Das Leben ist ein tiefer Fluss. Rose Zaddach
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Rose Zaddach
DAS LEBEN
IST EIN
TIEFER FLUSS
Episoden Roman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
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Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelillustration © Dieter Knödler
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
VORWORT
Hoffnung ist eben nicht Optimismus,
es ist nicht die Überzeugung, dass es gut ausgeht,
sondern die Gewissheit,
dass etwas Sinn hat – gleich, wie es ausgeht.
Vaclav Havel
INHALT
Ein Geheimnis biografischer Verstrickungen
Versunken in die weichen Polster des ICE
Einhundertfünfzig Mal im Blitzlicht
Ihr Spiegelbild im Wasser, wie es hin und her zitterte
Und in der Nacht gab es trotzdem die Liebe
Die Parfümflasche. Der Duft ist hin
Das Leben ist eine sterbliche Angelegenheit
Das Meer, die Inseln und der Hafen
EIN GEHEIMNIS BIOGRAFISCHER VERSTRICKUNGEN
Sie war eine schöne Frau. Eine elegante Frau.
Paula bewunderte sie.
Brünetter Typ. Mitte fünfzig. Kinderlos.
Schmales, ebenmäßiges Gesicht, schlanke Figur.
Kurzer Haarschnitt, pfiffig, stoppelig, unsymmetrisch – ganz, wie es zurzeit in Mode war.
Man traf sie auf Vernissagen und in Konzerten, auf Dichterlesungen und auf anderen kulturellen Ereignissen mit ihrem Ehemann. Immer trug sie einen breitrandigen Hut. Es schien, als habe sie eine ganze Sammlung davon. Mit den Hüten, die sie trug, hatte sie etwas Großstädtisches an sich.
Ein Flair aus Paris, London oder Berlin, Zwanzigerjahre, wehte einem entgegen. Charlotte B. fiel jedenfalls in der Runde auf, in der sie sich bewegte.
Kleinstadt, eher Flecken, kaum auf der Landkarte erwähnt. Doch die Kultur der nahen Universitätsstadt zog ihre Kreise längst schon in dieser Region.
Deshalb auch wieder nicht so außergewöhnlich, das Kulturleben.
Sie habe ihren Vater früh verloren, sagte sie einmal.
Im Kulturkreis bereitete man sich gerade auf eine Ausstellung „Deutsche Klassik“ vor. Ein Plakat sollte gedruckt werden. Man beschäftigte sich mit Goethe und dem Lied Mignons, das mit den Zeilen beginnt: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh‘n, im dunklen Laub, die Goldorangen glüh’n.“
Sie habe ihren Vater früh verloren, wiederholte sie – und deshalb stimme der Text sie melancholisch.
Sie sprach von der Sehnsucht nach Wärme und dem Süden und sie murmelte die letzten Verse jeder Strophe vor sich hin. Sie verstehe den Text besonders gut und er tröste sie.
Man wunderte sich sowohl über die Rollenvermischung im Liedtext, der zwischen Geliebtem, Beschützer und Vater nicht zu unterscheiden schien, als auch über Charlotte B, die sich mit außergewöhnlicher Inbrunst äußerte. Das war man von ihr nicht gewohnt. Es klang nach schmerzlicher Vatersehnsucht und verletzter Liebe. Man war etwas peinlich berührt.
Charlotte sagte, den frühen Vaterverlust habe sie immer noch nicht verwunden. Sie meinte, die eigene Biografie verbinde sich immer mit der Liebe, ob man wolle, oder nicht. Die Liebe sei ein Geheimnis biografischer Verstrickungen.
Draußen wartete ihr Ehemann.
Die Abenddämmerung zog herein. Die Versammlung ging dem Ende zu.
Charlotte