Die freundliche Revolution. Philippe Narval

Die freundliche Revolution - Philippe Narval


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und das Internet wurden anfänglich auch als Aufbruch in eine neue Epoche der Aufklärung interpretiert. Allein der Zugang zu mehr und jederzeit verfügbarem und indexiertem Wissen würde die Menschheit vor Radikalisierung und Ideologien schützen, so die Annahme. Aber diktatorische Regime wie der Iran, Ägypten oder China begannen bald darauf, die Werkzeuge der Digitalisierung gezielt zur Manipulation und Überwachung ihrer Bürger einzusetzen. Wir brauchen jedoch heute gar nicht dorthin zu blicken, um zu erkennen, dass die digitale Vernetzung nicht automatisch zu mehr Kooperation und Wissensaustausch führt. Hass im Netz, Cybermobbing und Echokammern sind der Beweis dafür. In Europa haben wir uns freiwillig digitalen Plattformen ausgeliefert, die in der Art, wie sie funktionieren, unsere Demokratie und den sozialen Zusammenhalt gefährden. Auf der einen Ebene fördern die Algorithmen der sozialen Medien, also die mathematische Logik, nach der Nachrichten jeglicher Art geteilt und hervorgehoben werden, ganz gezielt die Bildung von Echokammern. Das Kalkül dahinter ist einfach, denn die Plattformen finanzieren sich durch Werbeeinnahmen und wollen Nutzer so lange wie möglich halten und idealerweise dazu bringen, viel Werbung zu konsumieren. Dabei geht es für die Konzerne um viel Geld und alleine Facebook und Alphabet, das Mutterschiff von Google und YouTube, kontrollieren mehr als die Hälfte des digitalen Werbebudgets der Welt, wie eine Studie der GroupM herausfand.

      Der Mensch hat die Tendenz, sich grundsätzlich lieber mit Meinungen auseinanderzusetzen, die sein eigenes Weltbild bestätigen, als mit jenen, die es infrage stellen. 1,7 Milliarden Menschen besuchen zum Beispiel täglich Facebook. Um zu erreichen, dass sie immer wiederkommen, füttert die Plattform sie mit Inhalten, die sie gerne sehen und dann mit anderen teilen. Wir bleiben dabei unter Gleichgesinnten und wenn wir in den digitalen Raum hineinrufen, bekommen wir unser Echo in Form von ähnlichen Meinungen und Ansichten zurückgespielt. Dabei können sich gewisse Segmente auch radikalisieren, ganz egal zu welcher weltanschaulichen Richtung sie gehören.

      → Wir befinden uns im permanenten digitalen Selbstbestätigungsmodus und der für ein umfassenderes Weltbild notwendige Widerspruch kommt uns abhanden.

      Wenn wir vorwiegend in digitalen Räumen kommunizieren, die unsere eigenen Sichtweisen bestätigen oder verstärken, fällt es uns schwerer, Kompromisse einzugehen und anderen Haltungen Gehör zu schenken. Wir bauen ein digitales Gefängnis für unsere Gedanken und Meinungen und merken nicht, dass wir verlernen, miteinander in Dialog zu treten. Die gesellschaftliche Segregation wird digital verstärkt und unserem Diskurs kommt die Vielfalt abhanden, die er braucht, um zu guten Entscheidungen zu kommen.

      Facebook und Konsorten haben die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit zu bannen wie kein anderes Medium, verfügen aber bewusst über wenige Mechanismen, um Lüge von Wahrheit zu trennen. Was zählt, ist alleine die Währung Aufmerksamkeit.

      Am Meinungskrieg beteiligen sich mittlerweile nicht nur Randgruppen und Extremisten. Auch Staaten machen sich die neuen Möglichkeiten, mit Falschnachrichten im Netz psychologische Kriegsführung zu betreiben, zunutze. Es ist ein Krieg ohne Kampf. Ob es Falschmeldungen über nie stattgefundene Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten in Litauen sind, die im Zuge einer NATO-Mission dort stationiert waren, oder die Verbreitung einer manipulierten Meldung auf der gehackten Regierungsseite des Golfstaates Katar – beides Ereignisse des Jahres 2017: Die Drahtzieher zielen immer darauf ab, die Souveränität, Legitimität oder Funktionalität ihres Gegners zu schwächen. Wir müssen im digitalen Zeitalter aber auch zur Kenntnis nehmen, dass fremde Mächte aus der Ferne auf demokratische Wahlen Einfluss nehmen können. So hat Facebook zum Beispiel selbst zugegeben, dass in Russland generierte Inhalte und aus Russland bezahlte Anzeigen während der US-Präsidentenwahl 2016 über 126 Millionen US-Amerikaner und damit 40 Prozent der Wähler erreicht haben.

      → Während „Fake News“ und „Echokammern“ als Begriffe mittlerweile in unseren Sprachgebrauch Eingang gefunden haben, fehlen uns die Strategien, wie wir ihrem gezielten Einsatz zur Manipulation Einhalt gebieten können.

