Ein Haus voller Robinsons. Adrian Plass
ihr gesagt, dass sie mir nach ihren geistlichen Fressgelagen eigentlich nie sonderlich verändert vorkommt und dass sie eigentlich nur Schritt für Schritt allmählich herausfindet, dass sie eine gerettete Sünderin ist.“
„Oh …!“
Ströme ärgerlicher Missbilligung stürzten auf meinen gesenkten Kopf herab.
„Und ich, äh … habe ihr gesagt, dass ihr ewiges Gerede, sie wäre vollkommen verwandelt, ein einziger Haufen Blödsinn sei, und unter dem Strich würde sie eigentlich nur endlos über sich selber schwafeln.“
„Das hast du mit diesen Worten gesagt?“
„Nein - ja - ach, wahrscheinlich noch schlimmer. Immerhin habe ich gesagt, dass ich es selbst auch nicht anders mache …“
Ich riskierte einen Blick durch den Palisadenzaun meiner Finger. Nach Mikes Gesichtsausdruck zu urteilen, würde ich jeden Moment aus dem Klassenzimmer geschickt werden, um für den Rest des Tages an einem kleinen Tisch Aufgaben zu rechnen, als abschreckendes Beispiel für die anderen Kinder. Dann fiel mir noch etwas ein.
„Ach ja, und zum Schluss habe ich ihr noch gesagt, dass sie lernen muss, sich zu entspannen. Mhm, richtig, das habe ich auch noch gesagt.“
„Du hast ihr vorgeworfen, sie könne sich nicht entspannen?“
„Ja.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“
In diesen nicht gerade seltenen Momenten, wenn ich meine abscheulichen Verbrechen offen eingestand, hatte ich immer das Gefühl, dass Mike mich innerlich frustriert drängte, mich selbst auszuschimpfen, damit er es nicht tun müsste - sozusagen mir selbst eine zu knallen und mich mit Vorwürfen zu überhäufen, bis ich heulen müsste und er mir mit ein wenig wohldosiertem Trost zur Seite springen könnte. Es machte ihn wahnsinnig, dass ich mit ausdrucksloser Stimme sprach und mich nie freiwillig dazu bereit erklärte, zur Buße für meine Sünden die Latrinen mit einer Zahnbürste zu schrubben oder den Rasen mit einer Nagelschere zu mähen. Als er merkte, dass der erhoffte reuevolle Zusammenbruch wie üblich nicht zu erwarten war, ging er zum nächsten Thema über.
„Und das Mädchen an der Tür - das Milchmädchen -, was hast du zu ihr gesagt?“
„Der habe ich mehr oder weniger gesagt, sie solle verschwinden, weil ich keine Ahnung hätte, wovon sie da redete, und dann habe ich ihr die Tür vor der Nase zugeknallt.“
Wieder schüttelte Mike den Kopf.
„Kathy, ich verstehe nicht, wie du dasitzen und mir das einfach so erzählen kannst, als wäre es völlig bedeutungslos. Wirklich.“
Wir wollen doch eigentlich Christen sein, oder?
„Wir wollen doch eigentlich Christen sein, oder?“
Schweigend saßen wir da. Mike fragte sich, warum ich nicht endlich anfing, mir selbst den Hintern zu versohlen, und ich sah es kommen, dass wir gleich auf das Thema zu sprechen kommen würden, das mich endlich zum Weinen bringen würde.
„Und was hatte Mark mit der ganzen Sache zu tun? Was hat er angestellt?“
Ich lehnte mich zurück und schlug mir mit den Handflächen schwungvoll auf die Schenkel.
„Keine Ahnung.“
„Du weißt nicht, was er angestellt hat? Aber warum -“
„Ich weiß nur, was ich gefühlt habe. Irgendwie weiß ich schon, was er getan hat. Er hat nicht nachgedacht.“
„Worüber?“
„Ach, Mike, das hast du mich doch alles schon einmal sagen hören. Ach was, einmal - Dutzende Male. Wenn ich das jetzt alles noch einmal durchkauen muss, werde ich am Ende lallen, als wäre ich von Geburt an schwachsinnig. Die ganze Sache hört sich so blöd an. Er hat ein zu kleines Handtuch um die Hüften getragen und einen Witz vorgelesen, der nicht witzig war; das Handtuch fiel ihm für eine halbe Nanosekunde herunter, und dann wollte er viel zu viel Shredded Wheat mit viel zu viel Zucker mit einem Riesenlöffel aus einer viel zu großen Schüssel essen, und was das Schlimmste ist, er hat sich die falsche blöde Mutter ausgesucht. So, jetzt weißt du's.“
„Und was war das mit seinem - entschuldige, mit deinem Kamm, den er auf den Flurteppich fallen lässt, wenn er damit fertig ist? Mir kam es so vor, als sei das für dich ein lebenswichtiger Punkt.“
„Sarkasmus steht dir nicht, Mike. Warum bleibst du nicht einfach dabei, langweilig zu sein?“
Aaaargh!
