Der stumme Raum. Herbjørg Wassmo

Der stumme Raum - Herbjørg Wassmo


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      »Alle wünschen es sich …«, wiederholte Tora und schaute gleichsam in sich hinein.

      »Na ja, nicht alle. Nicht die Männer, die kommen auch ohne das aus, denn sie haben ja uns«, lachte Randi.

      Tora wurde noch verwirrter. »Dann muss es was sein, was du anziehen kannst oder womit du dich schön machst?«

      »Nee, du.«

      »Ist es dann vielleicht was, was du für die Strickmaschine brauchen kannst?«

      »Wünschen sich alle etwas für die Strickmaschine, du Dummerchen?«

      »Neee, dann muss es … lass mich mal überlegen … Du hast mir den elektrischen Herd gezeigt …«

      »Heiß, heiß!«, schrie Randi entzückt. Aber Tora gab auf. Und Randi zog sie mit sich hinunter in den feuchten Keller, wo sie einen Raum neben der Köderstube hatten. Es stank nach Fischabfällen und Schimmel, obwohl der Raum abgespritzt und aufgeräumt war. In der einen Ecke stand eine Art Tonne. Sie stand auf zwei soliden Klötzen. Dickbauchig und breit. Sie ähnelte einer Wassertonne – so wie Almar eine besaß und die er immer noch aus der Quelle hinter dem Haus auffüllte, weil er im Haus keine Wasserleitung hatte. Obenauf lag die gleiche Art Deckel.

      Tora ging näher und schaute sich die Tonne an. Nun sah sie ein Kabel mit einem Stecker und einem Schlauch, der ganz unten befestigt war. »Was ist das denn?«

      Randi lächelte. Dann sagte sie mit Stolz in der Stimme: »Das ist der Gunnar … Er ist ein Genie mit Maschinen und Schrauben und so was. Er hat mir eine Waschmaschine gemacht.«

      »Eine Waschmaschine!«

      Tora staunte. Randi hob den Deckel hoch und zeigte ihr eine Art Schaufelrad – oder Propeller unten am Boden. Es war alles deutlich selbst geschweißt. Aber blankgeputzt und schön, ohne eine Spur von harten, scharfen Kanten.

      »Der Gunnar ist ein Genie! Der Dahl kann sich glücklich preisen, dass er einen solchen Chef für die Maschinen hat.«

      Tora vergaß zu antworten. Sie steckte den Kopf tief in die Tonne hinein und sah sich alles genau an. So was! Randi hatte eine Waschmaschine bekommen! Tora kannte keine in Været oder jenseits der Moore, die eine besaß. Sie hatte natürlich schon davon gehört. Wusste, dass man Waschmaschinen kaufen konnte. Aber sie waren fürchterlich teuer und gänzlich unnötig und unterstützten nur das Schlaraffenleben der reichen Leute. Und die Frau Pastor – hatte ja die Kopftuch-Johanna – die brauchte also auch keine. Und jetzt hatte Gunnar eine für Randi gemacht!

      »Du musst mir zeigen, wie das geht«, sagte Tora schnell. Und Randi steckte den Stecker ein. Dann schraubte sie den Schlauch an dem Wasserkran fest und drehte ihn auf. Nicht viel – aber so, dass das Wasser bis über die Schaufel stieg. Randi knipste einen schwarzen Schalter an, den Tora vorher nicht bemerkt hatte, und setzte ein Spritzen und Poltern sondergleichen in Gang. Schnell warf sie den Deckel auf die Tonne und ließ die Maschine eine Weile laufen und dröhnen. Tora war überwältigt. »Toll! Hat Gunnar das wirklich gemacht?«

      Randi nickte strahlend.

      »Aber die Mama sagt, dass das mit den Waschmaschinen Unsinn ist, denn sie machen die ganze Wäsche kaputt und waschen nicht sauber. Ist das wahr?«

      »Nein, gar nicht. Jedenfalls nicht die, die Gunnar gemacht hat. Die Bettbezüge und die Laken … die werden wie Neuschnee. Sie kann auch kochen. Unten drin sitzt ein Heizelement.«

      »Heizelement?«

      Tora musste den Deckel noch einmal hochheben und hineingucken. Ein Spritzer traf sie auf der Nase, aber sie merkte es kaum. Randi konnte wirklich froh sein, dass sie so etwas hatte. Sie brauchte nicht in der feuchten Waschküche vom Tausendheim zu stehen, die nur dort einen Betonboden hatte, wo die Waschzuber standen und wo der Ausguss war. Das Übrige war Lehmboden, und es war feucht und kalt in dem Keller.

