Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
… und schon gar nicht von seiner kleinen Schwester.“
Lavinia ließ sich kichernd zurück plumpsen, zerrte an ihrer Decke und strampelte so lange, bis sie nur noch ab ihrer Nase hervorlugte. Viviane streckte sich schmunzelnd neben ihr aus und zog betont sorgfältig ihre eigene Wolldecke über sich.
„Endlich …“, flüsterte Lavinia und gähnte müde. „Kannst dir übrigens noch einen schönen Namen für den Elefanten aussuchen …“ Mit letzter Kraft kuschelte sie sich an Viviane, fasste nach ihrer Hand und streckte die andere nach Hanibu aus.
„Rosvinia!“, hauchte Viviane und strich ihrer kleinen Schwester über den nussbraunen Haarschopf. Sie seufzte, weil Lavinia wirklich schon eingeschlafen war. Wer unschuldig ist, schläft einfach besser, wurde ihr wieder einmal bewusst. Sie selbst hatte Angst, die Augen zu schließen, denn seit der Schlacht sah sie jedes Mal schmerzverzerrte Gesichter, um Gnade flehende Augen und verunstaltete, zuckende Körper. Fest presste sie das Stoffbündel an sich, sog den vertrauten Duft des Hauses in sich ein und lauschte auf das Plätschern des Flusses. Ganz kurz huschte der Gedanke durch ihren Geist, dass ihre Mutter noch extra eine Kütze voller Blumen gesammelt haben musste, denn das Stroh roch nicht nur nach den üblichen beigemischten Bettkräutern, sondern intensiv nach Blüten aller Art.
Tief atmete sie den Wohlgeruch ein und lächelte über diesen ganz besonderen Willkommensgruß. Und wirklich kamen diesmal die schrecklichen Bilder nicht, denn Sünna sang ihr gleichmäßiges, altbekanntes Lied und nahm sie mit in ihre klare, friedliche Welt – die Welt ihrer Kindheit, bei der sie die ersten Schritte ihres Lebens über eine sonnenbeschienene Wiese tat und ihre winzige Nase in jede Blüte steckte, die ihr gefiel.
Fragen sind der Anfang allen Wissens
Als wäre Viviane nie weg gewesen, erhob sie sich bei Sonnenaufgang und ging mit Hanibu, Lavinia, Flora und Großmutter Mara die Kühe melken. Sie mussten zwar jetzt ein kleines Stück länger gehen, weil die Mutterkühe auf einer anderen Weide grasten, aber das war nicht weiter schlimm. Der Morgen war herrlich, die erwachende Göttin der Morgenröte winkte mit einem goldenen Tuch über die Thuringer Berge und die Vögel zwitscherten so lautstark, als hätten sie einen Wettstreit im Jubilieren auszutragen.
Den Rückweg liefen sie so beschwingt, dass sie sich sogar im Imitieren der Vogelstimmen versuchten und danach Großmutter Mara zur Zaunkönigin wählten. Immer noch trällernd, stellten sie die gefüllten Milcheimer ins Langhaus, gingen zum Fluss und wuschen sich.
Noeira und Taberia kamen ihnen nach und schmunzelten, als sie ihre Babys in den großen Weidenbaum hängten. Der hieß jetzt nämlich Kinderbaum, weil nun schon zwei Kinder in ihren Tragetaschen dort dran hingen. Lavinia hatte diesen Einfall gehabt und sie damit jeden Morgen aufgeheitert. Denn wenn eines gefehlt hatte in der Zeit, als die Männer und Viviane fort waren, dann war es die Heiterkeit.
Doch nun standen sie alle unter den Weiden und machten ausgiebige Dehnübungen. Die hatten sie auch ohne Viviane weiter gemacht, weil sie sich einbildeten, dass sie ihnen tatsächlich halfen. Großmutter Mara war sogar felsenfest davon überzeugt, dass sie sämtliche Glieder nicht nur besser bewegen konnte, sondern auch mehr Kraft hatte als früher.
Sie blinzelte durch die Augenlider, beobachtete Viviane bei ihren geschmeidigen Bewegungen und sagte: „Kind, du machst mir heute irgendwie einen angespannten Eindruck.“
Viviane atmete lange ein, noch langsamer wieder aus und ging mit geschlossenen Augen in den Spagat.
