1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

1918 - Wilhelm und Wilson - Magnus Dellwig


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auf den hoffentlich weitere handfeste Ergebnisse aus der Zusammenarbeit von Fortschrittlern, Nationalliberalen und Zentrum mit der Sozialdemokratie folgen würden. Ich wusste indes Ende Juni genau: Vor einer tatsächlichen Friedensinitiative, oder gar vor einer echten Wahlrechtsreform in Preußen, standen nicht allein Reichskanzler Bethmann-Hollweg, Generalleutnant Ludendorff, sondern ebenfalls der Kaiser und sein leider all zu oft Säbel rasselnder Sohn. So sehr ich Kronprinz Wilhelm persönlich mochte und in zahlreichen persönlichen Begegnungen zu schätzen gelernt hatte, so tief beunruhigte mich, wie inbrünstig es Wilhelm danach verlangte, seinen vermeintlich so zahmen und überlegten Vater an vaterländischer Gesinnung und vor allem an nationalen Taten zu übertrumpfen.

      3 Seine Majestät

      Ich wache auf und zucke zusammen. Eine schallende Geräuschkulisse verheißt eintretende Stiefelschritte. Schwach fühle ich mich und sehe zuerst nur wie durch einen feinen grauen Schleier aus Gaze: Weiße Ärztekittel halten sich zu meiner Überraschung im Hintergrund. Vorn und in der Mitte ein Mann im dunklen Anzug mit Weste, daneben ein größerer Mann in feldgrau, ja genau, in Uniform: Spiegelkragen der Generalität in rot und gold, etliche Orden auf der linken Brust, goldene Knöpfe auf dem Rock. Mein Blick ist immer noch getrübt, so dass es mir schwer fällt, Gesichtszüge zu erkennen. Doch indem ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, kommt mir gleich eine Ahnung.

      „Lieber Freund Gustav, was machst du denn nur für Sachen!

      Professor Kraus hat mir Rapport erstattet: Es sei nicht nur dein Herz. Es komme auch noch deine Niere dazu. Dabei will ich doch gar keine Hiobsbotschaften hören! Ich will doch nur, dass du wieder hier heraus kommst, aus unserer so anerkannten Charité. Deutschland braucht dich im Auswärtigen Amt. Und ich ganz besonders brauche dich als Freund, als Berater, als Begleiter auf meinen Auslandsreisen. Nun sag mir schon, dass es dir schon viel besser geht.”

      Danach fühle ich mich nun mal gar nicht. Wenn aber der Kaiser einen Krankenbesuch im Klinikum abstattet, ist es natürlich meine Pflicht, Zuversicht zu verbreiten und vor allem gute Laune.

      „Euer Majestät, lieber Wilhelm, wie schön, dass du zu mir kommst.”

      Mein Lächeln erscheint mir tadellos, doch die Stimme ist derart schwach und brüchig, dass sie meine Worte Lügen straft. Das ist mir indes gleich. Bei diesem Besuch sollen alle wenigstens für einige Minuten so tun, als hätte der Patient hier nicht mehr als eine erfolgreich operierte Blinddarmentzündung hinter sich.

      „Meine liebe Käte wusste heute morgen schon zu berichten, dass du dich höchst persönlich nach meiner Gesundheit erkundigt habest. Nicht so viel der Ehre, Wilhelm! Gib mir bitte einfach die Zeit und die Muße, wieder auf die Beine zu kommen.”

      „So gefällst du mir, Gustav. Immer voller Tatendrang, immer optimistisch, immer tief stapeln, was seine eigenen Verdienste anbelangt.”

      Jetzt lacht Seine Majestät, Kaiser Wilhelm III. laut und schneidig auf. Sein Blick zum Internisten Professor Kraus bringt unverhohlen die Erwartung zum Ausdruck, es ihm an Freundlichkeit und Wohlgemut gleich zu tun. Allein dafür, für seine gute Laune, mag ich Wilhelm von Preußen so sehr. Auch wenn die Zeichen für eine echte Freundschaft zu Beginn unserer Bekanntschaft und dann auch manches weitere Mal in den schicksalsschweren Monaten gegen Kriegsende 1918 nicht zum Besten standen. Heute indes bin ich so schwach, kaum die Kraft für weitere Worte bündeln zu können. Deshalb hoffe ich inständig, dass der Kaiser die kurze Stille durchbrechen möge.

      „Heute Morgen, das ist wahrlich gut, lieber Gustav. Gestern war deine verehrte Gattin hier zu Besuch und du wachtest. Seitdem aber hast du dir einen wahrlich langen und tiefen Genesungsschlaf genehmigt. Ich hoffe, du hast gut geträumt.”

      Ja, wenn du nur wüsstest, lieber Wilhelm! So geht es mir durch den Kopf und ein zufriedenes Schmunzeln legt sich um meine Mundwinkel.

      „Ich bin jetzt jedenfalls überhaupt nicht hier, um dich mit deiner Arbeit zu behelligen oder dich regelrecht auszufragen. Falls du dich etwas unpässlich fühlen solltest, um mir viel zu erzählen, so will ich gerne einspringen und dir ein wenig berichten von meiner letzten großen Jagd in der Johannisberger Heide. Das war ein Vergnügen!”

