Rassismus und kulturelle Identität. Stuart Hall
unserer festen politischen Gewohnheiten an dem Film Passion of Remembrance so beunruhigend ist. Diese doppelte Brechung beinhaltet eine andere Weise von Politik, da sich radikale schwarze Politik häufig um bestimmte Konzeptionen von schwarzer Männlichkeit stabilisiert hat, die erst jetzt von schwarzen Frauen und schwarzen schwulen Männern in Frage gestellt werden. Auch in der Klassenfrage wurde schwarze Politik an bestimmten Punkten durch eine tiefe Abwesenheit oder, noch typischer, durch ein ausweichendes Schweigen untermauert.
Ein anderes, in die neue Politik der Repräsentation eingeschriebenes Element hat mit der Frage nach Ethnizität zu tun. Ich bin mir all der Gefahren bewusst, die mit dem Konzept der Ethnizität zusammenhängen, und habe mich selbst über die Tatsache geäußert, dass Ethnizität in Form einer kulturell konstruierten Bedeutung von Englischsein und einer besonders geschlossenen, ausschließenden und regressiven Form von englischer nationaler Identität einer der Kernbestandteile des heutigen britischen Rassismus ist (Hall 1978c). Ich bin mir auch sehr wohl darüber bewusst, dass sich antirassistische Politikformen oft im Widerstreit zur ›Multiethnizität‹ und zum ›Multikulturalismus‹ entwickelt haben. Andererseits denke ich, so wie sich die Politik der Repräsentation des schwarzen Subjekts verändert, werden wir einen erneuerten Streit über die Bedeutung des Begriffs ›Ethnizität‹ selbst erleben.
Wenn das schwarze Subjekt und die schwarze Erfahrung nicht durch die Natur oder andere wesenhafte Garantien stabilisiert werden, dann müssen sie historisch, kulturell und politisch konstruiert sein – der Begriff, der dies bezeichnet, ist der der ›Ethnizität‹. Dieser Begriff erkennt den Stellenwert von Geschichte, Sprache und Kultur für die Konstruktion von Subjektivität und Identität an, sowie die Tatsache, dass jeder Diskurs platziert, positioniert und situativ ist und jedes Wissen in einem Kontext steht. Repräsentation ist nur deshalb möglich, weil jede Ausdrucksweise immer innerhalb von Codes produziert wird, die eine Geschichte und eine Position innerhalb der diskursiven Formationen eines bestimmten Raumes und einer bestimmten Zeit haben. Die Zerstreuung der im ›Zentrum‹ stehenden westlichen Diskurse hat die Infragestellung ihres universalistischen Charakters und ihres übergreifenden Anspruchs, für alle zu sprechen, zur Folge, während sie selbst überall und nirgends sind. Die Tatsache, dass diese Begründung von Ethnizität mit Differenz im rassistischen Diskurs als ein Mittel entwickelt wurde, um die Realität von Rassismus und Unterdrückung zu leugnen, kann nicht bedeuten, dass wir es zulassen, dass dieser Begriff auf Dauer kolonisiert bleibt. Diese Aneignung wird erkämpft werden müssen, der Begriff wird von seiner Position im ›Multikulturalismus‹-Diskurs desartikuliert und umcodiert werden müssen, so wie wir eben erst den Begriff ›schwarz‹ von seinem Platz im System negativer Gleichsetzungen herauslösen mussten. Die neue Politik der Repräsentation setzt daher auch einen ideologischen Streit über den Begriff ›Ethnizität‹ in Gang. Um jedoch diese Bewegung weiter zu verfolgen, werden wir das Konzept der Differenz neu theorisieren müssen.
Es sieht so aus, als ob wir jetzt in den verschiedenen Praktiken und Diskursen schwarzer Kulturproduktionen damit beginnen würden, genau solche neuen Konzeptionen von Ethnizität zu sehen: eine neue kulturelle Politik, die Differenzen eher unterstützt als unterdrückt und die zum Teil von der kulturellen Konstruktion neuer ethnischer Identitäten abhängig ist. Differenz ist ebenso schwierig zu fassen wie Repräsentation und daher ein umkämpfter Begriff. Es gibt die ›Differenz‹, die eine radikale und unüberbrückbare Trennung verursacht. Und es gibt eine ›Differenz‹, die positional, konditional und konjunkturell ist und eher Derridas Begriff der différance entspricht, obwohl wir, wenn wir daran interessiert sind, Politik zu machen, den Begriff nicht ausschließlich durch ein endloses Gleiten des Signifikanten bestimmen können. Wir haben immer noch eine Menge Arbeit vor uns, um den Begriff Ethnizität, so wie er im herrschenden Diskurs funktioniert, von seinen Äquivalenzen mit Nationalismus, Imperialismus, Rassismus und dem Staat zu entkoppeln, die die Anknüpfungspunkte sind, an denen eine charakteristische britische oder (genauer gesagt) englische Ethnizität gebildet worden ist. Trotzdem denke ich, dass ein solches Projekt nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. In der Tat ist die Entkopplung der Ethnizität von der Gewalt des Staates in einigen neuen Formen kultureller Praktiken enthalten, wie sie zum Beispiel in Filmen wie Passion und Handworth Songs9 vorkommen. Wir beginnen darüber nachzudenken, wie eine weniger zwangsförmige und stärker differenzierte Konzeption von Ethnizität repräsentiert werden kann, um diese gegen die befestigte, hegemoniale Konzeption des Englischseins zu setzen, die unter dem Thatcherismus so vieles in den dominanten politischen und kulturellen Diskursen stabilisiert hat und die sich, da sie hegemonial ist, überhaupt nicht als Ethnizität darstellt.