      Im Winter war es schrecklich dort. Ingrid kochte die Wäsche dann oben in der Wohnung. Und Tora spülte sie unten im Keller aus. Sie fror schon, wenn sie nur daran dachte, wie eiskalt solche Nachmittage waren. Man wurde erst am nächsten Tag wieder richtig warm.

      Im Sommer war es nicht so schlimm. Da nahmen sie Kaffee und Brote mit und zogen zum Fluss, die große Wäsche in einem Schubkarren oder auf dem Gepäckträger vom Fahrrad. Dann machten sie Feuer in den selbstgemauerten Feuerstellen und setzten die Waschkessel darauf. Wer zuerst kam, hatte die beste Feuerstelle. So war es üblich. Und darüber machten sie nur Witze. Es waren immer viele zusammen, und es war gemütlich. Sie gingen auch nur an Schönwettertagen dorthin. Die Kinder wateten in der Flussmündung, bis die Wäsche kochte. Sie bekamen Kuchen und Brote aus fremden Proviantbüchsen und hörten zu, wie die Frauen sich unterhielten. Später halfen sie beim Spülen der Wäsche und wurden ausgeschimpft, wenn sie schluderten.

      Aber das hier… das musste ja der Himmel auf Erden sein! Ach, wenn die Mutter und sie auch so eine Waschmaschine hätten! Da würden die Frauen im Tausendheim aber Stielaugen machen.

      Als ob Randi ihre Gedanken lesen könnte, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln: »Du darfst niemand etwas davon sagen …«

      »Warum nicht?«

      »Ich will nicht, dass die Leute sagen, ich sei faul und eingebildet … Sie reden schon genug.«

      Tora nickte. Sie verstand. »Darf ich’s der Mama sagen?«

      »Ja, sie gehört wohl nicht zu denen, die mit Klatsch von Haus zu Haus ziehen, wie ich mir denken kann.«

      Randi sagte es lächelnd. Aber es gab Tora einen Stich. Wussten alle, dass die Mutter seit dem Brand beinahe menschenscheu geworden war? Redeten die Leute so viel, dass es sogar Randi erfahren hatte?

      Tora brach dann doch ihr Versprechen und erzählte abends am Küchentisch Rakel alles. Sowie sie die ersten Wörter gesagt hatte, schämte sie sich schrecklich. Trotzdem musste sie weitererzählen.

      Rakel hörte mit großen Augen zu, und Tora erklärte und zeichnete hinten in ihrer Kladde, um Rakel das Ganze deutlich zu machen.

      Der Abend war so schön. Es war, als ob er sich auf sie, Tora, konzentrierte – sie nach vorne schob und sie zu etwas Großem machte. Rakel lauschte und lauschte. Tora erzählte. So lange, bis es Zeit war, schlafen zu gehen.

      Da schämte sie sich wieder. Weil sie es nicht geschafft hatte, den Mund zu halten. Weil die Mutter zu Besuch in einem Gefängnis war.

      Am nächsten Morgen platzte sie damit heraus, dass Rakel niemandem etwas über die Waschmaschine sagen sollte.

      Und Rakel lächelte nicht einmal. Todernst gelobte sie hoch und heilig, dass es ein Geheimnis bleiben würde, warum die Bettbezüge bei den Monsens so weiß wie Schnee waren.

      10

      Tora bekam nicht viele Briefe.

      Insgesamt waren es überhaupt nicht viele Briefe, die ins Tausendheim gebracht wurden. Es gab dort auch nicht viele Menschen, die sich die Mühe machten, Briefe zur Post zu tragen. Die Wörter waren einfach, und man sprach miteinander – oder man schwieg, und das sagte genug.

      Wenn die Leute ruhig und nicht erregt waren, sagten sie gerade so viel, wie sie verantworten konnten – nicht mehr und nicht weniger. Der Rest wurde verschwiegen, bis die Gedanken ihn verdrängt hatten – oder der Mensch sich durch die Worte hindurchgekämpft hatte – schweigend. Und immer allein.

      Eines Tages fand Tora einen weißen Briefumschlag auf dem Küchenschrank.

      Die Mutter war zur Nachmittagsschicht gegangen. Das Haus lag träge in der Mittagsruhe, weil Tora auf dem Schulweg getrödelt hatte. War bei Jenny im Kiosk gewesen und hatte die neuen Illustrierten durchgeblättert. Jenny schimpfte nie mit Tora, weil sie die Zeitschriften nicht kaufte, die sie angesehen hatte. Alle anderen aber warf sie raus. Tora hatte lange gebraucht, bis sie sich Einlass in dem kleinen Kiosk an der Wegkreuzung verschafft hatte. Sie holte für Jenny Waren vom Hafen ab. Zog sowohl die Packen mit den Illustrierten als auch Jennys Kind im Handwagen die Hügel hinauf. Eigentlich konnte Tora den kleinen Rotzbengel nicht leiden.


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