1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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auch der bis dahin recht ernsthafte Scheidemann lachen. Er stimmte zu, dass die Fraktionen der Gesprächsteilnehmer bitte sehr beide Zielsetzungen zu verfolgen hätten: über den Reichstag auf die Wahlrechtsreform wie auf einen Verhandlungsfrieden zu drängen. Erzberger brachte das Ergebnis dann gleich unter Dach und Fach, indem er erklärte, das wolle er umgehend dem Herrn Stresemann mitteilen. Die drei waren sich nämlich nun auch noch darin einig, dass ihre Initiative nur dann Aussicht auf Erfolg haben werde, falls es ihnen gelänge, die Nationalliberale Partei auch noch für eine Kooperation zu gewinnen. Als Haußmann mir das berichtete, sprudelte es gleich aus mir heraus:

      „Recht haben Sie da! Nur wenn Konservative und Bayernpartei an dem einen Rand des politischen Spektrums, die Unabhängigen Sozialdemokraten an dem gegenüberliegenden Rande erkennen, dass sie als die einzigen Gegner einer neuen Reformpolitik verbleiben, können Ludendorff und Bethmann begreifen, gar nicht mehr an der Einsicht vorbei sehen, dass sie sich bewegen müssen!”

      „Das sind ja ganz ungewohnte Töne aus Ihrem Munde, lieber Doktor Stresemann. Ich war bislang immer davon überzeugt, die Nationalliberalen seien in solchem Maße eine staats- und regierungstragende Partei, dass sie niemals ein politisches Bündnis zur Beeinflussung der Reichsleitung eingehen würden. Das gibt mir die Hoffnung, dass dieses maßlose Schlachten im Westen ein Ende finden möge, bevor im Felde Millionen gefallen und zu Hause Millionen verhungert oder erfroren sein werden.”

      So kam es, dass wir vier uns fast vier Wochen später, am 29. April, in meinem Privathaus trafen. Denn wir waren zuvor übereingekommen, ein Gespräch in der Öffentlichkeit einer gastronomischen Restauration käme ebenso wenig in Frage wie in den manchmal papierdünn anmutenden Wänden des so wuchtigen Reichstagsgebäudes.

      „Die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts im Königreich Preußen ist die Basis für alles, vor allem dafür, dass Preußen auch noch länger ein Königreich bleibt. Vor unserem heutigen Treffen hat mir mein Parteivorsitzender Friedrich Ebert mit auf den Weg gegeben, dass er gerade angesichts der Agitation von Lenin in Petersburg mittlerweile von einem überzeugt sei: Besser eine Monarchie bleiben und die Anarchie auf der Straße damit vermeiden, als sich die volle politische Freiheit mit Elend und Chaos zu erkaufen.”

      „Lieber Herr Scheidemann, falls es mir jemals gelingen sollte, meine Fraktion und meinen Vorsitzenden Ernst Bassermann von der Unvermeidbarkeit der Kooperation mit Ihren Sozialdemokraten zu überzeugen, dann wird es mittels dieser Überzeugung von Herrn Ebert sein.”

      Ich war durchaus euphorisch in Anbetracht der Scheidemannschen Wortwahl. Und so wurde ich vom nüchternen Erzberger gleich wieder auf den harten Boden der tristen Tatsachen zurückgeworfen.

      „Ob Sie da nicht übertreiben, lieber Stresemann? Ich habe Ihre nationalen Blätter stets so gelesen, dass die großen Fabrikherren aus dem Westen zwar die Erzgruben von Longwy und Briey von Frankreich verlangen, aber dafür noch lange nicht bereit sein werden, mit der Arbeiterschaft einen Frieden zu schließen für mehr Mitwirkung im Betrieb. Das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst haben die Hugenbergs dieser Welt doch nicht wirklich aus innerer Überzeugung akzeptiert. Sie versuchen doch weiter die Bildung von Arbeiterausschüssen zu verhindern oder diese, sobald vorhanden, zu schikanieren, wo es nur geht.”

      Natürlich hatte Erzberger Recht. Aber das wollte und konnte ich doch hier gegenüber der Sozialdemokratie nicht so unumwunden zugeben. Scheidemann hätte mich sogleich für einen Hanswurst gehalten, mit dem keine weiteren Konsultationen zu halten sein würden, und vor allem hätte er seiner Fraktion genau so berichtet. Also musste ich mir etwas Überzeugendes einfallen lassen.