Dies markiert eine reale Verschiebung des Gegenstandes der Auseinandersetzung, da es nicht mehr nur noch um den Streit zwischen Antirassismus und Multikulturalismus geht, sondern um die Vorstellung von Ethnizität selbst. Damit hängt die Aufteilung des Begriffs der Ethnizität zusammen: einerseits in die dominante Vorstellung, welche diesen mit Nation und ›Rasse‹ verknüpft, andererseits in die, von der ich denke, dass sie der Anfang einer positiven Konzeption von Ethnizität an den Rändern und in der Peripherie ist. Das ist sozusagen die Anerkennung dessen, dass wir alle von einer bestimmten gesellschaftlichen Position aus sprechen, aus einer bestimmten Geschichte heraus, aus einer bestimmten Erfahrung, einer bestimmten Kultur, ohne durch diese Position wie ein ›ethnischer Künstler‹ oder Filmemacher eingeschränkt zu werden. In diesem Sinne sind wir alle ethnisch verortet, unsere ethnischen Identitäten sind für unsere subjektive Auffassung darüber, wer wir sind, entscheidend. Doch diese Erkenntnis schließt ein, dass eine solche Ethnizität nicht, wie es das Englischsein war, dazu verdammt ist, nur durch Marginalisierung, Enteignung, Verdrängung und das Vergessen anderer Ethnizitäten zu überleben. Dies ist genau eine Politik der Ethnizität, die auf Differenz und Verschiedenheit basiert.
Der letzte Punkt, von dem ich denke, dass er in dieser neuen Repräsentationspolitik enthalten ist, hat mit dem Bewusstsein zu tun, dass die Erfahrung der Schwarzen eine Erfahrung der Diaspora ist und dass dies Konsequenzen für den Prozess des Durcheinanderwerfens, des Wiederzusammensetzens, der Hybridisierung und des ›Schneidens und Mixens‹, kurz, einen Prozess der kulturellen Diasporaisierung (um einen hässlichen Begriff zu prägen) mit sich bringt. Im Falle des hier diskutierten jungen schwarzen britischen Films und seiner Filmemacher/innen wird die Erfahrung der Diaspora sicherlich grundsätzlich gespeist und gestärkt durch die Herausbildung des Dritte-Welt-Films, die afrikanische Erfahrung, die Verbundenheit mit der afrokaribischen Erfahrung und das tiefverwurzelte Erbe komplexer Repräsentationssysteme und ästhetischer Traditionen der asiatischen und afrikanischen Kultur. Doch trotz dieser reichen kulturellen ›Wurzeln‹ arbeiten die neuen kulturellen Politikformen auf neuem, recht unterschiedlichem Terrain – insbesondere, was die Auseinandersetzung darüber angeht, was es heißt, ›britisch‹ zu sein. Die Verbindung dieser kulturellen Politikformen zur Vergangenheit, zu ihren unterschiedlichen ›Wurzeln‹ ist weitreichend, doch komplex. Sie kann nicht einfach oder unvermittelt sein. Wie uns das der Film Dreaming Rivers ins Gedächtnis ruft, ist sie durch Erinnerung, Phantasie und Verlangen komplex vermittelt und umgeformt; oder ihre Verbindung ist, wie uns sogar ein explizit politischer Film wie Handworth Songs klar verdeutlicht, intertextuell – vermittelt durch eine Vielfalt anderer ›Texte‹. Daher kann es auch keine einfache ›Wiederkehr‹ oder ›Wiederentdeckung‹ einer ursprünglichen Vergangenheit geben, die nicht durch die Kategorien der heutigen Zeit hindurch erfahren wird: Es gibt für kreative Aussagen keine Basis in einer einfachen Reproduktion von traditionellen Formen, die nicht durch neue Technologien und Identitäten der Gegenwart transformiert sind. Das wurde durch einen Film wie Blacks Britannica schon früh und kürzlich durch Paul Gilroys wichtiges Buch There Ain’t no Black in the Union Jack (1987) erneut signalisiert. Vor fünfzehn Jahren haben wir uns oder zumindest ich mich nicht darum gekümmert, ob im Union Jack schwarz vorkommt. Nun tun wir es nicht nur, wir müssen es auch tun.
Übersetzt von Joachim Gutsche und Dominique John
* Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag auf der Konferenz Black Film, British Cinema im Februar 1988, die vom Institute of Contemporary Arts in London organisiert wurde.