Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl

Dr Crime und die Meister der bösen Träume - Lucas Bahl


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      Wir nähern uns der zentralen Raumstation, um die herum, an der vorbei und von der ausgehend die einzelnen Disziplinen ausgetragen werden.

      Jetzt ficken wir nicht mehr.

      Stattdessen ist der aus der Schwärze geborene Raum vor dieser grandiosen Kulisse mit aggressiven Hiphop-Beats erfüllt und der Männerchor von Wanne-Eickel rapt:

      „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“

      Die Station wird langsam größer und dreht sich aus unserer Perspektive zur Seite weg, sodass wir ungehindert auf das größte Naturwunder der Milchstraße glotzen können. Die farbigen Gasnebel erstrahlen in gelben, roten und leuchtend-blauen Farbtönen und sehen wie ein riesiges, Lichtjahre durchmessendes, weit aufgerissenes Auge aus, das gottgleich alles im Kosmos überblickt und unter Beobachtung hält. Selbst die kleinste Kleinigkeit, etwa das Verwehen mikroskopisch kleinsten Blütenstaubs auf einer Wiese am Ufer der Regnitz entgeht diesem allumfassenden Blick nicht.

      „Die NSA ist sicher neidisch auf Lor Els Auge“, sage ich und verfalle angesichts der überwältigen Pracht dieses Gebildes in ein andächtig gedämpftes Flüstern. Mir wird, kaum habe ich diese Banalität von mir gegeben, trotz meines gedämpften Tonfalls übel, da ich fürchte, mit meinen Worten den Zauber jäh zu zerstören, der zwischen Eva und mir entstanden ist und der von der gewaltigen Pracht, die das Universum vor uns entfaltet, auf so unbeschreibliche Weise gespiegelt wird.

      Gibt es Größeres als Sex in der freien Natur? Ja!

      Sex im All und zwar dort, wo der Kosmos am schönsten ist!

      „Das schwarze Loch in seinem Zentrum soll das stärkste in der ganzen Galaxis sein“, erwidert Eva in normaler, unbeeindruckt klingender Lautstärke. Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Mein mir selbst so unpassend erschienener Kommentar löst zwar keine Abwehr bei ihr aus. Andererseits hat sich auch in ihr eine eher nüchterne Stimmung breit gemacht. „Es erzeugt die besten Gravitationswellen, die man sich als Space-Surfer wünschen kann“, fügt sie hinzu, bevor sie meine Aufmerksamkeit auf ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Treiben an der Station lenkt.

      Dort tobt eine Horde mit Spraydosen bewaffneter Äffchen, die allesamt in niedlichen, kleinen, quietschbunten Raumanzügen stecken. Die Köpfchen blicken flink durch die durchsichtigen, kugelförmigen Raumhelme hin und her. Sie hinterlassen auf der tristen grauen Außenwand der Raumstation eine immer größer werdende Spur bunter Tags und riesiger Bilder. Und während wir näher schweben, um die Kunstwerke noch genauer betrachten zu können, singt der Affenchor:

      „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“

      „Das muss aufhören!“, denke ich und beschließe, mich wieder auf jene Gemeinsamkeit zwischen Eva und mir zu konzentrieren, die uns hierher gebracht hat. Ich greife nach ihren Brüsten und spüre die apfelgroßen Kugeln in meinen Handflächen, fühle ihre harten Nippel, dringe wieder in sie ein und ein und ein und … gemeinsam kommen wir in einem gewaltigen kosmischen Urknall, zuckend und erschauernd, aller Sinne beraubt.

      Beinahe aller Sinne beraubt. Denn aus den Augenwinkeln sehe ich noch das Ur-Grafitti an der Außenwand der Station:

      Kilroy was here!

      Ich lache und erwachte.

      In meinem Bett.

      Schlafblind tastete ich neben mir über Kissen und Decke. Niemand da.

      Bitte sehr, wer sollte da auch sein?

      Bettdecke, Laken, mein Schlafanzug – alles pappte und schien klebrige Fäden zu ziehen. Und während ich schlaftrunken grunzte, „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!“ wurde mir bewusst, dass dies der farbigste all meiner feuchten Träume gewesen war. Und der ergiebigste. Ich musste mindestens einen halben Liter meines Safts von mir geschleudert haben.

      Aber was ist mit Eva?

       Falsche Frage.

       Wer zum Teufel ist Eva?

       Es sollte wohl besser heißen: Wer um Himmels willen ist Eva?