Am liebsten hätte ich beide Hände ausgestreckt und die letzten neun Worte, die ich gesprochen hatte, aufgefangen, bevor sie seine Ohren erreichen konnten. Natürlich konnte ich das nicht. Das kann man nie, nicht wahr? Sie waren gesprochen.
Sie waren heraus. Sie waren dabei, anzurichten, was immer sie anrichten würden. Der waidwunde, verdatterte Ausdruck in Mikes Augen war unerträglich. Ich schob meinen Stuhl zurück, ging um den Tisch und trat hinter ihn, um mit den Armen seine Brust zu umschlingen und meinen Kopf an seinen zu lehnen.
„Bitte hör nicht auf das, was ich gesagt habe, Mike. Ich weiß, ich habe mich furchtbar benommen. Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen. Ich hätte dich heute Morgen bitten sollen, aufzustehen, anstatt den Rest der Welt meiner schlechten Laune auszusetzen. Ich bin dauernd aufgewacht, habe mir Sorgen gemacht, habe gegrübelt und mir den Kopf zerbrochen …“
„Worüber hast du dir den Kopf zerbrochen?“
Seine Stimme hörte sich furchtbar kalt an.
„Ach, alles mögliche - blödes Zeug. Es ist doch immer dasselbe; in der Nacht kommt einem alles viel schwerwiegender und ernster vor, nicht wahr? Mir ist einfach jedes Augenmaß flöten gegangen. Du weißt doch, wie ich bin, wenn ich nicht schlafen kann - die Ehefrau und Mutter, die aus der Hölle kam.“
Mir sank das Herz. Der Oberkörper meines Mannes fühlte sich irgendwie starr und unnachgiebig an. Mike war ein sehr freundlicher Mann. Normalerweise hätte ihm allein die Erwähnung von Schlafmangel oder einer schlechten Nacht zumindest ein Tätscheln meiner Hand entlockt. Diesmal nicht. Sorgfältig streifte er meine Arme von sich, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und sprach, ohne mich anzusehen.
„Und eines der Dinge, über die du dir den Kopf zerbrochen hast, war, wie du nur jemals so einen Langweiler wie mich heiraten konntest, was, Kathy?“
Mir wurde klar, dass ich ihm die Wahrheit schuldig war.
„Mike, ich will nicht …“
„Was?“
„Ich sage es dir gleich. Lass mich nur erst etwas erledigen.“
Ich schnappte mir Marks Elefantenfrühstück vom anderen Ende des Tisches, ging damit durch die Diele, öffnete die Haustür und taufte es in fast einem halben Liter von der Milch, die unsere kürzlich so abrupt verstummte Molkereiprodukteunternehmerin auf unserer Türschwelle zurückgelassen hatte. Als ich wenig später mit diesem Friedensopfer in Marks Zimmer kam, war er ein wenig verdattert, nahm es aber sehr erfreut an. Eine Riesenschüssel Müsli in der Hand wiegt schwerer als jeder noch so berechtigte Groll.
„Tut mir Leid wegen eben, Mum“, tönte es mir hinterher, als ich die Treppe hinabstieg.
„Mir auch.“
Das alte Spiel. Einer wirft eine Entschuldigung in den Ring, und ein anderer hebt sie auf. Wer was tut, ist eigentlich egal.
Als ich zurück in die Küche kam, saß Mike immer noch genauso da, wie ich ihn verlassen hatte, und starrte mit einem so traurigen, tiefernsten Gesicht ins Leere, dass es mich durchfuhr wie ein scharfer Dolch. Ich setzte mich neben ihn.
„Was willst du nicht?“ fragte er ganz leise, als wäre ich gar nicht aus dem Zimmer gegangen.
„Ich will nicht fünfzig werden“, sagte ich und brach in Tränen aus.