Die Perfektionismus-Falle. Reinhold Ruthe
wir uns das Gespräch an. Kann der Perfektionist Unordnung ertragen? Einige Gesichtspunkte:
Gesichtspunkt Nr. 1:
Der Perfektionist kann Unordnung ertragen.
Auch wenn es ihm schwer fällt. Er leidet. Aber Halbheiten hasst er. Eine »leidliche Ordnung« ist keine Ordnung. Er strebt das Vollkommene an, und diese Vollkommenheit braucht Zeit.
Gesichtspunkt Nr. 2:
Der Ratsuchende hat ein »großes Problem«.
Das ist typisch für den Perfektionisten. Er macht aus Mücken Elefanten. Kleinigkeiten werden dramatisiert. Fehler und Mängel zu übersehen fällt ihm schwer. Je perfektionistischer ein Mensch denkt, desto mehr leidet er unter Schwächen und Unvollkommenheiten. Ihm fehlt der Mut zur Unvollkommenheit.
Gesichtspunkt Nr. 3:
Der Pedant und Pingel macht sich das Leben schwer.
Er kann nicht großzügig denken. Es fällt ihm schwer, über sich und andere zu lachen. »Humor ist, wenn man trotzdem lacht!« Wer Fehler übersehen, Schwächen beiseitelegen und Unvollkommenheiten belächeln kann, ist ein glücklicher und zufriedener Mensch. Der Perfektionist versteht es, sich selbst ein Bein zu stellen.
Perfektionismus und die Gaben-Bremse
Perfektionisten wollen keine Fehler machen. Wer aber keine Fehler machen will, muss alle Aktivitäten bremsen. Er tut gut daran, seine Talente zu vergraben.
Da ist die Geschichte, die uns Jesus von einem Mann erzählt, der verreisen wollte. Vorher rief er seine Diener zusammen und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Zentner Silbergeld, dem anderen zwei Zentner und dem dritten einen Zentner, je nach ihren Fähigkeiten. Der letzte Halbsatz ist entscheidend. Jesus kennt auch unsere Begabungen. Er schätzt alle Menschen richtig ein. Von Christen mit hohen Begabungen erwartet er mehr als von Menschen mit kleinen Begabungen. Niemand wird von ihm überfordert. Niemand wird getadelt, dass er nur kleine Möglichkeiten zur Verfügung hat. Wenn aber jemand das anvertraute Gut in den Safe packt, wenn jemand seine Talente vergräbt, dann erfährt er Gottes Urteil.
Perfektionisten, die Fehler machen könnten, sind solche Gaben-Bremser. Ihre Befürchtungen sind größer als ihr Wagemut, ihre Ängste sind größer als ihre Fähigkeiten. Perfektionisten wittern tausend Pleiten. Sie grübeln in alle Himmelsrichtungen und lähmen ihre Kräfte. Perfektionisten stehen sich selbst im Weg. Sie blockieren ihr Leben.
Der Benediktiner-Prior Anselm Grün kennzeichnet diese Angsthasen so:
»Der Angsthase. Die Angst vor dem Herrn ist der Grund dafür, dass der Diener sein Talent vergräbt, dass er am Leben vorbeilebt. Er möchte auf jeden Fall vermeiden, einen Fehler zu machen. Er möchte auf Nummer sicher gehen. Und die Angst treibt ihn dazu an, sich und sein Leben zu kontrollieren. Er hat Angst vor dem Tod, Angst vor Versagen, Angst, sich vor anderen zu blamieren.«7
In der Tat, Menschen mit einem mangelhaften Selbstbild haben in der Regel ein mangelhaftes Gottesbild. Die Lebensangst des Perfektionisten blockiert ihn auf allen Gebieten. Der Perfektionist grübelt und sichert zu viel. Jesus geht hart mit diesen Menschen ins Gericht. Ihnen wird alles genommen, was sie haben.
