Humor. Frank Lisson

Humor - Frank Lisson


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Menschen von noch klügeren Menschen geraten, das Lachen wieder, also gewissermaßen neu zu lernen – und sich so in Gelassenheit zu üben. Derlei Aufforderungen finden sich bei Hermann Hesse (etwa im »Steppenwolf«) oder bei Nietzsche (im »Zarathustra«: »lernt mir lachen, meine Brüder«), worin sich jedoch auch immer eine kleine Resignation, wenn nicht eine kleine Verzweiflung verrät, die Ultima ratio, bevor man am Tragischen des Lebens zu zerbrechen droht, wie, um im Beispiel zu bleiben, Harry Haller oder Zarathustra.

      Vielleicht hat man wegen dieser Nähe des Ärgerlichen zum Heiteren den Ursprung des Lachens mit der Drohgebärde in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich gibt es Theorien, die besagen, das Lachen sei aus der archaischen Geste des Zähnezeigens entstanden, also aus einer Geste der Abschreckung heraus: Bei Bedrohung fletschte der Frühmensch, gleich dem Tier, die Zähne, um dem Gegner sein gesundes Gebiss zu zeigen und ihn dadurch einzuschüchtern, während in der eigenen Gruppe das Zähnezeigen, als Ausdruck von Gesundheit und Kraft, für Vertrauen, Sicherheit und Beruhigung, also für eine gewisse Heiterkeit, gesorgt habe, so dass diese Geste als Lachen interpretiert werden konnte. Freilich ist von solchen Theorien nicht allzuviel zu halten, denn es scheint nur wenig plausibel, warum ein und dasselbe Gebaren zwei völlig gegensätzliche Gemütszustände beschreiben oder zu erkennen geben sollte. Dennoch ist das Lachen eine im Grunde ernste Angelegenheit, da es seinen Ursprung mit Sicherheit nicht im Komischen hat, sondern, wie gesagt, lange vor der Sprache entstanden sein dürfte – und zwar als Zeichen der Deeskalation, als Ausdruck guter Absichten und der Friedfertigkeit. Es diente als Entspannungsgeste und ergab sich folglich nicht aus dem Verlangen heraus, auf Lustiges zu reagieren, sondern wurde zunächst aus der Not geboren. Das war das Lachen, das Ur-Lachen, das als kommunikativer Schutzmechanismus entstand, bevor sich unter Menschen ein Sinn für Komisches entwickelte. Später hat diese bereits vorhandene Fähigkeit oder dieser eingeübte Reflex dann auch den Ausdruck für die Freude am Komischen angenommen. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass Lachen aus der Bedrohungsgeste heraus entstand, denn dann wäre es für die gegenteilige Funktion kaum noch in Frage gekommen, ohne eine Anzahl heilloser Missverständnisse auszulösen.

      Rein physiologisch erklärt sich das Lachen etwa wie folgt: »Lachen ist ein Muskelphänomen, das aus krampfartiger Kontraktion und Entspannung der Gesichtsmuskeln mit entsprechenden Bewegungen im Zwerchfell besteht. Die assoziierten Zusammenziehungen des Kehlkopfs und des Kehldeckels unterbrechen das Atemschema und stoßen einen Ton aus.«2 – Aber das beschreibt freilich nur die Mechanik des Körpers oder von dessen Organen und Muskeln, die durch etwas Mentales ausgelöst wird, das dem Phänomen des Humors zugrunde liegt. Es reicht aber nicht aus, die Sache als Ganzes zu erfassen. Denn das Lachen ist eben nicht nur Ausdruck eines physischen Reizes, wie etwa das Husten, ist also keine bloße Körperreaktion, sondern eine Form der Artikulation von Geisteszuständen, Empfindungen und Stimmungen.

      Lachen kann verunsichern, ja sogar vernichten, wenn es als Waffe benutzt wird, aber in den meisten Fällen will und soll es die Lachenden beruhigen und sie miteinander in Freude vereinen; deshalb wirkt Lachen ansteckend, indem es allgemeine Entwarnung signalisiert. Lachen befreit somit vielmehr von einer sozialen Anspannung, als dass sich eine gespannte Erwartungshaltung in Nichts auflöst, wie die klassischen Witz-Theorien besagen. Überhaupt ist das Witzige viel seltener Ursache des Lachens, als allgemein angenommen wird, sondern zumeist bloß Medium, Träger oder Brücke eines Bedürfnisses, das gar nicht in der losgelösten Heiterkeit, sondern tief im Gruppenanbindungsverhalten verankert ist. Denn so sehr das Lachen als geistig-körperliche Bewegung, als orgiastische »Explosion« der eigenen Gesundheit zuträglich ist, so wenig geht dieses Verlangen doch vom »Körper« aus, der ohne weiteres nach Befriedigung verlangt, was dazu führt, dass sich das Verlangen, nachdem es gestillt wurde, auflöst; ganz ähnlich dem Verlangen nach körperlicher Anstrengung (Sport) oder dem nach Sex. Die Handlung des Lachens aber reicht weiter, denn mit ihr sind viel höhere, das heißt folgenreichere Anforderungen und Erwartungen verknüpft. Wer in Anwesenheit anderer lacht, will damit etwas ausdrücken, das die anderen betrifft, er interagiert mit ihnen, um die soziale Situation, in der er sich befindet, zu sondieren, vielleicht sogar zu beherrschen. Wohlwollendes Lachen dient als Zeichen von Übereinstimmung. So wie Lächeln als Ausdruck von Gewogenheit und Friedfertigkeit gewertet wird, so zeigt Lachen Kommunikationsbereitschaft an: Jemand macht einen Scherz – es muss kein guter sein –, und wir lachen, weil der Scherzende lacht, um damit zu signalisieren, dass wir ihm wohlgesonnen sind, uns die Situation angenehm ist, wir uns auf ihn einlassen und ein Gemeinschaftsgefühl herstellen wollen, eine Stimmung der Übereinkunft, die uns in das bestehende Sozialgefüge aufnimmt und einbindet. Deshalb wird in Gruppen, beim heiteren Beisammensein so viel gelacht. Nicht, weil wirklich Komisches oder gar Witziges passierte, sondern als Signal der Übereinstimmung und Zugehörigkeit, derer man sich gegenseitig versichern will.

