Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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das sich in den großen Volksparteien sammelte, keine nennenswerte Utopie entwickelt, die über den US-amerikanischen Traum und das Urvertrauen in dessen demokratische Garantien hinausginge.«

      Schirrmacher registrierte den »Entzug dieses Fluchtpunkts« als momentanen politischen Nihilismus. »Bush multipliziert uns mit null.« Als Linker hatte man die analoge Erfahrung gemacht, vom moralischen Ruin des Sozialismus politisch mit null multipliziert worden zu sein. Doch die Kapitalismuskritik und die Perspektive solidarischer Vergesellschaftung waren dadurch nicht ausgelöscht, während hier die Perspektive ausgelöscht schien. Es waren vor allem Reflexionen John Bergers aus Le Monde diplomatique vom Februar 2003 über den von der Regierung Bush praktizierten Machttypus, denen Schirrmacher sich unterm Eindruck der Krise nicht mehr verschließen mochte: »Jenseits der Ideologie«, hatte Berger über die USA geurteilt, »basiert ihre Macht auf zwei Drohungen. Die erste ist die Intervention aus dem Himmel durch den am stärksten bewaffneten Staat der Erde. Man kann es [nach dem Kürzel für den Langstreckenbomber der US-Luftwaffe] die Drohung B 52 nennen. Die zweite ist rücksichtslose Verschuldung, Bereitschaft zum Bankrott und, angesichts der Wirtschaftsbeziehungen in der Welt, dadurch ausgelöste Verarmung und Hunger. Man kann diese Drohung ›Drohung null‹ nennen.« Im Krisenherbst des Jahres 2008 sah nun Schirrmacher »die Phase der Null […] im Begriff, zu einem historischen Ereignis zu werden«. Was den bürgerlichen Liberalen bleibe und sich mit der staatssozialistischen Hypothek vergleichen lasse, sei »die beschämende Erfahrung der tiefen Untreue gegen uns selbst, das überwältigende Erlebnis der Ohnmacht«. In John Bergers Worten: »In den sich ständig wiederholenden Reden, Erklärungen, Pressekonferenzen und Drohungen sind die immer wiederkehrenden Begriffe Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Terrorismus. Jedes dieser Worte bedeutet in seinem Kontext exakt das Gegenteil, was es einst bedeutete. Jedes ist […] ein Mafia-Wort geworden, das der Menschheit gestohlen worden ist.«

      Wenn der bis gestern verdrängte Keynes plötzlich wieder aktuell war, wenngleich zunächst »ganz überwiegend ohne Erwähnung […] des Namens« (Zinn 2008a, 24), so hallte dieser Name nun wieder in den Kommentaren der »Wirtschafts-Intellektuellen, einer neuen Branche, die sich im Augenblick hoher Nachfrage« erfreute (Schirrmacher 2008b). »Wir sind jetzt alle Keynesianer«, gab Josef Stiglitz, der sich als einer der in dieser Linie Denkenden »über drei Jahrzehnte lang […] beinahe gemieden« gefühlt hatte, Ende 2008 ironisch zu Protokoll. »Selbst der rechte Flügel in den Vereinigten Staaten hat sich dem keynesianischen Lager mit ungezügelter Begeisterung angeschlossen.« (Ebd.) Und Sahra Wagenknecht bestätigte: »Der Ruf nach Deregulierung, Privatisierung und Markt­orientierung, das Mantra des Neoliberalismus, wirkt plötzlich so altbacken und unzeitgemäß wie in den 90er Jahren die Forderung nach Verstaatlichung zentraler Wirtschaftsbereiche, die damals nur wenige Linke noch vorzutragen wagten.« (2008, 7)


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