Das Evangelium nach Homer. Sebastian Moll

Das Evangelium nach Homer - Sebastian Moll


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ihnen nicht in den Kram passen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Reverend Lovejoy, der geistliche Leiter der Gemeinde. Als seine Tochter Jessica, die hinter ihrer unschuldigen Fassade eine kleine Teufelin ist, das Geld aus dem Klingelbeutel nimmt, schiebt sie die Schuld für diesen Diebstahl Bart in die Schuhe. Daraufhin darf dieser die Kirche nur noch in einem fahrbaren Gefängnis betreten. Lisa ermahnt Lovejoy daher mit den Worten: „Lehrt uns die Bibel nicht: Richtet nicht, auf dass ihr selbst nicht gerichtet werdet, Reverend?“ Dieser reagiert widerwillig: „Das muss wohl ganz hinten, irgendwo am Schluss stehen.“ Solch eine Reaktion ist charakteristisch für Menschen, die sich mit eindeutigen Aussagen der Schrift konfrontiert sehen, die sie auf ihr eigenes Fehlverhalten hinweisen. Schon Jesus selbst machte die Erfahrung, dass sich die Menschen von ihm abwandten, sobald seine Forderungen zu radikal wurden bzw. er konkrete Ansprüche stellte. Man denke nur an den reichen Jüngling, der vorbildlich alle Gebote zu erfüllen meinte, es aber nicht übers Herz brachte, sich von seinem Reichtum zu trennen.

      Im Laufe der Kirchengeschichte hat es immer wieder, auch und gerade von offizieller Seite, den Versuch gegeben, bestimmte Passagen aus der Heiligen Schrift zu streichen, weil diese nicht mit der eigenen theologischen Überzeugung übereinstimmten. Martin Luther hätte am liebsten den gesamten Jakobusbrief aus dem Neuen Testament entfernt, weil er in ihm eine Propagierung der Werkgerechtigkeit sah, die seiner eigenen Betonung der Erlösung aus Glauben zu widersprechen schien. Tatsächlich hat er sich hier aber getäuscht, denn Jakobus widerspricht Luther bzw. Paulus, auf den sich Luther stützte, überhaupt nicht, sondern betont lediglich, dass ein Glaube ohne Liebe tot ist, wozu ihm Luther beigepflichtet hätte.

      In der jüngeren Vergangenheit waren es vor allem die Deutschen Christen, eine am Nationalsozialismus orientierte Strömung innerhalb des deutschen Protestantismus, die sich um eine „Reinigung“ der Bibel bemühten. Insbesondere störten sich die Antisemiten natürlich an der Tatsache, dass Jesus ein Jude war. Deshalb erfanden sie eine alternative Geburtsgeschichte, der zufolge Jesus der Sohn des römischen Hauptmanns Pandira gewesen sei – eine Geschichte, die sie ausgerechnet aus dem Talmud übernahmen, in dem sich diese Version bereits fand. Gegen diese nationalsozialistische Vereinnahmung Jesu fand sich 1934 die Barmer Bekenntnissynode zusammen und formulierte in ihrer berühmten Erklärung:

       Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.

      Allerdings sind derartige ideologische Verirrungen keineswegs zusammen mit dem Dritten Reich untergegangen. Auch in den aktuellen theologischen Debatten finden wir sie, wenngleich mit völlig anderer Thematik. Heute sind es die feministischen Theologinnen, die nicht glauben wollen, Paulus habe tatsächlich gesagt, dass die Frau in der Gemeinde schweigen solle (1. Korinther 13,33 - 34), weshalb es sich bei diesem Satz um eine spätere Fälschung handeln müsse – was allerdings durch die historische Forschung nicht belegt werden kann. In der so genannten „Bibel in gerechter Sprache“, der größten Verzerrung des Gotteswortes in der Geschichte der Christenheit, wird aus dem Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ die Weisung „Verletze keine Lebenspartnerschaft“, da man sich offensichtlich nicht mit der biblischen Ablehnung der Homosexualität abfinden kann.

      Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard bemerkte einmal überaus zutreffend: „Die Bibel ist nicht dazu da, dass wir sie kritisieren, sondern dazu, dass sie uns kritisiert.“ Anstatt also bestimmte biblische Inhalte, mit denen man sich nicht anfreunden kann, einfach zu streichen oder umzuschreiben, sollte man sich lieber fragen, ob nicht die eigene Einstellung vielleicht falsch sein könnte. Die Botschaft von Barmen ist somit nicht einfach nur ein mutiges Zeugnis einer vergangenen Epoche, sondern eine ständige Mahnung, dass die Verteidigung des unverfälschten Evangeliums zu jeder Zeit Mut erfordert.

      Als Pendant zu jenen Christen, die aus Angst vor der Autorität der Bibel ihren Aussagen am liebsten ausweichen, gibt es aber auch solche, die einfach biblische Aussagen erfinden, um ihrer eigenen Position mehr Geltung zu verschaffen. In Springfield ist Homer Simpson der unbestrittene Meister dieser Disziplin. Als Lisa ihn beim Wetten erwischt, was in den USA illegal ist, rechtfertigt sich Homer damit, dass sogar die Bibel sage, dass es okay sei. Auf ihre Nachfrage, wo genau das denn stünde, antwortet er nur: „Im vorletzten Kapitel.“ Weil Homer den obdachlosen Schulbusfahrer Otto nicht bei sich zu Hause aufnehmen will, kontert er Marges (korrektes) Bibelzitat „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ mit den Worten: „Ja, aber steht in der Bibel nicht auch: Du sollst keine Penner aufnehmen in deinem Haus?“ Der Plan seiner Frau, eine Stelle im Atomkraftwerk anzunehmen, also am selben Ort zu arbeiten wie er selbst, gefällt Homer ebenfalls nicht, weshalb er Marge folgendes „Bibelzitat“ vorhält: „Du sollst nicht malochen in deines Ehemannes Firma.“ Auch der Idee seiner Tochter Lisa, sich einer Eishockeymannschaft anzuschließen, steht Homer ablehnend gegenüber, weshalb er sie darauf hinweist: „Wenn uns die Bibel auch sonst nichts gelehrt hat, und das hat sie nicht, dann, dass Mädchen sich an Mädchensportarten halten sollen.“

      Glücklicherweise verhält sich Homer beim Erfinden von Bibelzitaten derart plump, dass keinerlei Gefahr besteht, seine Gegenüber könnten tatsächlich darauf hereinfallen. Das ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil jeder die Möglichkeit hat, selbst zu überprüfen, ob diese Dinge tatsächlich in der Bibel stehen oder nicht. Doch dies war keineswegs immer so. Die eigenständige Lektüre der Bibel war einem Großteil der Menschen lange Zeit nicht möglich, was ihrem Missbrauch natürlich Tür und Tor öffnete. Tatsächlich verhinderte die römisch-katholische Kirche des Mittelalters ganz bewusst, dass Laien die Bibel lesen konnten, damit die Praktiken der Kirche nicht als unbiblisch durchschaut werden konnten. Natürlich wurden hierbei nicht einfach Bibelstellen erfunden, wie Homer es tut, wohl aber einige recht weit hergeholte Interpretationen angeboten, beispielsweise in Bezug auf den Ablasshandel. Damals wie heute gilt: Wer die Deutungshoheit über die Bibel hat, hat auch Macht über die Gewissen der Gläubigen. Daher sollte man diese Deutungshoheit niemals einer einzigen Institution überlassen, weder dem Papst noch den Professoren der Theologie.

      Wie jede gute Satire liefern auch die Simpsons keine wirklichen Antworten, werfen aber auf humorvolle Weise die richtigen Fragen auf. In Bezug auf die Bibel konfrontieren uns die gelben Bewohner von Springfield mit den vielen menschlichen Schwächen, die den Umgang mit der Heiligen Schrift erschweren können, sei es der undifferenzierte Gehorsam, das Ignorieren wichtiger Botschaften oder das Erfinden von Inhalten. Der irische Schriftsteller Jonathan Swift spottete einmal, die Satire sei wie ein Spiegel, in dem der Betrachter jeden erkenne außer sich selbst. In seiner Bergpredigt fand Jesus ganz ähnliche Worte: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ (Matthäus 7,3) Bitten wir den Heiligen Geist darum, dass wir die Fehler bei der Handhabung der Schrift, die für uns alleiniger Maßstab des Glaubens bleibt, nicht nur bei den anderen, sondern auch bei uns selbst finden mögen. Vielleicht können uns die Simpsons dabei eine kleine Hilfe sein.

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