Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
Schriften so übertrieben dargestellt wurden. Aber jetzt wusste er aus eigener Erfahrung, dass es so herrlich war − für einen einzelnen Menschen viel zu viel.
Loranthus lächelte verzückt, schlug seine Augen auf und … starrte auf zwei Kuheuter. Er lag zwischen zwei … Erschrocken riss er seinen Kopf hoch, doch davon wurde ihm schwindlig und er kippte wieder auf sein weiches Kuheuter-Kopfkissen zurück.
Stöhnend schnaufte er nach Luft und wollte sich gerade wieder hochstemmen, da klatschte etwas Großes auf seinen Hinterkopf und drückte ihn noch tiefer in die Versenkung. Ein wohliges Seufzen begleitete seine japsenden Proteste, zum Glück ließ der Druck etwas nach und er konnte Luft holen.
Langsam, ganz langsam, weil das große Ding auf seinem Kopf so schwer war, zog er seine Nase aus der Spalte, doch die wurde immer enger und … seit wann hatte ein Kuheuter eigentlich eine Spalte?
Beim Bacchus! Er war aber auch ein wenig schwachsinnig heute! Selbst die Vögel hatten die Lage erkannt und berichteten in voller Lautstärke von seiner Blamage, damit auch jeder gleich hörte, wie er sich hier abmühte. Von ihrer Warte aus war das bestimmt höchst amüsant, aber wenigstens wusste er jetzt Bescheid.
Vorsichtig hievte er die Hand von seinem Kopf und legte sie … Er zog mit einem leichten Schmatzen die Nase aus der Spalte und sah sich suchend um. „Aha! Ein Ersatzmann! Wie praktisch!“ Also legte er die riesige Pranke auf den Kopf des kleinen Mannes, der gleich neben ihm – nur ein wenig tiefer – friedlich schnarchte. Kaum war dessen halbes Gesicht in der riesigen Hand verschwunden, seufzte er wohlig auf und schmiegte auch noch den Rest vom Gesicht hinein.
Loranthus überlegte, ob der Mann wohl genug Luft bekam, und lauschte … Nun, der schnarchte zwar ein wenig leiser, aber er schnarchte noch … da konnte er sich jetzt also unbehelligt steif machen.
Hoch konzentriert stemmte er sich auf seine Fingerspitzen und Zehen, atmete tief ein, atmete aus, nochmal ein … schwang sich in einem Ruck hoch und hechtete zur Seite weg.
Trotz seiner harten Bauchlandung schnellte er in die Hocke, riss die Faust in Siegerpose hoch und sah sich nach seiner Ausgangslage um. Sicherheitshalber blieb er geduckt und betrachtete die Kuh, nein, das Weib, auf dem er gelegen hatte, und das er gar nicht kannte. Ach doch! Einmal, zu Beltaine, war sie ihm aufgefallen. Damals hatte sie ein dürres Männlein bei den Reiterspielen huckepack getragen. Loranthus machte einen langen Hals und spähte über das Weib. Ja, sie musste es sein, denn der schmächtige Mann lag neben ihr, wenn sein Gesicht auch nicht erkennbar war.
Loranthus wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, was kaum der Rede wert war, bei dieser Befreiungsaktion. Wichtig war nur, dass der Mann nicht aufgewacht war oder das Weib, so konnte er unbeschadet die Flucht ergreifen. Obwohl: Das kleine Kerlchen sah nicht so aus, als müsse er vor ihm Angst haben. Der war eindeutig ein dürres Ästchen, gar kein Vergleich zu ihm. Trotzdem war Vorsicht besser als Nachsicht. Selbst dürre Ästchen hingen an einem Baum neben starken Zweigen.
Lautlos wollte er gerade wegrutschen, da rekelte sich das Weib plötzlich ausgiebig.
Er konnte nicht einmal „Bei Hera!“ hauchen, da hatte sie ihren massigen Körper schon schwungvoll halb herum gewälzt und grunzte laut, um auch noch den Rest der Strecke zu schaffen, doch Loranthus, mitten in der Bewegung erstarrt, stemmte sich geistesgegenwärtig mit seinem ganzen Gewicht dagegen und sie kippte wieder auf die andere Seite zurück.
Durch den Schwung begrub sie dort leider ihren ein Viertel so breiten Mann unter sich, was ihn nicht zu drücken schien. Jauchzend klatschte er ihr seine Hände auf den Hintern. Sie schmatzte laut auf, schlang ihm auch noch ihre Arme unter seinen Kopf und warf ihre massigen Beine um seine Schenkel. Dann bewegte sie ihre Hüften. Er seufzte wohlig, sie schnaufte stöhnend und beide schnarchten weiter. Das wäre sonst wohl Loranthus’ Schicksal gewesen.
Loranthus wischte sich den Schweiß von der Stirn, der ihm nun in Strömen herab rann, stand auf und wankte zum Waldrand, den er nur undeutlich wahrnahm, weil ihm der Schweiß wohl inzwischen in die Augen gelaufen war.