„Da gebe ich mir extra Mühe …“, seufzte sie und vollführte kreisende Bewegungen mit ihrem Oberkörper. „ … und du merkst es trotzdem, Großmutter. Wie machst du das nur?“
„Jahrelange Übung“, gluckste Mara und deutete auf Vivianes Gesicht. „Also, warum kneifst du die Augen zusammen, als müsstest du nachdenken, wie du etwas Unmögliches schaffst, weil du Silvanus diesmal nicht als deinen Komplizen hast?“
Noeira hielt in ihrer letzten Pose inne, streckte die Arme besonders weit in den Himmel, die Augen in die Gegenrichtung und grummelte: „Sag’s uns, Viviane! Ich fühle mich auch schon ganz angespannt!“
„Er soll Tinne nicht mit zur Sonnenwendfeier nehmen“, brummte Viviane, stemmte ihren gesamten Körper nur mit den Fingerspitzen ein Stück weit über den Boden und machte endlich die Augen auf.
Noeira stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte: „Das erlaubt er niemals! So etwas hat es noch nie gegeben!“
Viviane schnappte mit einem Ruck hoch, stellte sich betont aufrecht hin und reckte entschlossen das Kinn.
„Mich hat es auch noch nie gegeben. Wenn alle Stricke reißen, muss ich ihn eben bestechen.“ Sie legte den Kopf schief und lugte nachdenklich zur einzigen Wolke am Himmel. „Ich könnte ihm natürlich auch was zu trinken anbieten …“
„Ha! Du kannst ihm auch ein Pferd schenken! Immerhin hast du mehr Beute gemacht als er!“
„Das wäre wirklich eine gute Idee, Noeira! Aber wenn wir unser eigenes Land bekommen, müssen wir sowieso Abgaben darauf zahlen.“
„Ach. Und die leistest du in Pferden?“
„Ja, jedes Jahr zwei Fohlen seiner Wahl.“
„So viel geschenktes Land und zwei Fohlen als Gegenleistung? Das soll alles sein?!“
„Natürlich nicht. Er und unser Hochkönig dürfen Arion zur Zucht nehmen.“
„Oh, oh. Ich ahne Schreckliches …“
„Wieso?“, fragte Viviane verständnislos. „Das ist doch wirklich der günstigste Handel, den es gibt!? Wir müssen nur den Anteil von Silvanus abtreten.“
Noeira winkte ab.
„Ist doch klar. Immerhin bist du eine Druidin, da brauchst du dich nicht mit solch profanen Sachen wie Abgaben belasten. Silvanus muss zwar Abgaben leisten, aber ich wette mit dir, dass er ab und zu ein gutes Hirschhündchen extra übrig hat und noch ein paar Glasarmbänder oder Glasperlen, oder mal einen neuen Streitwagen, oder andere Wagen, oder ein neues Mähwerk … ganz zu schweigen von einem Paar neuer Schuhe, doppelt genäht mit wasserdichter Schweinsblase dazwischen, für den Winter mit Schafwolle …“ Noeira fuchtelte lax mit der Hand, als könnte sie noch ewig weiter aufzählen, nur sei der Tag nicht lang genug.
„Aber das mein ich doch nicht, Viviane! Guck dich doch mal um!“, rief sie und deutete auf die Berggipfel um sie herum. „Wenn sich das mit Arion erst herumspricht, kommen alle Könige mit ihren Stuten und wollen sie bei ihm auf die Weide stellen. Dann hat er schrecklich viel zu tun und natürlich schrecklich viel … Spaß.“
Noeira stellte diesen Spaß sogleich gestenreich dar, damit auch jeder wusste, was sie meinte. Alle lachten und prusteten los, als sie es mit einem Pferdegesicht in Ekstase versuchte. Ihre Augen quollen vor, ihre Zunge hing sabbernd heraus und wippte im Takt ihrer Hüften auf und ab … Großmutter Mara musste sich sogar gegen die Weide lehnen und die Augen wischen.
Viviane winkte schnaufend ab und gluckste.
„Es hat sich schon herumgesprochen, Noeira. Was meinst du, was man da alles geboten bekommt, damit Arion seinen Spaß haben kann.“
Noeira holte ihre Augen und Zunge wieder in Normalposition zurück, nickte überzeugt und wackelte Achtung heischend mit dem Finger.
„Das kann ich mir vorstellen! Da sind sicher die tollsten Sachen dabei!“
Mara klatschte schallend in die Hände und alle drehten sich zu ihr um.
„Mir ist etwas eingefallen, mit dem du König Gort bestechen kannst! Glaube mir, der erfüllt dir jeden Wunsch, wenn er nicht zu abwegig ist. Da brauchst du ihm nicht mal was untermischen.“
„Was zu trinken? Was da genau …?“
Viviane visierte ihre Großmutter an, aber die rieb sich nur die Hände und grinste verschlagen.
„Lass