Wenn ich das geahnt hätte. Anne Christina Mess
als neues Trauma
Kapitel 6 Hilfe mit biblischem Hintergrund
Von Menschen und Gott verlassen?
Jesus kennt all unsere Gefühle
Schritt für Schritt – auch für die Angehörigen
Auf der Suche nach einer Antwort
Dürfen Christen sich umbringen?
Anhang
Vorwort zur 1. Auflage
Bei meiner psychotherapeutischen Arbeit sind mir immer wieder Menschen begegnet, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten oder einen ihnen nahestehenden Menschen durch Selbstmord verloren haben. In meiner Grundschulzeit hatte ich in jeder der vier Klassen eine neue Lehrerin, was vor über 30 Jahren unüblich und schlicht darin begründet war, dass zwei von ihnen sich umbrachten. So sehr mich diese für ein Kind unfassbaren Todesfälle erschreckten, lösten sie doch ein erstes Interesse am Thema Selbstmord aus. Dieses sollte mich auch weiter beschäftigen:
Als Studentin im Psychiatrie-Praktikum auf der Psychotherapie-Station einer großen Klinik wurde ich damit konfrontiert, dass eine Patientin sich erhängte. Zudem hatte ich einen Kommilitonen, der erst seinen Hund und dann sich selbst erschoss, sowie einen Studienfreund, der durch einen ungewöhnlichen Autounfall zu Tode kam. Ich merkte, dass trotz aller Faszination bei der Beschäftigung mit Selbstmördern in Literatur und Realität mir die Austauschmöglichkeiten fehlten über dieses große Tabu-Thema, mit dem fast etwas Mystisches verbunden war. Wenn auch noch unzureichend, findet doch inzwischen eine Enttabuisierung statt hin zu einer Sensibilität für die Aktualität und Brisanz des Themas. In christlichen Gemeinden scheint dieser Themenbereich noch immer besonders stark ausgespart oder aber Selbstmord schlicht als unverzeihliche Sünde abgetan zu werden. In der psychotherapeutischen Arbeit mit christusgläubigen Patienten, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkamen, wurde oft eine besonders große Erleichterung spürbar, wenn sie ihre Selbstmordgedanken im geschützten Rahmen und ohne strafende Blicke oder Bemerkungen äußern konnten.
Dieses Buch ist als Brücke gedacht, die eine Verbindung schaffen soll zwischen den Ufern von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Hintergründen zum Selbstmord einerseits und den manchmal hilflosen Helfern suizidaler Menschen andererseits. Es soll den Nebel der weitverbreiteten Mythen zum Selbstmord ein wenig auflösen, lebensmüden Menschen Hoffnung auf eine Chance in ihrer Lebenskrise vermitteln und hilfsbereiten Mitmenschen Möglichkeiten und Grenzen ihrer Hilfe aufzeigen.
Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit verwende ich nur die maskuline Form, wobei ich weibliche Personen jeweils mit einbeziehe. Ich verwende die Begriffe Patient, Ratsuchender und Suizidgefährdeter sowie Therapeut, Seelsorger und Helfer zur stilistischen Auflockerung im Wechsel und weise an den entsprechenden Stellen darauf hin, wenn ausschließlich ein Fachmann gemeint ist. Die zur Veranschaulichung gewählten Fallvignetten habe ich jeweils so entfremdet, dass sich niemand aus meiner Praxis darin wiederfinden kann. Allerdings entdeckt sich vielleicht der eine oder andere mir nicht bekannte Leser selbst darin. Dann könnte es daran liegen, dass wir Menschen uns in vielem sehr ähnlich sind und in existenziellen Notsituationen durchaus an die Frage nach dem Sinn des Lebens oder seiner freiwilligen Beendigung stoßen können.
Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage
Bereits kurze Zeit nach Erscheinen der 1. Auflage tauchte in der Arbeit mit Menschen, die in irgendeiner Weise das Thema Suizid in die Therapiesitzungen mit einbrachten, die Idee auf, dass Arbeitsblätter für Betroffene, Angehörige und sonstige Hinterbliebene nützlich sein könnten. Durch die Nachfrage nach dem Buch, Einladungen zu Autorenlesungen und Patientengespräche zeigte sich die unveränderte Brisanz des Themas. Die Neuauflage des Buchs hat einen leicht veränderten Fokus. Er ist auf die Menschen gerichtet, die den Verlust eines durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Menschen verkraften müssen. Sie stehen vor der Aufgabe, »die Trümmer ihres inneren Erdbebens« zu beseitigen und eine neue emotionale und handlungsleitende Ausrichtung auf ihre Zukunft zu finden, mit der sie sich am Leben halten. Zur Unterstützung bei dieser Herausforderung wurden Arbeitsblätter entwickelt. Sie stellen ein Instrument zur Verfügung, um die eigene emotionale Achterbahn, die durch den Suizid eines nahestehenden Menschen möglicherweise ausgelöst wurde, zu analysieren und zu verstehen sowie »emotionalen Ballast« abzuladen und damit Erleichterung im Marschgepäck auf dem Weg durch das eigene weitere Leben zu finden. Die Arbeitsblätter können bezogen werden über www.acmess.de.
Danken möchte ich an dieser Stelle jenen Menschen, die mich an ihren Erfahrungen mit dem Thema Selbstmord haben Anteil nehmen lassen. Meinem (Geschäfts-) Partner Henry Müller-Späth danke ich für seine inspirierenden Anregungen für den Feinschliff des Manuskripts sowie dem Verlag für die Idee der Neuauflage und deren kooperative Umsetzung.
Leonberg, im Sommer 2009
KAPITEL 1
Was löst ein »gelungener« Suizid bei Hinterbliebenen und Helfern aus?
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) geht davon aus, dass jeder Suizidtote 5 bis 7 Angehörige hinterlässt. Dies sind Menschen, die – zumeist unerwartet – vor der Aufgabe stehen, eine schmerzliche Lücke in ihrem realen Leben, aber auch oder insbesondere in ihrem Seelenleben schließen zu müssen. Jährlich sind allein in Deutschland etwa 60 000 bis 80 000 hinterbliebene Menschen direkt von dieser Todesart betroffen. Unberücksichtigt bleiben dabei größere Personengruppen wie Mitarbeiter von Firmeninhabern, die sich aus finanzieller Not heraus vor einen Zug werfen und damit ihre Belegschaft hinterlassen. Aber auch