Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl

Dr Crime und die Meister der bösen Träume - Lucas Bahl


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Passage Kleingedrucktes, die ich ähnlich zur Kenntnis nahm, wie das Anklicken der AGBs bei Online-Versendern.

      „Muss ich mit meinem Blut unterschreiben?“, fragte ich.

      Der dünnlippige blasse Mund zur umwerfenden Stimme lächelte gequält. Ich überlegte: Sollte ich je in die Verlegenheit kommen, eine Retrocompany zu gründen, die Telefonsex für Audiophile anbietet, würde ich sie abwerben.

      Die Assistentin oder Sekretärin oder was auch immer ihre genaue Funktion war, wollte mir ihren Kuli reichen. Doch ich zückte schwungvoll den erst gestern geklauten schwarz-silbernen Diabolo-Griffel von Cartier und setzte meinen Leo unter den Vertrag.

      Der Diebstahl des sündteuren Schreibgeräts mit dem zu solcher Unverfrorenheit passenden Namen versetzte mich immer noch in Hochstimmung. Jetzt brauchte ich das Ding so schnell nicht für zwei, drei lächerliche Hunnis weit unter Wert verticken. Neu kostet das Teil im Fachhandel immerhin stilvolle 666 Euronen …

       Dr Crıme:

      Statt der Traumprotokolle hat Leon Walter pünktlich zum Einstieg im Institut mit klassischen Tagebuchaufzeichnungen begonnen. Allerdings nur in den seltensten Fällen handschriftlich mit dem geklauten Edelschreibgerät namens Diabolo notiert, sondern in ein stinknormales Word-Dokument in sein Notebook getippt.

      Nb.: Die Tatsache, dass Leon zu den Nutzern von Windows, kurz den Windioten zählt, sagt eigentlich schon alles …

       Leon:

      Ich will ja nicht mäkeln. „Glück ist selten vollkommen. Und wenn es uns vollkommen erscheint, dann hat sich meist ein dichter Schleier vor unsere Augen gelegt. Die Vernebelungstaktik endogener Drogen.

      Dopamin-, Serotonin- oder Endorphin-Räusche führen zu wahrhaft paradoxen Erscheinungen. Sie fokussieren unsere Wahrnehmung passenderweise auf das, was wir sehen wollen und als gut und schön empfinden und blenden alle (unter normalen Bedingungen offensichtlichen) Mängel großzügig aus.“

      Na? Wie war das?

      Ich denke, mit meinem schlauen Gelaber könnte ich auch im gut verkäuflichen Glücksbuchratgeber-Segment eine erfolgreiche Karriere starten. Aber natürlich nur unter Pseudonym, selbstredend einem weiblichen. Ein Face-Double sollte nicht schwer zu finden sein. Wie wär’s mit Waltraud Leoni? Oder gibt’s die etwa schon?

      Wo war ich stehen geblieben?

      Ach ja, die Unvollkommenheit. Als ich tags darauf neben der stimmlich überwältigenden, aber visuell eher bescheidenen Sekretärin auch die hochberühmte Frau Professor Dr. Lucia Meltendonck höchst persönlich kennenlernte, drehte sich die ganze Angelegenheit um 180 Grad. Frau Professors Stimme war – um es freundlich auszudrücken – in ihrer kaum beherrschbar-durchdringenden Art nur eingeschränkt erträglich, während sie stattdessen für ihre reifen Jahre (ich schätze sie auf Mitte, Ende vierzig) schlicht umwerfend aussah. Die Stimme der einen im Körper der anderen und das eingangs beschworene Glück wäre perfekt!

      Andererseits … und derart ehrliche Äußerungen, wie ich sie jetzt in die Tastatur hämmere, darf ich in meinen privaten Aufzeichnungen, die nicht zu meinem Arbeitsauftrag gehören, problemlos machen – es erfährt ohnehin niemand was davon, da ich nicht vorhabe, das hier zu posten (lol) … Also andererseits sagt mir meine Erfahrung, dass eine Frau mit ihrem Mund und ihren Lippen und ihrer Zunge außer Quasseln auch noch ganz andere Sachen machen kann … Oink, oink!

       Dr Crıme:

      Hatte ich Ihnen gegenüber schon erwähnt, dass unser Held ein unerträglicher Klugscheißer im Gewand eines Sprüche-Plattklopfers ist? Spätestens jetzt haben Sie es schwarz auf weiß. Und nicht nur das. Seine oberflächliche Einstellung gegenüber Frauen ist, angesichts der Tatsache, dass es sich bei Leon Walter um einen Endzwanziger handelt, skandalös vorgestrig. Ich gebe ja gerne zu, dass ich selbst keineswegs vor gewissen Chauvinismen gefeit bin. Political correctness geht mir am Arsch vorbei.

      Aber ich behandle alle gleich – und zwar gleich schlecht.

