Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
Ich, Viviane, Dar Arminius und Flora vom Clan des stolzen Cernunnos, Hermundurin und Abkömmling der mächtigen Sueben, kann meine Kriegsbeute verteilen an wen ich will und wie ich will. Ich habe mir alles redlich erkämpft. Der Sieg über meine Gegner gibt mir das Recht dazu. Verstanden?“
„Ja, Viviane. Ich habe dich verstanden“, nuschelte Hanibu, zog den Kopf ein und ihre Hände wurden schlaff.
Viviane drückte sie energisch um das Horn und hielt ein kleines Kupferröhrchen hoch.
„Sollte natürlich irgendjemand dir dieses Geschenk streitig machen wollen, habe ich schon mal vorgesorgt. Da steht übrigens dasselbe drin, was ich gerade eben gesagt habe, bis auf das ‚Verstanden‘, versteht sich. Aber das hier drin …“ Viviane wedelte mit dem Kupferröhrchen. „ … begreift selbst der dümmste Dieb. Es ist nämlich in Ogham und trägt mein Siegel. Jeder, der das Schriftstück zu Gesicht bekommt, weiß dann Bescheid. Und wer es nicht lesen kann, gib es sowieso freiwillig zurück. Schon allein aus Angst, es könnte ein Fluch mit drin stehen. Was auch der Fall ist. Nur so als kleine Rückversicherung, da es das Geschenk eines Chattenkönigs ist, genauer, das meines angeheirateten Onkels Nyht. Die anderen Hörner habe ich übrigens von seinen Bündnispartnern als Geschenk bekommen, was eindeutig nicht unter Kriegsbeute zählt.“
Hanibu bekam ganz große Augen, Viviane tätschelte das Horn.
Übertrieben wackelte sie mit dem Röhrchen und schnippte einen Finger dagegen, so dass es einen feinen Klang von sich gab. „Es ist übrigens das erste Mal, dass ich mein Siegel benutzt habe. Das wollte ich noch dazu sagen, weil man es wegen dem Röhrchen nicht sieht. Ist ja auch eigentlich für Rezepte gedacht. Wir Hermunduren sollen schließlich nicht zurückstehen, bei den vielen Rezepturen, die sonst überall kursieren.“
Ehrfurchtsvoll nahm Hanibu das Röhrchen entgegen, sah auf und lächelte endlich wieder.
„Ich nehme dein Geschenk an und will es immerdar ehren und achten wie dich selbst, meine hoch angesehene Freundin Viviane.“
„So!“ Viviane klatschte in die Hände, wobei sie hektisch zwinkerte. „Dann hätten wir ja alles geklärt. Nein, halt! Natürlich musst du es noch ausprobieren! Hoffentlich hast du nicht so sehr rein geheult. Da schmeckt ja sonst das schöne Bergwasser unserer Quellgöttin Pauline ganz salzig.“
Übertrieben genau beäugte sie das Innere vom Horn, befand es für annehmbar und bedeutete Hanibu mit großer Geste, sie dürfe nun daraus trinken.
Schmunzelnd beobachtete Viviane, wie Hanibu erst zögerlich, dann genüsslich trank.
„Und jetzt auf zum König! Mal sehen, ob Großmutter Mara recht hat.“
„Soll ich lieber hier warten?“
Viviane schwang herum und sah strafend auf Hanibu herab, die sich noch nicht von der Stelle gerührt hatte.
„Hast du Leim an den Füßen?! Soll ich dich mal ordentlich an den Ohren ziehen?“
Hanibu drehte das Horn nervös zwischen den Fingern hin und her.
Viviane verdrehte dazu passend die Augen.
„Du brauchst doch keine Angst vor dem König zu haben. Ich bin schließlich dabei!“
„Du hast ja recht“, seufzte Hanibu. Aber verstecke bitte das Horn wieder in deiner Tasche, damit es der König nicht an mir sieht.“
„Ach, König Gort wird es dir garantiert nicht wegnehmen. Der hat selbst so eines.“
Hanibu drückt Viviane das Horn in die Hand. Mit eingezogenem Kopf schielte sie den Weg hinauf und sagte ganz leise in der Sprache der Hermunduren: „Eben.“
Unverständliches Zeug vor sich hin brummelnd, steckte Viviane das Horn wieder in ihre Tasche zurück und dirigierte Hanibu weiter den Berg hinauf. Sie hielt nicht einmal an, um mit daherkommenden Leuten ein Schwätzchen zu halten, sondern erklärte lautstark, sie hätte keine Zeit, der König erwarte sie. Nach der dritten Wiederholung wurde sie ein wenig leiser, nach der siebten oder neunten jedoch wieder lauter. Als sie hinter Afals großem Haus zu einer Wegbiegung mit Felsplateau kamen, knurrte sie „Endstation“ und deutete auf ein riesiges Langhaus, das dort stand wie auf einem steinernen Thron. Hanibu betrachtete es mit offenem Mund. Sie sah weit nach vorne, doch das Haus des Königs nahm kein Ende. Kopfschüttelnd beugte sie sich zur Seite und auch hier konnte sie nicht dahinter sehen. Vivianes Schmollmund verformte sich zu einem Schmunzeln.
