Raue Februarwinde über den Elbmarschen. Manfred Eisner

Raue Februarwinde über den Elbmarschen - Manfred Eisner


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halber erwähnen«, bemerkt KOK Dörte Westermann mit leichter Unsicherheit in der Stimme, »dass wir auf dem Weg zum Einsatzort zufällig auf zwei Kollegen stießen. Das war zum einen Haukes frühere Kollegin KHK Nili Masal, die zusammen mit ihrem Gefährten, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Walter Mohr vom LKA in Kiel, auf dem Radweg neben der Landesstraße joggte. Da es gerade in diesem Augenblick heftig zu schneien begann, baten wir sie zu ihrem Schutz in unseren Wagen – wir konnten sie doch nicht einfach mitten auf dem Land stehen lassen, oder? Und so ergab es sich, dass wir die beiden zum Tatort mitnahmen. Danach setzten wir sie bei Nilis Onkel am Holsternhof wieder ab.«

      »Das ist ja die Höhe!« Kriminaloberrat Heinrich Stöver explodiert geradezu. »Das hat uns gerade noch gefehlt, dass das Landeskriminalamt die Nase in unseren Fall steckt!«, fügt er mit viel leiserer Stimme hinzu, als er den strafenden Wink der Staatsanwältin bemerkt.

      »Wenn das so war, wie Sie berichten, Frau Westermann, dann haben Sie durchaus richtig gehandelt, denn man lässt ja nicht Kollegen im Regen – oder in diesem Fall im Schnee – stehen«, kommentiert der ebenfalls anwesende Dr. Paul Kramer, Assessor bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe.

      »Zwei zu null!«, murmelt mit offensichtlichem Vergnügen KTU-Leiterin Lilo Papst und erntet einen missbilligenden Blick ihres Kriminaloberrats. Dann ergreift die hübsche und jugendlich erfrischend wirkende Frau das Wort: »Wir haben bereits ein Foto des Toten an alle Polizeidienststellen und an das LKA in Kiel gesendet, aber noch keine Rückmeldung erhalten. Auch das Durchforsten unserer Kartei brachte bislang kein Ergebnis. Sobald wir hier fertig sind, machen wir uns an die Untersuchung der Lkw-Plane, in der der Leichnam eingehüllt war. Der Kollege Uwe Wildemann konnte einige wahrscheinlich fremde DNA-Abstriche von der Decke entnehmen, diese sind bereits in Bearbeitung. Zudem fanden wir an einem Saum der Plane einen Etikettenrest des Herstellerlogos, auf dem zu erkennen war, dass sie von der Firma Covertarp in Wilster hergestellt wurde. Also werden wir morgen dort nachfragen. Vielleicht können wir erfahren, für wen diese Lkw-Decke hergestellt wurde, und kommen auf diese Weise ein Stück voran. Außerdem planen wir, uns morgen Vormittag, falls dann der Schnee ganz verschwunden sein sollte, erneut an den Fundort zu begeben, um eventuell doch noch Spuren zu sichern. Der Leichenfundort wurde polizeilich abgesperrt. Sicherheitshalber wollten die Oldenmoorer Kollegen die Stelle entsprechend absichern und weiterhin bewachen.«

      Die Staatsanwältin nickt zufrieden. »Sehr gut, weiter so! Ich schlage vor, wir beenden jetzt die Lagebesprechung und machen uns alle an die Arbeit. Sobald der Obduktionsbericht vorliegt oder andere wichtige Indizien auftauchen sollten, treffen wir uns wieder. Danke also für Ihre Berichte. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und noch einen schönen Tag!« Während sie den Teilnehmern der Besprechung auf ihrem Weg aus dem Raum hinterhersieht, bittet sie ihren Assessor, noch ein wenig zu bleiben.

      »Was halten Sie von der Sache, Herr Doktor? Ich bin ja erst seit Kurzem hier an der Stelle des nach Kiel versetzten Herrn Uwe Pepperkorn. Sie hingegen haben längere Erfahrung vor Ort. Braust Kriminaloberrat Heinrich Stöver immer gleich so auf? Was ist das überhaupt für ein Mensch? Man hatte mir berichtet, er sei ein guter Polizist, aber so, wie er sich heute hier produziert hat, meine ich eher, dass er nicht gerade geeignet für die Rolle als Kripo-Führungsfigur sein dürfte.«

      Dr. Paul Kramer, ein stets ernst dreinblickender, ziemlich hagerer Geselle mit fortgeschrittener Glatze, in einen dunklen Zweireiher, ein weißes Hemd und eine schmal gebundene schwarze Krawatte gekleidet, antwortet: »Da bin ich überfragt, sehr geehrte Frau Staatsanwältin. Sehen Sie, ich hatte bisher wenig oder besser gesagt keinen direkten Kontakt zu unserem Herrn Kriminaloberrat. Alles, was ich im Laufe der Zeit über ihn erfahren habe, ist Hörensagen. Aber das, was man so hört, hat sich heute in seinen hier gezeigten Umgangsformen, vor allem gegenüber seinen Untergebenen, voll bestätigt. Nach diesem Auftritt kann ich nur sagen, dass ich sehr froh bin, Sie als Vorgesetzte zu haben und nicht ihm zu unterstehen. Andererseits – die Bemerkung gestatte ich mir – ist mir die angeblich rein zufällige Anwesenheit der beiden Kieler LKA-Beamten auch nicht unbedingt recht. Dabei muss ich gestehen, dass ich von Kriminalhauptkommissarin Masals gutem Renommee als Ermittlerin gehört habe. Sie hat ihre Karriere an der Polizeidienststelle in Oldenmoor begonnen und ist im Zuge der Strukturreform zum LKA nach Kiel gekommen. So hat es mir zumindest unser Kriminaloberkommissar Steffens berichtet. Ich sage dies nur wegen der Sorge, dass die Kieler diesen Fall an sich heranziehen sollten.«