      Innerhalb solcher Gruppen entstehen dann absichtsvoll Einheiten, deren Mitglieder geeignet sind, sich noch näher aneinander zu binden, »echte Freunde« zu werden. Menschen, die gemeinsam über die gleichen Dinge lachen können, empfinden einander in der Regel als sympathisch, da sie den gleichen Sinn für Humor teilen, geistig harmonieren. Darin liegt vielleicht die Grundlage aller zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn hier beginnt der Humor seine selektierende Funktion auszuüben: Er führt Menschen zusammen durch den Gleichklang ihrer Heiterkeit. Dagegen gelangen Menschen, die nicht über den gleichen Sinn für Humor verfügen, kaum je zu einem tieferen Verständnis füreinander, denn über den Humor teilt der Mensch sein Wesen mit, indem er zeigt, wie es um seine Sicht auf die Welt und damit um ihn selber bestellt ist.

      Und das kann oft eine ganz einfache Sicht sein, die einem zutiefst schlichten Gemüt entspringt. Lachen führt dann zur Erholung des Geistes von den Anstrengungen des Denkens und davon, ein zur Vernunft begabtes Wesen zu sein, weshalb die seichtesten Komödien und die albernsten Shows das breiteste Publikum anziehen. Je platter die Witze, desto schallender das Gelächter, worin der Mensch etwas Befreiendes, Reinigendes erlebt; wie zum Beispiel während des Karnevals, wenn sich diverse Anspannungen in Gelassenheit entladen.

      Der subtile Witz vermag dagegen eine solche Wirkung nicht zu erzielen. Er belässt den Geist in seiner »natürlichen« Anspannung, während die Albernheit die Menschen vereint und »erlöst«, worin ein tiefes Bedürfnis zu bestehen scheint, was die schiere Anzahl und der Erfolg diverser Blödel-Shows belegt, die ganz bewusst auf Niveaulosigkeit setzen und diese zu ihrem Markenzeichen erheben. Man will beim Lachen nicht auch noch denken müssen, und man will über Menschen lachen, die dümmer scheinen als man selber. Deshalb verschwindet in Massen- und Mediengesellschaften der raffinierte Witz und das, was im 18. Jahrhundert »Esprit« hieß, immer mehr aus der Öffentlichkeit. Denn alle Komiker buhlen und konkurrieren um das gleiche Publikum – ähnlich den Parteien, die dem Wähler ebenfalls durch Gewöhnlichkeit und durch Vermeidung von Scharfsinn, Bildung, Esprit und herausragender Persönlichkeit täglich suggerieren, auf keinen Fall klüger, honoriger, gesitteter, untadeliger zu sein als ihre Wähler. Man darf nicht nur, man soll über den Politiker lachen, sowie der Politiker auch über den Wähler lacht; darin besteht die stille Übereinkunft zwischen Wähler und Gewähltem, ihre Gleichstellung. Deshalb gibt es in der nivellierten Gesellschaft auch keine echte gesellschaftliche Ironie mehr oder gar den intelligenten politischen Witz, weil Regierende und Regierte geistig, sittlich, moralisch auf der gleichen Stufe stehen, jegliche Standes- oder Klassenunterschiede restlos aufgehoben sind, sich niemand mehr vom anderen durch Erziehung, Bildung oder Geschmack auffällig unterscheidet. Das war in vormodernen Gesellschaften freilich noch anders.

      In seinem Film »Ridicule. Von der Lächerlichkeit des Scheins« (1996) zeigt Patrice Leconte, welche Macht der Esprit am französischen Hof und überhaupt in der Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts besaß. Ein witziger Einfall konnte alle Türen öffnen, ein missglücktes, peinliches Wortspiel dagegen zum Verhängnis werden. Unter diesem Druck stehend träumt eines Nachts der Protagonist, Marquis Ponceludon de Malavoy, der sich wegen eines dringenden Anliegens unbedingt Zugang zum König verschaffen will, er befinde sich kurz vor der Hinrichtung – da sagt der Henker: »Ein Bonmot und du bist gerettet.« Glücklicherweise verfügt Ponceludon im wachen Zustand tatsächlich über die nötige Schlagfertigkeit. Als der Landadlige endlich auf den König trifft, verlangt dieser, er möge ihm eine Kostprobe seines Esprits geben und spontan etwas Scharfsinnig-Witziges sagen, zum Beispiel über die Krone, woraufhin Ponceludon meint: »Aber Sire, die Krone ist kein Aufsatz.«


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