      Wenn es unumgänglich ist, stanze ich einer Frau ebenso ein Loch in den Schädel wie einem Mann. Bei solchen Fragen zählen nur die Umstände und nicht das Geschlecht.

      Und um durch Leons Aufzeichnungen keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Ich habe Frau Professor Meltendonck, nachdem meine Zusammenarbeit mit dem Meister begann, ebenfalls kennengelernt und kann Ihnen versichern, ihre Stimme ist keineswegs so schrill und schrecklich, wie dieser Trottel meint. – Gut, sie kann laut werden, auch über längere Zeit, ohne einen Anflug von Heiserkeit, aber das ist im Rahmen ihres Lehrauftrags wohl eher von Vorteil. Ansonsten stimmt Leons Beschreibung, sie ist keinesfalls unattraktiv, im Gegenteil. Was jedoch das Gelaber wegen ihres angeblich „reifen Alters“ anbelangt – sie ist gerade fünfzig geworden –, so muss man das als jugendlichen Stuss abhaken. Das Bürschchen sieht sich selbst altersmäßig noch eher in der erweiterten Kindergartengruppe denn als Mitglied der Welt der sogenannten Erwachsenen.

      Sein Job im Institut für angewandte Traumforschung an der renommierten SFU unserer hübschen mittelfränkischen Stadt sollte sich letztlich als bedeutend, um nicht zu sagen als Glücksfall herausstellen, wenn auch nicht unbedingt für ihn.

      Damit Sie sich ein Bild von ihm machen können, das über die bereits gründlich entlarvenden Statements hinausgeht, die er ohne Not von sich preisgegeben hat, werde ich der Einfachheit halber einen Vergleich bemühen: Er ist groß – ich schätze mal einiges über einsneunzig – und er sieht aus wie die jugendliche Version des Schauspielers Rowan Atkinson, sattsam bekannt als Mr. Bean. Wenngleich ihm jedoch die schauspielerischen Fähigkeiten dieses Mimen völlig abgehen. Entgleisen Leon die Gesichtszüge, ist das selten komisch, sondern im Gegenteil fast immer tragisch. Selbstbeherrschung ist für Menschen wie ihn ein Fremdwort und so verrät er einem halbwegs erfahrenen Gegenüber, ohne ein Wort sagen zu müssen, alles, was der von ihm wissen will.

      Ähnlich wie Atkinson scheint er eine Leidenschaft für unvernünftig schnelle und schicke Autos zu haben, ohne sich diese freilich leisten zu können. So gut wurde sein Job dann doch nicht bezahlt.

       Leon:

      Morgen Nachmittag geht’s los. Dann wird die Kohle im Schlaf verdient.

      Um das zu feiern, geht es heute Nacht noch mal auf die Piste. Meine bisher so unnahbare Mondgöttin Eva – also Eva aus der Mondstraße in Fürth – hat mir erlaubt, sie in die Margarinefabrik zu begleiten. Dafür habe ich mich extra in meine schwarze True Religion Designer-Jeans im Rocco-Leather-Look gezwängt, die ich Anfang des Jahres in dieser Erlanger Nobel-Boutique geklaut habe.

      Wir tanzen nun schon seit Stunden inmitten tausender Partywütiger zu Techno und House aus den 90ern. Wahrscheinlich gibt es einen Grund dafür. Vielleicht feiern Scooter Goldene Hochzeit. Mir läuft der Schweiß in Strömen herab und meine Socken sind derart feuchtigkeitsdurchtränkt, dass jeder Step ein quietschend-matschiges Geräusch verursacht. Zum Glück sind die Beats derart knallend, dass selbst ich das nur vermuten, aber nicht wirklich hören kann.

      Auch Eva glänzt, aber bei ihr sieht das einfach nur derart geil aus, dass mich allein der Gedanke, diesen Schweißfilm abzulecken, zu Höchstleistungen anspornt. Mädels mögen gute Tänzer, denn sie hoffen ja, dass man sich beim Laken-Zweikampf genauso geschickt bewegt. Die vielen bunten Smarties, die wir eingeworfen haben, tun das ihre, um uns quietschlebendig zu halten.

      Vorhin – das muss schon eine Weilchen her sein – als mal eine halbe Minute lang nur die Bass-Drum aus den Boxen knallte, schrie sie in mein Ohr: „Wenn du mein Prinz bist und wacker durchhältst, gibt es später noch Dessert!“ Dabei zog sie das ohnehin tief ausgeschnittene, klatschnasse Shirt ein Stück nach vorne und ließ mich die runde weiße Pracht ihrer Äpfelchen bewundern. Genau in diesem Moment setzte wieder die volle Dröhnung ein und seitdem bekomme ich den bescheuerten Refrain nicht mehr aus dem Kopf: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“

      Später werde ich wohl in einem unbeobachteten Moment auch noch eine von den blauen „Davon kriegst du garantiert einen Hammerharten, Mann, das versprech‘ ich dir“-Drops einschmeißen.


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