      „Meine Herren, denken Sie denn tatsächlich, Herr Bassermann und ich hätten daran nicht zuvor gedacht, bevor wir uns zu meiner Teilnahme an diesem Gespräch entschlossen? Wir wissen um die stark divergierenden Flügel und Interessen gerade unter den Wirtschaftsvertretern meiner Partei. Die Vertreter der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie und der Steinkohle sind noch weit davon entfernt, die Sozialdemokratie als Verhandlungs-, geschweige denn als Kooperationspartner anzuerkennen. Doch wenn es einer gesellschaftlich-politischen Kraft in Deutschland gelingt, die Stahlbarone aus dem Bündnis mit den konservativen Junkern zu locken, dann wird dies einzig und allein die nationalliberale Heimat jener Industriellen sein. Ich habe die Chance, Hugenberg und Stinnes das hier zu vermitteln: Sobald ihr nur noch die Konservativen als Bündnispartner habt, aber SPD, Zentrum, Fortschrittler, und die Mehrheit der Nationalliberalen gemeinsam für Reformen streiten, um das Reich zu erhalten, werdet ihr unwiederbringlich an Macht verlieren! Sie aber, Herr Scheidemann, werden politisch auf sich allein gestellt diese Chance auf die Einleitung eines Gesinnungswandels bei jenen Herren von der Ruhr niemals erhalten! Deshalb würden sie mir und Deutschland einen großen Gefallen tun, falls Sie bereit wären zu akzeptieren, dass wir vier hier ein gemeinsames Ziel verfolgen. Und voraussichtlich wird es uns auch lediglich gemeinsam mit vereinten Kräften glücken, unsere übereinstimmenden Vorstellungen zu verwirklichen. Sollten Sie versuchen, mich in meiner eigenen Partei zu schwächen, dann können Sie vielleicht meinen Abstieg besiegeln. Das gleiche Wahlrecht in Preußen aber oder gar einen Verständigungsfrieden, die bekommen Sie dafür aber nicht!”

      Stille herrschte in der Runde. Conrad Haußmann atmete tief ein und aus, blickte mich an und lächelte fast unmerklich, dennoch ein wenig verschmitzt. Matthias Erzberger dagegen starrte gerade aus in die Leere. Er traute sich wohl nicht, einem von uns beiden vermeintlichen Kontrahenten, Scheidemann oder mir, sofort ins Gesicht zu blicken, und damit dem anderen zu signalisieren, wem er gerade eben die größeren Sympathien entgegen bringe. Weil er wohl die Befürchtung hegte, der jeweils andere könnte das zum Anlass nehmen, sich als isoliert zu betrachten und die Runde womöglich für immer als gefühlter Verlierer zu verlassen. Da stand etwas auf Messers Schneide, das spürte ich wohl. War ich vielleicht zu weit gegangen, mit meiner forschen Sprache, die Scheidemann als ein wenig arrogante Zurechtweisung würde begreifen können? Ich wartete einfach ab und konzentrierte mich scheinbar darauf, meinen Kaffee genussvoll zu trinken.

      „Ja, ja, so ist das mit den großbürgerlichen Nationalliberalen. Da glauben sie, uns kleinen Sozialdemokraten Vorhaltungen machen zu dürfen, weil wir vielleicht nicht das große Ganze der deutschen Politik im Auge hätten. Lieber Stresemann, wäre das hier gerade in einer Debatte des Reichstags geschehen, so erlebten wir jetzt sogleich einen heftigen Schlagabtausch, der das Klima zwischen unseren Parteien kaum würde zum Besseren wenden helfen.”

      Scheidemann machte eine Pause und wartete ein wenig ab. Er genoss die Spannung in Erzbergers Gesichtszügen. Ich war indes um ein Pokerface bemüht. Ob es mir restlos gelang, mag ich im Nachhinein bezweifeln, so wie es in jenem Moment damals in meinem Innersten aussah.

      „Doch meine Herren, wir sind ja hier nicht im Deutschen Reichstag, glücklicherweise. Denn weil dies anders ist, ist es uns gestattet, einfach als ehrliche deutsche Männer weiter miteinander um den Austausch der besten Argumente zu ringen. Weil das so ist, verspüre ich keineswegs eine Neigung, polemisch oder auch nur heftig zu reagieren. Mein Wunsch ist statt dessen, das Gespräch mit Ihnen, Herr Doktor Stresemann, einfach und ernsthaft fortzusetzen. Weil wir hier hinter verschlossenen Türen sprechen, weil wir uns versichert, ja sogar geschworen haben, dass kein Wort aus diesem Raume draußen über unsere Lippen kommt, es sei denn, es ist einvernehmlich so vereinbart, ja deshalb hat unserer Runde zu viert eine echte Aussicht auf Fortschritte. Meine Herren, möge es uns gelingen, einen Beitrag zur Gerechtigkeit in Preußen und Deutschland, einen Beitrag zum Frieden in der Welt zu leisten!”

      Mit diesen durchaus theatralisch über Scheidemanns Lippen kommenden Worten endete unser erstes Treffen. Viele weitere sollten bis Ende Juni folgen, das Vertrauen zwischen uns stärken, das Verständnis füreinander schaffen, welche ernst zu nehmenden Motive jeder einzelne für seine Haltung hatte. Am Ende musste ich lernen, dass meine eigene Partei noch nicht bereit war, die Macht in Preußen zu teilen. Somit behielt Erzberger Recht mit seiner nüchternen Kritik vom ersten Tage. Und auch Matthias Erzberger war es, der den Schlüssel zum Erfolg unserer Gesprächsrunde schmiedete, indem er immer aufs Neue Vorschläge für einen Frieden ohne großes deutsches Kriegszielprogramm formulierte. Wir rieben uns daran, arbeiteten uns daran ab. Ab Pfingsten 1917 schließlich zeichnete sich ab: Wir würden für unsere vier Parteien die Chance sehen, eine Resolution des Abgeordneten Erzberger mit der Aufforderung zur Aufnahme von


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