„Ich staune auch jedes Mal über seine Größe, Hanibu. Als Kind habe ich es genauso angestarrt wie du jetzt.“
Hanibu seufzte.
„Du hast mir erzählt, dass hier manchmal viele Leute wohnen, wenn sich die Könige treffen und ihre Krieger mitbringen oder wenn andere hochrangige Gäste untergebracht werden müssen, Barden zum Beispiel. Du hast mir mal gesagt, dass ein Barde immer eine sehr gute Unterkunft braucht, sonst wandert er zum nächsten König und singt dort Schmählieder über den geizigen König und schadet so dessen Ruf.“
Drei Kinder mit Reisigbündeln liefen eilig an ihnen vorbei, neigten artig die Köpfe und riefen „Guten Morgen!“
Sie grüßten zurück und schlossen sich ihnen an, immer dem Weg folgend, der sich durch ein paar lang gestreckte Steinstufen das Felsplateau hinauf wand. Als Viviane weiter redete, sorgten die Kinder gleich dafür, dass sie nicht außer Hörweite gerieten.
„Könige und ihre Krieger wollen standesgemäß untergebracht werden, Barden erst recht. Solche Schmählieder darf man nicht unterschätzen, Hanibu. Es soll wirklich schon Barden gegeben haben, die wegen schlechter Bewirtung einen König so verunglimpft haben, dass er sein Amt abgeben musste. Es fällt schließlich auf den ganzen Clan zurück, wenn jemand über dessen König herzieht. Daher hat unser Königshaus sogar ein eigenes Abteil, mit allem drum und dran, extra für einen wandernden Barden. Damit demonstriert König Gort nicht nur seinen Respekt für Barden, sondern sein Langhaus ist auch so etwas wie ein Prestigeobjekt.“
„Aha, ich verstehe!“ Hanibu trat von der letzten Stufe auf die Freifläche und besah sich die Aussicht über das Tal. Mit weit ausholender Geste deutete sie auf die umliegenden Berge. „Es geht um euer Ansehen bei den anderen Clans.“
„Genau, Hanibu. Es ist natürlich auch prunkvoller ausgestattet als ein normales Langhaus. Es hat mehrere Schwitzbäder mit genügend Waschzubern und auch mehrere Aborte. Innen gibt es sogar abgeteilte Räume. So richtig mit Holzwand! Nicht nur Flechtwand oder Vorhang! Der König hat auch einen eigenen Brunnen, extrem tief, und seine Küche ist in einem Extrahaus. Was meinst du wohl, wie viel Platz sie im Keller haben? Der ganze Berg unter der Küche ist ausgehöhlt!“
Viviane stampfte mit dem Fuß auf und horchte, ob es hohl klang. Da nichts zu hören war, deutete sie auf den Weg, der vor dem Langhaus entlang ging.
„Komm, wir zählen mal die Schritte von der Außenkante bis zur Treppe, die ist genau in der Mitte.“
Sie stellten sich nebeneinander und Hanibu zeigte auf den Vorbau.
„Prunkvoll ist das richtige Wort. Das erkennt man schon am Vorbau. Der ist ja nicht wie bei euch offen, sondern geschlossen und geht von einem Ende zum anderen.“
„Das liegt an der Höhe. Bruder Wind treibt es hier oben gerne ein wenig toller. Es hat also mehr einen praktischen Effekt.“
„Ein Windschutz, ich verstehe. Aber so schöne Schnitzereien habe ich noch nie gesehen! Wie wird es da wohl erst drinnen aussehen?“
Mit einem „Wirst du gleich selbst sehen“ von Viviane gingen sie näher heran und besahen sich die Bilder und Ornamente in der Holzvertäfelung. Dabei vernahmen sie Musik und sahen auch bald die Köpfe von Königin Elsbeth, Elektra, Fea, Madite und des Barden über den Windfang ragen. Als sie an der Treppe ankamen, hatten sie eine vollständige Sicht auf die dort versammelten.
„Vierzig“, flüsterte Viviane und verbeugte sich erst vor dem Barden, dann vor Königin Elsbeth.
„Was?“, raunte Hanibu zurück und verneigte