      »Herr Doktor Kramer, was halten Sie davon, wenn Sie meinen Vorgänger in Kiel anrufen und vorsichtig sondieren, ob man dort diesen Fall bereits kennt, und gegebenenfalls, wie er ihn beurteilt.«

      »Das tue ich sehr gern, Frau Doktor. Ich hatte mit Herrn Pepperkorn immer eine äußerst vertrauensvolle und angenehme Zusammenarbeit.«

       *

      Hannelore Maas, die in einem Nebenjob das Amt der Pressereferentin der Wind-Powermasters Genossenschaft ausübt, legt tief betroffen den Hörer auf. Geschäftsführer Alfred Rademacher hat ihr soeben von dem Leichenfund auf dem Areal ihres Windparkprojekts berichtet und sie gebeten, sich vorsorglich einige Gedanken zwecks einer eventuell zu publizierenden Erklärung für die Medien zu machen. Die äußerst attraktive, langbeinige und wohlgeformte Fünfundzwanzigjährige erregt mit ihrer langen brünetten Haartracht und den strahlenden grünen Augen die besondere Aufmerksamkeit der Männerwelt, wo auch immer sie auftaucht. Bei besonderen Gelegenheiten wie dem Gildefest im Kolosseum oder dem Feuerwehrball in der Elbdeichhalle ist sie ein gern gesehener Gast und von zahlreichen Tanzfreaks ständig umschwärmt. Eines Tages befand sich unter diesen ein gestandenes Mannsbild namens Harald Maas, seines Zeichens Brandmeister bei der hiesigen Freiwilligen Feuerwehr. Als Lkw-Fahrer hatte er sich vor drei Jahren – vorerst mit nur einem, später noch mit einem zweiten Lastzug – selbstständig gemacht. Seitdem betreibt er eine kleine Speditionsfirma, die sich ausschließlich mit dem Transport von Gemüse aus den benachbarten Gebieten rund um Glückstadt beschäftigt. Hannelore fühlte sich, gleich nachdem sie einander zum ersten Mal begegnet waren, zu diesem besonders männlichen Typ stark hingezogen und wurde ihm bald willig. So kam es, dass sie schon nach kurzer Zeit ihrer Liaison schwanger wurde. Nach einigem Zögern wurde Harald schließlich seiner Verantwortung gerecht und machte ihr einen Heiratsantrag. Hannelores Eltern bewirtschaften in dritter Generation einen der vielen mittelgroßen Höfe am Elbdeich der Blomeschen Wildnis nahe Glückstadt, auf dessen nährstoffreichem Marschboden heimische Gemüsearten besonders ertragreich wachsen. Seitdem Hannelore den Einzelhandels-Kaufmannslehrgang an der Berufsschule in Itzehoe erfolgreich absolviert hat, betreibt sie auf dem Gelände einen kleinen Hofladen, in dem sie sowohl die saisonalen Erzeugnisse aus eigener Ernte, darüber hinaus ihren Kunden aber auch Freiland-Eier und Poularden von Lissy Masals Eulenhof anbietet. Zudem steht auf dem Hofladen eine »Tankstelle« für Frischmilch und es werden Sahne, Joghurt, Butter und diverse Käsesorten vom Holstenhof der Familie Keller angeboten. Johann und Bärbel Schwarz waren von Hannelores Männerwahl keineswegs begeistert, hätten sie doch einen in der Landwirtschaft gut bewanderten Schwiegersohn bevorzugt, damit dieser später ihren Hof übernahm. Zumindest war das Familienmitglied in spe durch den Transport ihrer Erzeugnisse aus dem Gemüseanbau sozusagen mit ihnen verschwägert, also gaben sie – insbesondere weil sich bereits Nachwuchs anmeldete – schlussendlich der Vermählung ihren Segen, dem eine Bürgschaft für den benötigten Bankkredit zwecks Anschaffung eines zweiten Lastzuges folgte. Als sich Hannelore bereits im siebten Schwangerschaftsmonat befand, erlitt sie bedauerlicherweise eine Fehlgeburt, an der sie, als Folge einer Notoperation, beinahe gestorben wäre. Das war für die Familie ein tiefer Schock, umso mehr, als sich herausstellte, dass Hannelore nie wieder Kinder bekommen würde. Ihr Mann veränderte sich seit dieser tristen Begebenheit und ihre Beziehung kühlte sich – vor allem in geschlechtlicher Hinsicht – merklich ab. Es gab zwar keine handfesten Auseinandersetzungen, jedoch war die Intensität ihrer vormaligen Zuneigung gedämpft. Harald konzentrierte sich zunehmend auf seine Arbeit und fuhr täglich kurz nach Mitternacht zum Großmarkt in Hamburg. Sein angestellter Fahrer, Herbert Pfannenschmidt, hingegen steuerte jeden Tag Kiel an. Und so ist es heute noch. Wenn die beiden nachmittags zurück sind, beschäftigen sie sich mit dem Abholen der Ware aus der benachbarten Umgebung. Beide – sowohl Harald Maas als auch Herbert Pfannenschmidt – kommen fast immer erst am späten Abend von der Tour zurück, parken ihre Kühl-Lastkraftwagen in einer eigens dafür gebauten Remise und verzehren schließlich


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