Perfektionismus und Idealismus
Viele Christen versuchen, idealistisch zu leben. Ihre Ansprüche an sich und andere sind riesig. Wie kann sich dieser Idealismus äußern?
▪ Sie können sich Fehler nicht verzeihen.
▪ Sie praktizieren heftige Selbstbeschuldigungen.
▪ Sie wollen alle Leidenschaften niederringen.
▪ Sie reagieren mit übergroßen Schuldgefühlen.
▪ Sie lassen in der Ehe, in der Kindererziehung, im Haushalt und im Glauben nur das Höchste und Beste zu.
Dieser Idealismus macht den Christen unfroh. Er unterzieht sich einem »geistlichen Terror«, der biblisch und geistlich unverantwortlich ist. Christen legen sich Lasten auf, die ihnen Gott nicht auferlegt hat. Ihre Maßstäbe, die sie an alles legen, sind überhöht. Werden diese Maßstäbe nicht erreicht, fallen diese Menschen in Resignation und Bitterkeit. Ihre Enttäuschungen sind selbstzerstörerisch.
Der Franziskaner-Pater Richard Rohr beschreibt mit entwaffnender Ehrlichkeit, wie Perfektionismus und Idealismus zusammenhängen:
»EINSer sind Idealisten, die von einer tiefen Sehnsucht nach einer Welt der Wahrheit, Gerechtigkeit und moralischen Ordnung angetrieben werden. Sie tun sich schwer, eigene und fremde Unvollkommenheiten zu akzeptieren. Ich selbst bin eine EINS. Von klein an haben wir EINSer meistens versucht, Musterkinder zu sein. Schon in sehr jungen Jahren haben wir jene ausgesprochenen oder unausgesprochenen Stimmen internalisiert, die gefunkt haben: ›Sei brav! Benimm dich! Streng dich an! Sei nicht kindisch! Mach es besser!‹… Oft ist eins der beiden Elternteile eine EINS, moralistisch, perfektionistisch oder ewig unzufrieden.«8
Nach dem »Enneagramm« sind die EINSer die Moralischen und die Perfektionisten. Häufig Musterkinder und Idealisten, die die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen trachten. Ihre überehrgeizigen Ziele und ihre überzogenen Ideale machen sie unzufrieden und unglücklich. Ihre Enttäuschung ist groß, weil sie auf vielen Gebieten ständig hinter idealistischen Maßstäben herlaufen. Viele Idealisten üben Verzicht. Ihre Askese ist in erster Linie Selbstbeschränkung. Sie wollen ihre Triebe, ihre Gefühle und alle Bedürfnisse unter Kontrolle behalten. Unter der Hand werden diese Idealisten zu Pharisäern.
Perfektionistische Lebensstile
Ein Selbsterforschungsfragebogen
Hinweise für den Selbsterforschungsfragebogen
»Perfektionistische Lebensstile«
▪ Füllen Sie den Fragebogen ehrlich aus und machen Sie ein Kreuz in eins der drei Fächer.
▪ Ihr Lebensstil beinhaltet Ihre Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster. Er beinhaltet Ihre wichtigsten Glaubens- und Lebensüberzeugungen.
▪ Im Grunde spiegeln alle 20 Aussagen eine perfektionistische Grundeinstellung wider. Wie oft haben Sie »stimmt etwas« bzw. »stimmt voll« angekreuzt?
▪ Wenn Sie etwa 15-mal ehrlich »falsch« angekreuzt haben, sind Sie mit relativer Sicherheit kein Perfektionist und leiden sehr wahrscheinlich nicht unter Unzufriedenheit und Unglücklichsein.
▪ Haben Sie Lebens- und Arbeitsprobleme? Leiden Sie unter Unzufriedenheit und Stress? Spüren Sie psychosomatische Belastungen? Je mehr Sie diese Fragen positiv beantworten müssen, desto mehr sollten Sie sich um eine Korrektur Ihres Lebensstils bemühen, der höchstwahrscheinlich auf Vollkommenheitsstreben hindeutet.
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