       Ob es darauf in der nächsten Folge eine Antwort gibt?

      FOLGE 3

      WAS BISHER GESCHAH

       Leon fragt sich, wer um alles in der Welt

       diese Mondgöttin namens Eva ist …

      Ihr Gesicht kam mir vage bekannt vor. Natürlich kenne ich die Mondstraße in Fürth, aber ich kenne niemanden, der dort wohnt, erst recht keine Eva.

      Dann fiel mir etwas ein. Eine Ähnlichkeit.

      Ihr Gesicht, so dämmerte mir, war eine Version von Frau Professor Dr. Lucia Meltendonck. Hatte ich ihre Titten in meiner Hand gespürt? War es ihr Hintern gewesen, den ich umklammert hatte?

      Für ein Traumprotokoll mögen diese Aufzeichnungen ja nicht schlecht sein. Aber falls Frau Professor heute Nachmittag von mir verlangt, meinen letzten Traum aufzuschreiben, werde ich mir wohl was anderes ausdenken müssen. Sonst bin ich den Job schneller los, als ich ihn bekommen habe …

       Dr Crıme:

      Dieser schamlose Schlagmichtot liebt also auch maßlose Übertreibungen. Dass sich junge testosterongesteuerte männliche Primaten notorisch selbst überschätzen – geschenkt, davon lebt die prosperierende Autotuning-Branche neben vielen anderen, die männliche Eitelkeit streichelnden Geschäftsbereichen. Kann sich noch jemand an die Fuchsschwänze erinnern, die an Auto-Antennen baumelten?

      Aber haben Sie schon mal von einem drogeninduzierten Weltraum-Sextrip gehört?

      Vielleicht bin ich doch allmählich zu alt für solche Jobs. Jedenfalls hat mir die unappetitliche Schilderung gründlich die ohnehin gewohnt miese Laune verdorben, sodass ich schon befürchten muss, meine von mir sorgsam gepflegte schlechte Stimmung würde sich zusätzlich in einer Weise verfinstern, die dazu angetan wäre, mir tatsächlich den Tag zu verderben.

      So jemandem wie Leon will man ja nicht mal in Gedanken die Hand schütteln.

      Bevor ich auf meine erste Begegnung mit dem Meister zu sprechen komme, ist es an der Zeit, etwas klarzustellen.

      Natürlich ist Dr Crıme – wohlgemerkt ohne Punkte – nicht der Name, der in meiner Geburtsurkunde stand. Punkte mitten im Namen sind wie Einschusslöcher – sollte man also vermeiden! Man gibt sich solche Namen nicht selbst, sondern bekommt sie verliehen. Es handelt sich mithin um eine Auszeichnung, die in meinem Fall auch damit zu tun hat, dass ich vor Jahrzehnten in einer meiner parallelen Existenzen erfolgreich eine Dissertation verteidigt habe. Nicht etwa in naheliegenden Fächern wie Jura oder Kriminologie, sondern – wie eingangs schon angedeutet – in Literaturwissenschaften. Ich bin nicht so dumm und werde hier den Titel verraten, sondern nur das grobe Thema anreißen: Mimesis und Heteroglossie.

      Wissenschaftliche Arbeiten zu diesen literaturwissenschaftlichen Themenkomplexen gibt es einige Hunderttausend. Und selbst wenn ich verrate, dass ich mich in meiner Arbeit auf Erich Auerbach, Michail Michailowitsch Bachtin und William Empson bezog, wird ihre Zahl kaum kleiner. Ich erwähne das nicht, weil ich mir auf den akademischen Titel etwas einbilde, sondern weil dieser Umstand unserer Geschichte insofern eine besondere Wendung verleiht, als auch das Objekt meiner Observation ein angehender Literaturwissenschaftler ist. Allerdings keiner, mit dem ich mich unter normalen Umständen fachlich ausgetauscht hätte.

      Meine erste persönliche Begegnung mit dem Meister hatte wenige Wochen zuvor stattgefunden.

      Nicht, dass wir uns nicht längst kannten. Das bleibt kaum aus in einem Geschäft, das schon lange, bevor alle Welt vom globalen Dorf zu faseln begann, rund um den Erdball aufs Engste vernetzt war. Wir hatten zwangsläufig bereits in den frühen 1970er-Jahren voneinander Kenntnis genommen. Bei erfolgreich im weiten Feld internationaler, krimineller Machenschaften


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