Eigentlich wollte er sich energisch übers Gesicht reiben, aber seine Arme waren plötzlich so schwer und seine Beine so wackelig. Das Gras unter seinen Füßen war so nachgiebig, als würde er über einen Haufen Heu auf einem Leiterwagen laufen, einem fahrenden Leiterwagen wohlgemerkt.
Bei diesem Bild vor seinem geistigen Auge wurde ihm auch schon speiübel. Röchelnd taumelte er weiter und schaffte es gerade noch, einen Baum zu umarmen, sonst wäre er umgefallen. Beim Bacchus, jetzt musste er sich auch noch übergeben, wie ekelhaft! Hinein hatte es viel besser geschmeckt.
Zitternd atmete Loranthus ein, wieder aus und visierte dann drei Bäume zehn Schritte weiter so lange an, bis sie still hielten. Mit der Zeit wurde es besser, die Bäume rutschten zusammen, er sah nur noch den mittleren. Selbst der Leiterwagen war stehen geblieben.
Schnaufend sah er sich um und lehnte sich gegen seinen eigenen Baum. Nein, er schlurfte lieber einen weiter, noch einen.
Hier, zwischen den Bäumen, war es noch duster und es wehte eine kühle Brise, als ob Bruder Wind ihm einen kalten Lappen auf die Stirn legen wolle. Er wedelte auch den Geruch des Erbrochenen weg und Loranthus überlegte kurz, ob er sich den Finger in den Hals stecken sollte, um eventuelle Überbleibsel zu entsorgen, konzentrierte sich aber aus praktischen Gründen lieber aufs Atmen und den frischen Luftzug auf seiner feuchten Haut.
Bald fühlte er sich wieder einigermaßen normal, doch das war ein schwacher Trost, denn nun stand er nicht mehr alleine an seinen zweiten Baum gelehnt. Geübt wie er war, suchte er sich einfach einen neuen, es gab ja genug davon. Auf dem Weg fiel ihm der Spruch mit den Sandalen wieder ein und er sah auf seine, zum Glück sauber gebliebenen, Füße. Er grinste breit. Hierzulande waren sie noch praktischer veranlagt und gingen gleich barfuß. Oh, nein! Kichern war gar nicht gut! Es war so ein erhebendes Gefühl!
Lavinia rekelte sich und erstarrte.
„Was ist denn das?“, murmelte sie schlaftrunken, tastete den seltsamen Gegenstand neben sich ab und riss die Augen auf. „Die Götter haben mir eine … äh …“
Sie hob das Glasgefäß hoch, drehte es prüfend und strahlte übers ganze Gesicht.
„Eine kleine Kanne ohne Henkel. Die Götter haben mir eine Kanne aus Elfenglas geschenkt, weil ich ihnen gestern so leid getan habe! Schau mal, Silvanus! Sie haben mir alle Farben zurückgegeben!“
Voller Stolz reichte Lavinia ihren Fund an Silvanus weiter, der ihn mit anerkennendem Blick betrachtete, und schon ging die Kanne von Hand zu Hand. Jeder bestaunte die vielen Farben und das dünne Glas und beglückwünschte Lavinia zu solch einem außergewöhnlichen Geschenk.
Viviane lugte nachdenklich in den schimmernden Hohlraum hinein.
„Es hat immer seinen Grund, wenn die Götter den Menschen solche Gaben überlassen. Silvanus, du bist unser Glasmacher. Könntest du solch ein Gefäß fertigen? Ich glaube, darüber würden sich die Götter freuen.“
Silvanus nahm ihr die Kanne ab, betrachtete sie fachmännisch und nickte überzeugt.
„Ja, das kann ich. Die Götter haben mir das Wissen dafür gegeben.“ Er schielte zu Viviane und wackelte mit den Augenbrauen. „Epona ist sogar extra gekommen und hat sich von meiner Kunstfertigkeit überzeugt. Sie wollte immerzu die Kanne füllen.“
Loranthus plumpste kraftlos neben Silvanus auf die Kuhhaut. Hanibu reichte ihm eine Schale Gerstenbrei, die er hastig zurückschob. Hanibu drückte jedoch so lange dagegen, bis er sie seufzend annahm und zu löffeln begann.
„Na, Loranthus!“, feixte Medan und machte eine ausholende Handbewegung vom Mund weg. „Hast du die Ameisen gefüttert?“
„Wa? Ameisn?“, schmatzte Loranthus und beäugte argwöhnisch die Kuhhaut, auf der er saß, bis er begriff.
„Hatte ich eigentlich nicht vorgehabt, aber die anderen haben mich sozusagen lauthals und sehr überzeugend … animiert.“ Grinsend schob er sich einen neuen Löffel Brei in den Mund. „Schmeckt gut. Danke, Hanibu. Ich probiere danach auch noch ein Scheibchen vom restlichen Fleisch.