Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

Die Forsyte-Saga - John Galsworthy


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auf; vielleicht fand er in ihren Spalten Trost.

      Und oben in ihrem Zimmer saß June am offenen Fenster, wo der Frühlingswind vom Park herüberwehte ihr die heißen Wangen zu kühlen und das Herz verbrannte.

      Drittes Kapitel

      Spazierfahrt mit Swithin

       Inhaltsverzeichnis

      Zwei Zeilen eines gewissen Liedes in einem berühmten alten Schulliederbuch lauten wie folgt:

      »Wie die Knöpfe am blauen Rock blitzten fein, tra–la–la!

       Und er jubelt' und sang wie ein Vögelein! ...«

      Swithin jubelte und sang zwar nicht gerade wie ein Vögelein, aber er fühlte sich beinahe versucht eine Melodie zu summen, als er aus dem Hause trat und seine Pferde betrachtete, die angeschirrt davor standen.

      Der Nachmittag war so lind wie ein Junitag, und um den Vergleich mit dem alten Liede zu vervollständigen, hatte er einen blauen Schoßrock angezogen und auf seinen Überzieher verzichtet, nachdem er Adolf dreimal hinuntergeschickt hatte um sich zu versichern, daß auch nicht der geringste Hauch eines Ostwindes zu spüren war. Seine ansehnliche Gestalt war so fest in den Rock eingeknöpft, daß die Knöpfe, wenn sie auch nicht blitzten, es doch füglich hätten tun können. Majestätisch stand er auf dem Pflaster und zog sich ein paar hundslederne Handschuhe an; mit seinem breiten, glockenförmigen steifen Hut, seinem Umfang und seiner behäbigen Gestalt sah er für einen Forsyte fast zu vorweltlich aus. Sein dichtes weißes Haar, das Adolf mit einer Spur von Pomade bedacht hatte, strömte einen leisen Wohlgeruch von Oppoponax und Zigarren aus – Zigarren der berühmten Marke Swithins, für die er hundertvierzig Schilling das Hundert zahlte und von denen der alte Jolyon unfreundlich gesagt hatte, er würde sie nicht geschenkt nehmen, dazu gehöre ein Pferdemagen! ...

      »Adolf! Das neue Plaid!«

      Der Bursche würde nie lernen schneidig auszusehen; und Mrs. Soames hatte sicher einen Blick dafür!

      »Das Verdeck herunter! Ich mache – eine – Spazierfahrt – mit – einer – Dame!«

      Eine hübsche Frau läßt gern ihre Kleider sehen; und – er wollte eben mit einer Dame spazierenfahren! Es war, als käme die gute alte Zeit wieder.

      Welche Ewigkeit, seitdem er mit einer Frau gefahren war! Das letzte Mal war es Juley gewesen, wenn er sich recht erinnerte; die arme alte Seele war die ganze Zeit so furchtsam gewesen wie ein Hase und hatte seine Geduld so auf die Probe gestellt, daß er gesagt hatte, als er sie in Bayswater Road absetzte: »Na, der T–eufel soll mich holen, wenn ich noch einmal mit dir fahre!« Und er hatte es auch nie wieder getan, niemals!

      Er trat zu den Pferden und prüfte ihr Gebiß; nicht daß er irgend etwas von Gebissen verstand – er zahlte seinem Kutscher nicht sechzig Pfund das Jahr, um ihm die Arbeit abzunehmen, das war nie sein Grundsatz gewesen. Sein Ruf als Pferdekenner beruhte hauptsächlich auf der Tatsache, daß er einst bei einem Derby-Rennen einigen Betrügern in die Hände gefallen war. Aber als ihn jemand im Klub mit seinen Grauschimmeln vorfahren sah – er fuhr immer mit Grauschimmeln, das war stilvoller fürs Geld, dachten manche – hatte er ihn ›Vierspänner-Forsyte‹ genannt. Nachdem ihm dieser Name durch Nicholas Treffry, den verstorbenen Teilhaber des alten Jolyon, diesen großen Fahrer zu Ohren gekommen war, der notorisch mehr Wagenunfälle gehabt hatte als irgend ein anderer im ganzen Lande, hielt Swithin es für richtig, sich danach zu benehmen. Der Name gefiel ihm, nicht etwa, weil er je vierspännig gefahren war oder die Absicht hatte es je zu tun, sondern weil es so vornehm klang. ›Vierspänner-Forsyte!‹ Nicht übel! Zu früh geboren, hatte Swithin seinen Beruf verfehlt. Wäre er zwanzig Jahre später nach London gekommen, so hätte ihn natürlich nichts davon abgehalten, Börsenmakler zu werden, aber zu der Zeit, wo er sich hatte entscheiden müssen, bildete dieser hohe Beruf noch nicht den Glanzpunkt des besseren Mittelstandes. Er war buchstäblich in den Beruf eines Auktionators hineingezwungen worden.

