Prostatakrebs-Kompass. Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

Prostatakrebs-Kompass - Dr. med. Ludwig Manfred Jacob


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Über die Nahrung, insbesondere über Gemüse, Obst und Kräuter, können Pflanzenstoffe aufgenommen werden, die entzündlichen und oxidativen Prozessen entgegenwirken. So wird aus Milchsäure und präbiotischen Ballaststoffen von Dickdarmbakterien, also in direkter Nähe der Prostata, der Krebshemmstoff Butyrat gebildet. Dagegen werden aus gebratenem (roten) Fleisch Kanzerogene wie PAKs sowie Metalle wie Kupfer und Eisen aufgenommen. Kupfer und Eisen fördern entzündliche Prozesse und wirken prooxidativ, weshalb sie nicht in zu großen Mengen aufgenommen werden sollten.

       Übersäuerung und Natrium-Kalium-Verhältnis

      Entzündungsprozesse gehen auch einher mit einer lokalen Übersäuerung des Gewebes. In Tumoren liegt der pH-Wert meist im sauren Bereich. Im Zellinneren sind Krebszellen selbst meist alkalisch, weil sie Säuren nach außen pumpen und ihre Umgebung ansäuern. Damit verschaffen sie sich Vorteile in der Metastasierung und bleiben selbst „gesund“. Ein saures Milieu ist nicht nur die Folge einer Krebserkrankung, sondern fördert an sich auch die Krebsentwicklung und Metastasierung und schwächt normale Zellen. Insbesondere fördert es den Knochenabbau und erleichtert damit die Knochenmetastasierung.

      Eine basenbildende, kaliumreiche Ernährung und regelmäßige, auch intensive körperliche Tätigkeit sind zur Entsäuerung und daher (nicht nur) bei einer Krebserkrankung und zur Krebsprävention sinnvoll (s. Kapitel 3.8.5, Seite 57, und Kapitel 7, Seite 201).

      Das Natrium-Kalium-Verhältnis im Körper steht in engem Zusammenhang mit dem Säure-Basen-Haushalt und dem Membranpotential der Zellen, das wiederum das Wachstumsverhalten von Zellen steuert. Dabei ist das Verhältnis wichtiger als die einzelne Betrachtung der Natrium- oder Kaliumaufnahme. Das Natrium-Kalium-Verhältnis in der Ernährung beeinflusst die Funktion der Natrium-Kalium-Pumpe, die für die Elektrolytregulation der Körperzellen benötigt wird. Etwa ein Drittel seiner Energie wendet der Körper auf, um Kalium in die Zelle und Natrium aus der Zelle zu pumpen. So wichtig ist das richtige Natrium-Kalium-Verhältnis für das Überleben der Zelle.

      Über die Natrium-Protonen-Pumpe entsorgt die Zelle überschüssige Säuren (Protonen). In ihrer Aktivität ist sie von der Natrium-Kalium-Pumpe abhängig. Der pH-Wert, das Natrium-Kalium-Verhältnis und das Membranpotential der Zelle sind entscheidend für wichtige Zellsignalwege und andere zelluläre Geschehnisse wie das Wachstums- und Differenzierungsverhalten.

      Der menschliche Organismus ist seit Jahrmillionen auf eine kaliumreiche, salzarme Ernährung eingestellt. Eine salz- und proteinreiche, kaliumarme Ernährung beeinträchtigt die Funktion der Zellpumpen. Dadurch steigen der Natrium- und Calciumgehalt in der Zelle, der Kalium- und Magnesiumgehalt sinken dagegen. Über eine Reduktion des Membranpotentials führt dies zu einem stärkeren Zellwachstum und einer verringerten Zelldifferenzierung. Zudem steigt die Insulinresistenz und somit der Insulinspiegel an. Dass der Tumor Calcium benötigt und sucht, zeigt sich auch daran, dass Metastasen häufig in den Knochen auftreten und dass eine besonders calciumreiche Ernährung das Prostatakrebsrisiko erhöht. Studien zeigen, dass bei Krebskranken die Funktion der Zellpumpen gestört ist. Auch die Reduktion des Membranpotentials, die bei einer Übersäuerung vorliegt, fördert die Krebsentstehung.

      Ein weiterer Faktor in Zusammenhang mit Natrium spielt für die Krebsentwicklung eine wichtige Rolle: Überschüssiges Natrium wird im Bindegewebe eingelagert. Dadurch wird die Ausschüttung des Wachstumsfaktors VEGF-C gefördert, der über die Bildung von Lymphgefäßen zur Vermehrung von Tumorzellen und der Bildung von Metastasen beiträgt. Zu viel Salz fördert demnach auch ein tumorförderliches Milieu. Dies zeigt sich am deutlichsten bei Magenkrebs, wo dieser Zusammenhang klar nachgewiesen ist.