      Ich bin dankbar und erleichtert. Daher nicke ich Wilhelm freundlich zu und entspanne mich in dem sogleich von einer kräftigen Schwester aufgestellten Kopfelement meines Bettes. Zwei Pfleger tragen soeben einen bequemen Sessel herein und stellen diesen nur etwa einen Meter und fünfzig Zentimeter von meinem Bett für den Kaiser auf. Wilhelm III. nimmt in aller Seelenruhe Platz, streckt die Beine weit aus und beginnt.

      Und Seine Majestät sind in Erzähllaune! Er berichtet von der Treibjagd auf Füchse. Gibt mir an, in der Welt sei ja ohne mich wenig los, so dass er auch gar keinen Bericht zu den aktuellen Taten der Briten oder Amerikaner abzugeben habe. Aber das seien ja noch Zeiten gewesen, als wir beide - und ganz wenige andere natürlich auch - 1918 all unsere Intelligenz, all unsere Scharfsinnigkeit in der Analyse der weltpolitischen Möglichkeiten und vor allem all unseren Tatendrang zusammen genommen hätten und schließlich einen hervorragenden Friedensschluss für das Reich erzielt hätten. Die anwesenden Mediziner in der zweiten Reihe kommen nicht umhin, die Worte des Kaisers durch unmissverständliche Gesten und Minen zu bestätigen.

      Mir dagegen fällt nach anfänglich großem Vergnügen das Zuhören immer schwerer. Der Kopfschmerz legt wieder zu, mir schwindelt, ich kann die Augen kaum noch offen halten. Dann muss ich tatsächlich für einen Sekundenschlaf eingenickt gewesen sein, denn ich schrecke durch ein lautes Wort auf, zucke zusammen und sehe Wilhelm mit großen Augen an.

      “Das ist ausgesprochen nett und höflich, lieber Gustav, dass du mir so aufmerksam zugehört hast. Da ich aber gekommen bin, um dich zu unterhalten, und nicht, um dich anzustrengen, möchte ich dich wieder der Ruhe deines Zimmers und nicht weniger der Obhut deiner Ärzte überlassen. Wir sehen uns schon sehr bald wieder!“

      Wilhelm lächelt, steht auf, beugt sich zu mir hinunter und drückt mir die Schulter. Das tut gut. Auch wenn das für andere schwer vorstellbar zu sein scheint, aber Seine Majestät der Kaiser ist mein wahrer Freund und ich damit natürlich auch seiner. Nachdem mit Wilhelm die gesamte Schar der weiß bekittelten Begleitung mein Zimmer verlassen hat, bin ich froh und dankbar für seinen Besuch, und in diesem Moment noch mehr dafür, jetzt erneut meine Ruhe zu finden. Ich bin müde und ich möchte schlafen. In meinem Zustand ist es auch tatsächlich kein Problem, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Es dürften nur einige Sekunden sein, bis ich dem wach Sein entschwunden bin. An die Stelle des geräumigen Krankenhauszimmers tritt vor mein inneres Auge die herrliche Blüte der Büsche und Bäume im Tiergarten. Es ist Frühling, der Frühling 1917. …

      Der Mai 1917 geht zu Ende, meine Gespräche mit den Kollegen Haußmann, Erzberger und Scheidemann konzentrieren sich nach anfänglich hitziger Debatte über das preußische Wahlrecht inzwischen eindeutig auf die Frage nach der Möglichkeit eines Verständigungsfriedens. Es liegt in der Natur der Sache, nämlich in der Natur unserer unterschiedlichen inhaltlichen Positionen zu Fragen des Kriegszielprogramms, dass bei meinen drei Gesprächspartnern ein Rest Zweifel, vielleicht sogar auch Misstrauen mir gegenüber bleibt. Das ist wohl kaum verwunderlich, wenn ich mir selbst meine Haltung zu den Kriegszielen des Reiches seit dem Septemberprogramm Bethmann-Hollwegs in Erinnerung rufe. Der Reichskanzler war damals vorgeprescht, doch zugleich musste er wohl zu dieser alles entscheidenden Frage der deutschen Politik im Herbst 1914 selber Stellung beziehen. Seine Stellungnahme war de facto das Angebot zum Kompromiss in viele Richtungen, was die maßgebenden Kräfte der inneren Politik anbelangte. Unter Druck geriet Bethmann-Hollweg allerdings gerade 1916 mehr von rechts denn von links; vielen Vertretern der Schwerindustrie gingen seine Forderungen nicht weit genug. Woran lag es eigentlich, dass Bethmanns Kriegszielprogramm kaum Anhänger fand? Junkern und Stahlbaronen gingen seine Ziele nicht weit genug. Der Sozialdemokratie dagegen war jeder Friede suspekt, der eindeutig einen Sieger und einen Besiegten kannte. Was wollte der Reichskanzler im September 1914 also wirklich und was hatte er damals wirklich geregelt? Neben zahlreichen schwammigen Aussagen zu so interessanten Fragen wie Kolonien, Flotte und Welthandel beschränkten sich die einigermaßen fassbaren Inhalte auf vier Positionen, die sich für die Verhandelbarkeit des Programms mit dem Feind als entscheidend erweisen mussten:

      Im


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