1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

1918 - Wilhelm und Wilson - Magnus Dellwig


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heute aus der Rückschau doch so sehr wünschen würde. Und auch manches weitere gute Gespräch mit meinen beiden so recht gelungenen Söhnen wünsche ich mir für die Zukunft ebenfalls. - Sollte das Schicksal mir noch eine zweite Chance eröffnen und die Gesundheit für einige weitere Jahre schenken, so zählt dies zu meinen festen Vorsätzen, die bisherige Zurückstellung des privaten Glücks, des Familienlebens endlich doch für meine liebe Käte sicht- und spürbar zu beenden!

      Doch wie Erfolg versprechend sind die Aussichten für ein neues Leben in Gesundheit für das alte liberale Schlachtross Gustav denn nun wirklich? Schon vor zehn Jahren, im Juni 1919 erlitt ich aus völlig heiterem Himmel einen Herzanfall, in dessen Folge meine körperliche Rüstigkeit nicht allein kurzzeitig litt, sondern sich die Gesundheit zu allem Überdruss auch noch stetig zu verschlechtern begann.

      Na ja, so ganz aus heiterem Himmel war das nun wieder auch nicht. Die davor liegenden 18 Monate mit allen Turbulenzen der Regierungsbildung, vor allem aber natürlich mit den intensiven, spannenden, ja schicksalhaften Friedensverhandlungen mit Premierminister Lloyd George, mit Präsident Wilson und dann natürlich mit Seiner Majestät Kaiser Wilhelm, waren keineswegs ein Zuckerschlecken. So aufregend und anregend jene Zeit war, ebenso anstrengend musste sie natürlich für all jene sein, die mit derart vollem Einsatz wie etwa meine Freunde Walther Rathenau und Albert Ballin, Richard von Kühlmann, Philipp Scheidemann, Matthias Erzberger, Conrad Haußmann, der junge Kaiser und ich für die friedliche Zukunft Deutschlands und der Welt stritten. Mein Gott, was war das für eine Zeit! Welch ein Glück, persönlich mitgewirkt haben zu dürfen an den Ereignissen vom Regierungsantritt Wilhelms III. im Februar 1918 bis zum Friedensschluss kurz vor Jahresende!

      Mit einem kräftigen und durchaus geräuschvollen Schwung wird die breite, schwere Zimmertüre aufgestoßen und ein knappes Dutzend in weiße Kittel gekleidete Herren und Damen betritt gemessenen Schrittes, ja sogar etwas ehrfürchtig zögernd, den Raum. Aus der Mitte der Gruppe tritt ein großer schlanker Herr mit dünnem grauen Haar um die Mitte sechzig hervor und an das Bett des Patienten. Professor Friedrich Kraus, der auch nach seiner Emeritierung als Chefarzt der Internistischen Klinik 1927 weiterhin fast täglich seinen Dienst tut und seine privaten Patienten behandelt, genießt den glänzenden Ruf des größten Fachmanns für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland. Ich bin seit meiner ersten Herzschwäche im Jahr 1919 sein Patient und fühlte mich seitdem stets bestens und kompetent aufgehoben.

      „Lieber Herr Reichsminister des Äußeren, Herr Doktor Stresemann, wie sehr wir uns alle freuen, dass sie zu Bewusstsein gelangt sind und nun mit uns sprechen können.

      Übrigens habe ich veranlasst, dass Ihre Gattin umgehend fernmündlich darüber verständigt wird, dass sie nun wieder ansprechbar sind. Sie wird sicherlich sehr bald am heutigen Tage hier im Hause erscheinen.”

      „Lieber Herr Professor Kraus, da sie es ja nun gerade ansprechen, welchen Tag haben wir denn heute überhaupt?”

      Die anwesende Visite zeigt ein kollektives Schmunzeln. Chefarzt Kraus räuspert sich und entgegnet in vergnüglichem Tonfall.

      „Lieber Herr Doktor Stresemann, wir haben heute den 25. September, des Jahres 1929 selbstverständlich. Und sie erfreuen sich nun bereits seit beinahe vollen drei Tagen der Obhut meines Hauses.

      Dabei möchte ich sogleich betonen, wie sehr es uns mit Freude erfüllt, dass ihre verehrte Gattin erneut unserer Klinik das Vertrauen geschenkt hat, als ihr Gesundheitszustand einen entsprechenden Aufenthalt erforderlich machte. Wo wir dabei sind: Am frühen Nachmittag des 22. September erlitten sie daheim eine durchaus sehr ernst zu nehmende Herzattacke, die wir hier im Hause erfolgreich medikamentös zu behandeln vermochten. Dabei mussten wir leider feststellen, dass seitdem sowohl ihr Herz rhythmische Störungen aufweist als auch die in ihrem Hirn messbaren elektrischen Ströme starken Schwankungen unterliegen. Wir sind geneigt zu diagnostizieren, dass sie vor drei Tagen zugleich einen Schlaganfall von mittlerer Schwere erlitten haben. Es ist gar anzunehmen, dass dieser Schlaganfall der Auslöser für ihre akute Herzschwäche ist. Einen Herzinfarkt haben sie nach dem Stande meiner persönlichen Untersuchungen jedoch voraussichtlich nicht ebenfalls erlitten. Bitte wundern sie sich daher keineswegs, falls sie jetzt aktuell unter fühlbaren Kopfschmerzen und/oder Beschwerden im Brustkorb leiden sollten.”