      Als er endlich auf dem Bock saß und die Zügel ihm übergeben waren, warf er, über die blassen alten Wangen hinweg in die helle Sonne blinzelnd, langsam einen Blick um sich. Adolf war schon hinten aufgestiegen; der Groom mit der Kokarde am Hut stand bei den Pferden, bereit sie los zu lassen; alles wartete auf das Zeichen, und Swithin gab es nun. Die Equipage jagte davon, und ehe man bis drei zählen konnte, fuhr er mit Gerassel schwungvoll an Soames' Tür vor.

      Irene kam sofort heraus und stieg ein – er beschrieb es später bei Timothy – »so leicht wie – hm – wie die Taglioni, ohne Umstände, ohne lange zu überlegen«; und vor allem, darauf legte Swithin besonderen Nachdruck und starrte Mrs. Septimus Small auf eine Weise an, die sie ganz aus der Fassung brachte, »keine alberne Ängstlichkeit!« Tante Hester schilderte er Irenens Hut. »Nicht einen eurer großen, schlappen Dinger, die hin- und herfliegen und den Staub auffangen, wie unsere Damen sie heutzutage so lieben, sondern einen netten kleinen –« er bezeichnete einen Kreis mit der Hand, »mit weißem Schleier – ein erlesener Geschmack!«

      »Woraus war er gemacht?« fragte Tante Hester, die bei jeder Toilettenfrage in eine gelinde aber andauernde Aufregung geriet.

      »Woraus gemacht?« wiederholte Swithin, »ja, wie soll ich das wissen?«

      Er versank in ein so tiefes Schweigen, daß Tante Hester zu fürchten begann, er habe das Bewußtsein verloren. Aber sie versuchte nicht ihn selbst daraus zu erwecken, denn das war nicht ihre Art.

      »Wenn doch jemand käme,« dachte sie. »Sein Aussehen gefällt mir nicht!« Doch plötzlich erwachte Swithin wieder zum Leben. »Woraus gemacht?« schnaufte er langsam hervor, »woraus sollte er gemacht sein?«

      Sie waren noch nicht vier Meilen weit gekommen, als Swithin den Eindruck gewann, daß Irene gern mit ihm fuhr. Ihr Gesicht sah so sanft aus hinter dem weißen Schleier, die dunkeln Augen leuchteten im Frühlingslicht, und sobald er zu ihr sprach, blickte sie zu ihm auf und lächelte.

      Am Sonnabend Morgen hatte Soames sie an ihrem Schreibtisch gefunden, wo sie eben ein Billett mit einer Absage an Swithin schrieb. Er fragte, warum sie ihn abweisen wolle. Ihre Verwandten könne sie abweisen so oft sie wolle, aber er wünsche nicht, daß sie seine Verwandten abweise!

      Sie hatte ihn unverwandt angesehen, das Billett zerrissen und gesagt: »Gut!«

      Dann hatte sie begonnen ein anderes zu schreiben. Er warf wie zufällig einen Blick darauf und sah, daß es an Bosinney gerichtet war.

      »Was hast du denn an den zu schreiben?« fragte er.

      Irene sah ihn wieder mit dem unverwandten Blick an und erwiderte ruhig:

      »Über etwas, um das er mich gebeten hat!«

      »Hm! Besorgungen!« sagte Soames. »Du wirst deine Last haben, wenn du damit erst anfängst!« Weiter sagte er nichts.

      Swithin machte große Augen bei der Erwähnung von Robin Hill. Es war ein weiter Weg für seine Pferde, und er speiste stets um halb acht, bevor der große Andrang im Klub begann; der neue Chef gab sich mehr Mühe mit einem frühen Diner – der faule Halunke!

      Allein er hätte gern einen Blick auf das Haus geworfen. Ein Haus war für jeden Forsyte von Bedeutung, und besonders für einen, der Auktionator gewesen war. Schließlich meinte er, die Entfernung habe nichts zu sagen. Als jüngerer Mann habe er jahrelang in Richmond gewohnt, dort Wagen und Pferde gehalten und sei jeden einzigen Tag hin und zurück ins Geschäft gefahren. ›Vierspänner-Forsyte‹ hatten sie ihn genannt! Sein Wagen und seine Pferde wären von einem Ende Londons bis zum andern bekannt gewesen. Der Herzog von Z– wollte sie haben, er hätte ihm den doppelten Preis dafür gegeben, aber er hatte sie behalten. Hat man etwas Gutes, so soll man es schätzen, nicht wahr? Ein Ausdruck ungeheuer feierlichen Stolzes kam in sein breites, glattrasiertes, altes Gesicht, er wandte den Kopf in seinem Stehkragen hin und her wie ein aufgeblasener Truthahn.

      Sie war wirklich eine reizende Frau! Er gab Tante Juley, die über seine Ausdrucksweise die Hände überm Kopf zusammenschlug,


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