      Dabei geht die Entwicklung aber weiter und wir sind heute mit ganz neuen Methoden konfrontiert, die Menschen aufgrund ihres Verhaltens im Netz präzise einordnen können und darauf aufbauend gezielt mit individualisierten Botschaften bespielen. Wie der Schweizer Journalist Hannes Grassegger und sein Kollege Mikael Krogerus im Dezember 2016 aufdeckten, wurden diese Methoden erstmals von der Pro-Brexit-Kampagnenorganisation Vote Leave vor der Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft des UK im Juni 2016 und danach von Donald Trump eingesetzt.

      Die Technologie der Firma Cambridge Analytica legt zuerst auf Basis von unterschiedlichsten Quellen sehr verlässliche, aussagekräftige Persönlichkeitsprofile von Bürgern an — in den USA alleine von 220 Millionen Menschen — und beschickte diese über Facebook dann mit individualisierten Botschaften, auf die ihr Persönlichkeitstypus am ehesten ansprechen würde. Die Trump-Kampagne konnte so 50.000 bis 60.000 leicht unterschiedliche, auf das jeweilige Persönlichkeitsprofil ausgerichtete Werbeeinschaltungen pro Tag an die Nutzer senden. Wie das funktioniert, erklärte der englische Direktor von Cambridge Analytica, Alexander Nix, in einem Vortrag im September 2016 in New York anhand des in den USA umstrittenen Themas Waffenbesitz. Eine Person, deren Persönlichkeitsprofil einen Hang zu Ängstlichkeit und Unsicherheit aufwies, bekam zum Beispiel ein Bild eines Wohnungseinbruchs in die Nachrichtenleiste gestellt und eine Botschaft dazu, die das Recht auf Waffenbesitz als „Versicherungsschutz“ darstellte. Jemand mit einer traditionellen, bewahrenden Weltsicht erhielt hingegen ein romantisiertes Bild eines Vaters mit seinem Sohn beim Jagen.

      Nun ist die Psychometrie, der Versuch, die Persönlichkeit des Menschen zu vermessen, nichts Neues. Doch erstmals konnten durch das gezielte Zusammenführen aller digitalen Spuren, die Menschen im Netz hinterlassen, verlässliche Psychogramme von Millionen Individuen erstellt werden. Nicht nur Republikaner wurden so Ziel der Kampagne, auch eher den Demokraten zugeneigte Afroamerikaner bekamen in wahlentscheidenden Bezirken individualisierte Botschaften mit negativen Statements, die viele davon abhielten, zur Wahl zu gehen. Solche Methoden vergrößern nicht nur die Kluft zwischen den politischen Lagern, sondern öffnen Möglichkeiten der Manipulation und Beeinflussung abseits jeglicher Kontrolle. Für eine faire und gerechte Wahlauseinandersetzung, die Grundlage unserer repräsentativen Demokratie ist, können sie den Todesstoß bedeuten. Es ist nebensächlich, dass sich bis dato nur das konservative Lager dieser Methoden bedient hat. Extremisten und Propagandisten, ganz egal auf welcher Seite des Spektrums, werden diese Methoden nutzen, wenn dem nicht durch Regulative Einhalt geboten wird. Es braucht dafür unter anderem eine eindeutige Kennzeichnung von jeglicher politischen Werbung auf sozialen Medien und ein Verbot des Sammelns von persönlichen Daten ohne die Zustimmung der Nutzer.

       Vertrauensverlust in Institutionen

      Bei all diesen Entwicklungen ist die repräsentative Demokratie nicht mehr konkurrenzlos, wenn es darum geht, welches Modell weltweit als Vorbild für Regierungsführung dienen soll. Immer öfter hört man in Gesprächen in und außerhalb Europas von den Vorteilen gelenkter Regime. Zum Beispiel wird die gelenkte Demokratie Singapurs aufgrund ihrer effizienten Verwaltung und wirtschaftlichen und sozialen Stabilität als beispielgebend erwähnt.

      Das Vertrauen in die Demokratie als die beste Regierungsform schwindet auch in Österreich. In einer Umfrage des SORA Institute 2017 beantworteten 78 Prozent der Befragten die Frage „Ist Demokratie die beste Regierungsform?“ positiv, zehn Jahre davor waren es noch 86 Prozent. Parallel dazu weisen auch globale Erhebungen, wie der Edelman Trust Barometer, ein sinkendes Vertrauen in Regierungen und deren Vertreter besonders in westlichen Demokratien aus. Dieser Vertrauensverlust betrifft aber längst nicht nur die Politik. So misstrauen in Deutschland, Frankreich und England mehr als 60 Prozent der Gesamtbevölkerung den Institutionen der Wirtschaft, der Politik, der Medien und sogar jenen der Zivilgesellschaft.

      Ist das verwunderlich? Die deutsche Autoindustrie wird nach dem Dieselskandal, einem massiven Betrug an den Kunden, zu einem lächerlichen Softwareupdate verpflichtet und weiter nichts. Wie würde es einem Fleischer ergehen, der seine Kalbswürste mit Gammelfleisch füllt, oder einem Bäcker, der sein Brot mit Sägemehl versetzt? Die Finanzkrise in Europa wird mit der Rettung von insolventen Banken und kosmetischen Eingriffen in die Gesetzgebung für „beendet“ erklärt, auch wenn uns die Staatsschulden, die daraus zusätzlich entstanden sind,


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