       Die Formel für das Prostatakrebsrisiko

      Das Prostatakrebsrisiko kann durch die Exposition gegenüber verschiedenen Stoffen und Hormonen im Laufe eines Lebens maßgeblich beeinflusst werden. Unter Berücksichtigung dieser und anderer Faktoren kann das Prostatakrebsrisiko in einer Gleichung, die die Expositionsdauer sowie fördernde und hemmende Faktoren berücksichtigt, zusammenfassend als Annäherung so dargestellt werden:

       (Familiäre Vorbelastung + Androgenrezeptor- und Östrogenrezeptor-alpha-stimulierende Hormone und Fremdöstrogene + Kanzerogene + IGF-1 + Insulin + erhöhtes Bauch- und Leberfett + BPH + chronische Prostatitis) x Jahre der Exposition – (Östrogenrezeptor-beta-stimulierende Hormone/​Pflanzenstoffe + Krebshemmstoffe + Bewegung) x Jahre der Exposition

       = Prostatakrebsrisiko

      Diese Gleichung lässt sich auch in einer Abbildung darstellen (s. Abb. 5):

       Abb. 5: Einflussfaktoren auf das Gleichgewicht aus Proliferation und Differenzierung, das sich entscheidend auf das Prostatakrebsrisiko auswirkt

      Das folgende Kapitel über die Kanzerogenese des Prostatakarzinoms ist wissenschaftlich interessant und aufschlussreich. Es beschreibt ausführlich und tiefgreifend die physiologischen Hintergründe und Veränderungen, die zur Entstehung eines Prostatakarzinoms führen (können). Für das Verständnis des restlichen Buches und der praktischen Empfehlungen sind diese Informationen zwar sinnvoll, aber nicht unbedingt notwendig. Die wichtigsten Inhalte wurden bereits in der Einleitung zusammengefasst.

      Das klassische Dreistufenmodell beschreibt die Tumorentwicklung (Kanzerogenese) in den Abschnitten (Tumor-)Initiation, Promotion und Progression. Auch wenn dieses Erklärungsmodell inzwischen durch das komplexere Mehrschrittmodell abgelöst wurde (Harris, 1991), hat es sich dennoch aufgrund seiner einfachen Darstellung etabliert.

      Bei der Tumorinitiation, dem ersten Schritt der Kanzerogenese, erfährt die Zelle eine durch eine krebserregende Substanz (Kanzerogen) ausgelöste Genveränderung (Mutation). Kanzerogene, die die Initiation auslösen können, sind beispielsweise freie oxidierende Radikale (ROS), Alkylantien, Chinone (aus der Metabolisierung von Östrogenen), Entzündungsprozesse oder Steroidhormone. Die Mutation kann nur dann bestehen bleiben, wenn sie nicht durch DNA-Reparaturenzyme beseitigt wird oder die Zelle nicht in die Apoptose (programmierter Zelltod) getrieben wird. Eine durch eine Initiation veränderte Zelle reagiert auf Tumorpromotoren (z. B. aus der Ernährung) in deutlich stärkerem Maße mit Zellteilung (Proliferation) als normale Zellen des gleichen Gewebes.

      In der Promotionsphase erfahren die initiierten Zellen über Jahre oder Jahrzehnte hinweg einen Wachstumsstimulus durch die Vermehrung der geschädigten Zellen und Selektion (Bildung präneoplastischer Zellpopulationen mit identischen Mutationen), Steigerung des Zellwachstums, Hemmung des Zelltods (Apoptose) und Interaktion mit Signaltransduktionsprozessen. Hormone (Androgene, Östrogene, IGF-1, Insulin), Entzündungsprozesse und freie Radikale spielen als Promotoren des Prostatakarzinoms eine tragende Rolle. Der Vergleich der weltweiten Ernährungsmuster unterstreicht auch die zentrale Rolle der Ernährung (s. Kapitel 4.2, Seite 69).

      Die Vorläufer des Prostatakarzinoms werden unter dem Begriff „prostatische intraepitheliale Neoplasie" (PIN) zusammengefasst (Foster et al., 2000). Autopsiestudien zufolge geht eine HGPIN (hochgradige prostatische intraepitheliale Neoplasie, Vorläufer des Prostatakarzinoms) dem Auftreten eines Prostatakarzinoms um etwa 10 Jahre voraus (Wu et al., 2004a).

      Die Progression stellt schließlich den irreversiblen Übergang vom gutartigen Tumor (d. h. der präneoplastischen Läsion) zum bösartigen (d. h. invasiven und metastasierenden) Tumor dar. Die Fähigkeit des Tumors zur Invasion und Metastasierung kennzeichnet diese dritte Phase der Kanzerogenese. Der Begriff Tumorzellinvasion beschreibt dabei die Fähigkeit der Zellen zur Überquerung anatomischer Barrieren (z. B. Basalmembranen, interstitielles Stroma, Interzellularbrücken). Die weitere Progression von einem invasiven zu einem metastasierenden


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