin für die Kids mit den Platzwunden am Kopf.

      Ich höre ihre Stimme im Ohr; als wäre sie an der letzten Haltestelle eingestiegen und würde jetzt neben mir sitzen, Ruth: Aber, sieh doch, wie viel Spaß die Kinder haben.

      Sollen sie, diese kleinen Anarchisten. Aber ihre Eltern sind so … stumpf, eine konforme Masse: Für alle die gleiche Zufriedenheit!

      Kinder geben dem Leben einen Sinn.

      So wie Arbeit oder Krieg?

      Du bist herzlos. Selbstgerecht. Und neidisch. Außerdem liegst du falsch.

      Aha?

      Ja! Nur, weil man etabliert ist, sich als Mitglied, als Teil der Gesellschaft versteht, sich deshalb einbringt –

      Dass ich nicht lache! Die haben sich längst abgeschottet, mit Toren, Mauern und Gehaltsklassen.

      … wie die Kaufleute, damals, oder der Adel, fährt sie unbeirrt fort. Oder wie deine Familie es tut: ihr alten Aristokraten.

      Geschichtsstunde? Echt jetzt?

      Auf wessen Seite stehst du eigentlich?

      Sie sind die lebenden Toten!

      Ruth prustet los, stelle ich mir vor. Dabei bist du derjenige, der gerade ins Büro fährt.

      Für mich ist das ein Spiel.

      Wie du meinst, mein Lieber … wird ihre Stimme leiser. Ganz wie du meinst.

      +

      Nicht durch den Haupteingang, sondern durch die Tiefgarage gehe ich zum Aufzug: noch der klebrige Geruch, den sie absondern, schlecht kaschiert mit Deo und Rasierwasser – vom Stress der letzten Woche. Ich kann das Alter riechen, ihr Geschlecht; den Alkohol, ihre Tablettensucht; ihre leichten und schweren Krankheiten.

      Kein Jagdrevier.

      Achtundzwanzig, neunundzwanzig – und der dreißigste Stock, ein Leben aus Zahlen, sauber sortiert. Schnurgerade Gänge, diskrete Wandfarben: Pastell- und Sandtöne; unter meinen Sohlen glänzt das Parkett. Eine Büroklammer neben der Kaffeemaschine wie ein totes, weißes Insekt.

      Hallo, begrüßt mich meine Assistentin, deren Namen ich vergessen habe, während ich die Milchglastür aufschließe und mich, an ihr vorbei, an den Eichenholztisch setze: ein Telefon, ein Tablet, mehr nicht. Das antike Sofa. Kronleuchter hängen; und ein Bild vom Papst als Pop Art in Rosa und Veilchenblau. Von Ruth. Ich lasse die Sonnenbrille auf, die Jalousien schräg geöffnet.

      Ja? Sie wartet auf Anweisungen.

      Die Verträge von Mittwoch bis Freitag …

      Gern, sagt sie, zu Boden blickend; diese scheue, anämische Frau mit den großen, verzweifelten Augen, als Schoßhund darauf dressiert, mich bedingungslos zu lieben. Ihre teuren Kostüme, mit dem wenigen Geld gekauft, das wir ihr bezahlen, weil sie mir so gern gefallen will; heute: ein bordeauxroter Rock, der ungebügelt ist,


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