      Ich nicke zustimmend, und fühle mich gleich wieder ein wenig schlechter, angesichts der nicht sehr ermutigenden Erläuterungen des mir seit zehn Jahren persönlich recht gut bekannten lieben Professors Kraus.

      „Jetzt weiß ich ja wenigstens, wo das alles so herrührt, dass ich mich hier in ihrem gemütlichen Krankenhausbette nicht einfach einmal von rechts nach links wenden kann, weil ich das Gefühl verspüre, dass mir der Brustkorb förmlich zerspringen möge. Doch nichts für ungut, meine Damen, meine Herren. Ich bin hart im Nehmen und gedenke keineswegs, meine irdische Anwesenheit so bald aufzugeben.”

      Ein fröhliches, ja nahezu befreites Gelächter der gesamten Gruppe zerreißt die Stille, die sich schon während der Erläuterungen des Professors eingestellt hatte. Ich hingegen beginne ernsthaft an meinen Genesungsaussichten zu zweifeln, wenn die Stimmung unter der versammelten Ärzte- und Schwesternschaft auf mich derart angespannt wirkt. Doch dieser Spekulation kann ich nicht weiter nachhängen, denn Kraus setzt seine für mich hoch informativen Erläuterungen fort.

      „Mein lieber Herr Doktor Stresemann, bereits bei Ihrem letzten Aufenthalt in unserem Klinikum vor einigen Monaten war ich darum bemüht, Ihnen und mir selbst ein umfassendes und zutreffendes Bilde vom Gesundheitszustand des Herrn Reichsaußenministers zu verschaffen. Sie wissen sicher noch, dass ich seiner Zeit mit den Befunden keineswegs zufrieden sein konnte. Sie erinnern sich sicherlich ebenfalls noch, wie schwer es der heutigen Medizin, trotz all der immensen Fortschritte aus den letzten Jahren, weiterhin fällt, sich ein vollständiges diagnostisches Bild von ihrer Erkrankung zu machen.”

      Kraus atmet ein Mal tief ein und aus. Währenddessen ist er sichtlich bemüht, mich so aufmunternd wir nur irgend möglich anzuschauen. Um seine Mundwinkel spielt ein Lächeln und er nickt ein wenig. Doch in den schönen blauen Augen des Professors erspähe ich nichts von der Begeisterung des Forschers, der seinem Patienten kurz darauf eine bahnbrechende neue und vor allem hoffnungsfrohe Erkenntnis zu vermitteln vermag. Nun bin ich aber kein Pessimist und ich verzage keineswegs schnell! Doch das ändert nichts daran, dass an mir der Quell des Zweifels nagt, ob es auch dieses Mal wohl wieder so kommen möge wie schon so manches Mal während der zurückliegenden zehn Jahre: Dass der alte Gustav sich trotz seiner weniger robusten Konstitution als altes Schlachtross erweist und wieder auf die Beine kommt.

      „Im Sommer noch konzentrierte ich all meine Aufmerksamkeit auf Ihr Herz, lieber Stresemann. Das hat ja nun auch eine gute Tradition, fing doch die Malaise im ersten Friedensjahr 1919 mit Ihrem Herzinfarkte an. In den letzten beiden Tagen haben wir ihnen jetzt jedoch nicht allein die Herzfrequenz gemessen und das Herz geröntgt, wir haben ihnen zudem im so eben noch vertretbaren Ausmaße Blut entnommen, um eine Reihe allerneuester chemischer und pharmazeutischer Untersuchungsverfahren anzuwenden. Und ich sage ihnen, lieber Stresemann, es hat sich wahrlich gelohnt! Denn wir haben heraus gefunden, dass ihr Herz zwar mit etwas zaghafter Kraft, dennoch stetig und verlässlich schlägt. Dass gilt trotz einer, sagen wir einmal, Aussackung, die ihre linke vordere Herzkammer vom Infarkt vor zehn Jahren wohl davon getragen hat. Jene Aussackung zeigt uns das Röntgenbild. Die erfreuliche Zusammensetzung des Blutes mit den nötigen Anteilen an Eisen, Magnesium und weiteren Teilchen bestätigen uns die neuen chemischen Verfahren.

      Und was diese neuen Verfahren uns vor allem noch zeigen, ist ein neuer medizinischer Blick auf ihre Nieren, verehrter Herr Doktor Stresemann. Dort stelle ich gemeinsam mit den Herren Kollegen Medizinern der Klinik für innere Medizin an unserer Charité folgendes fest: Ihre Nieren leisten leider nicht mehr die volle Reinigungskapazität, die der menschliche Körper benötigt, um sich aller Gifte zu entledigen. Wir sind uns nunmehr auch einig geworden, dass diese - nennen wir es - Nierenunterfunktion selbst wiederum kaum die Primärerkrankung sein dürfte, welche sie schon seit Jahren plagt. Es ist möglich, indes keinesfalls gewiss, dass wir hier auf einen Zusammenhang mit der unzulänglichen Funktion der Schilddrüse treffen. In medizinischen Fachkreisen wird die von uns angenommene Fehlleistung der Schilddrüse als die Basedowsche Erkrankung bezeichnet. Sie dürfen sich unverbrüchlich gewiss sein, dass wir die nun


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