Schwein im Glück. Astrid Seehaus
Winter. In Wirtschaftskreisen hatte dieser Mann einen solchen Ruf, dass er einen blenden würde, liefe er als Reklametafel herum. Sein Wirtschaftsstudium hatte er mit magna cum laude abgeschlossen, und seine Aufgabe war es, Unternehmen wieder auf Vordermann zu bringen. In diesem Fall – wahrscheinlich wie in allen Fällen, von denen ich gehört hatte –, mit Maßnahmen, die uns schmerzen würden: mit Kündigungen.
Er war ein paar Jahre älter als ich und verkörperte Black Mambo, wie er in Evelyns Manuskript stand: unberechenbar und arrogant. Und was das gute Aussehen betraf: man konnte geteilter Meinung sein. Wer gut aussah, dem wurde es zu leicht im Leben gemacht, und später brachen sie einem dann sowieso das Herz. Eine Gefahr, die Nesrin nicht kümmerte.
Damian Winter war meiner Ansicht nach wie Rotkäppchens Wolf. An sich hatte er keine Ahnung vom Büchermachen, das hatte ich schon in den ersten Gesprächen mit ihm festgestellt, aber Dieter Weber hatte sich ins Abseits befördert. Über die Interna konnte lediglich spekuliert werden. Ich nahm an, dem Vorstand war Dieter Weber zu alt und zu konservativ. Bücher machte man nicht mehr so leicht wie noch vor dreißig oder vierzig Jahren, als Weber dabei war, den Zenit zu erklimmen. Die Zeiten hatten sich geändert: Webers Befugnisse waren beschnitten, und ein Winter durfte nicht erfahren, dass die Manuskripte von Webers Nichte lektoriert wurden, nicht nur weil es meine Arbeitskraft band, sondern auch weil Wäschereißer nicht ins Programm des Verlages gehörten. Noch nicht, dachte ich. Wenn es weiter so schlecht mit dem Büchermachen ging, würden auch die Erotika ins Auge gefasst werden. Was tat man nicht alles, um einen Verlag zu retten?
Weber hatte mich inständig gebeten, die Geschichte seiner Nichte zu glätten, was in Wahrheit eine totale Umschreibung des Textes erfordert hätte, und dabei schlich Winter um mich herum, als ob er den Braten riechen würde. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich es Weber erklären sollte, dass seine Nichte untalentiert war.
Die Tür sprang auf. Ich hoffte, dass es mein Kollege Weber sein würde, sah mich dann aber meinem schnöseligen Chef gegenüber, der mich beäugte, als ob ich Klapperschlangen unter dem Schreibtisch versteckt hätte. Ich erhob mich und schob das Liebespaar MMM und Black Mambo unauffällig unter meine Mappe.
Als ich im Verlag anfing, war es meine Aufgabe, Kinderbücher zu lektorieren, neuerdings half ich auch bei der Unterhaltungsliteratur aus. Während der Zeit als Kinderbuchlektorin hatte ich meine Liebe zu den Bilderbüchern entdeckt. Die Zusammenarbeit mit den Illustratoren war angenehm und kurzweilig. Ich freute mich jedes Mal wieder, wenn der Verlag ein Bilderbuchprojekt machen wollte. Aber das würde, wenn sich Winter durchsetzte, wohl bald zu den Märchen gehören. Es war einmal … Winter wollte das Bilderbuchsegment abschaffen. Das hatte mir Dana, seine Assistentin, unter dem Mantel der Verschwiegenheit erzählt. Mir schien, Winter wollte noch viel mehr, nämlich auch uns Lektoren abschaffen. Natürlich fragte ich mich, wer dann die Texte lektorieren sollte. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass Winter Nesrin ins Auge gefasst hatte, die, so lieb sie auch war, gedanklich nicht über Nagellack und Haarentferner hinauskam, dafür aber nichts kostete. Vielleicht machte aber auch Ana, unsere litauische Putzfrau, das Rennen.
Am Tag vorher hatte Nesrin mir erzählt, dass sie Winter in der Herrentoilette gehört hätte, wie er etwas von einer LSD-Lampe gefaselt hatte, aber schlau wäre sie daraus nicht geworden.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich und unterdrückte mein Wanken, als mich sein Blick aus stechend blauen Augen traf, von dem Nesrin behauptete, davon bekäme man weiche Knie. Sie hatte Recht.
„Benita, nicht wahr?“, ertönte seine Stimme, die zu meinem Verdruss höchst angenehm klang. Konnte dieser Mann nicht krächzen wie ein Rabe? Es wäre mir dann leichter gefallen, ihn unsympathisch zu finden.
Benita! Was hatten sich meine Eltern nur dabei gedacht, mich auf einen nach Fußpilztinktur klingenden Namen taufen zu lassen? Benita war vor gefühlten hundert Jahren irgendeine Tante irgendeines Cousins meiner Mutter gewesen, hatte drei Männer zu Grabe getragen, zehn Kinder großgezogen und das Geschäft, laut meiner Mutter, allein betrieben. Ich hatte nichts von Benitas Genen. Ich war vor einem Monat, im Juni, bei einer unspektakulären Feier einunddreißig geworden und Single, sah fünf Jahre jünger aus, und fühlte mich, nun, da mich Winter anstarrte, schlagartig wie zwölf.
„Äh, ich habe nicht ganz verstanden“, stammelte ich und versuchte herauszufinden, warum er mir etwas davon erzählte, dass eine Frau beim Einkauf in einem Beleuchtungsgeschäft eine LSD-Lampe verlangt hatte.
Das war genau das, was ich an diesem Mann hasste. Er schaffte es immer wieder, dass ich mir wie eine Idiotin vorkam. Er hatte etwas gefragt, und ich hatte nicht zugehört. Und nun wusste ich nicht, was er von mir erwartete.
Winter schaute auf seine Schuhspitzen. „Äh … ja, ach so. Nun … Ich wollte nur wissen, wie es Ihnen geht, keine Examina bei Ihnen durchführen.“ Er lachte verlegen und sah mich weitaus interessierter an, als mir lieb war.
Wie schon bei Nesrin versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich hatte an diesem Morgen verschlafen und deswegen in der Eile die Bluse vom Vortag angezogen. Sie saß heute irgendwie besonders schlecht und war leider auch ungebügelt. Den fehlenden Knopf versuchte ich mit meiner Hand zu kaschieren, was etwas unglücklich wirkte, denn ich sah aus, als ob ich mich gleich übergeben würde, was Winter auch zu der beunruhigten Äußerung „Ist Ihnen nicht gut?“ veranlasste.
Wahrscheinlich war es die pure Angst vor dem Verlust meiner Arbeitsstelle, kombiniert mit meinem Hungergefühl. Vor lauter Arbeit kam ich oft nicht zum Essen. Mein Puls raste, und ich wusste nicht weshalb. Man musste nicht jedes Mal wieder so nervös werden, wenn man von azurblauen Augen gemustert wurde. Seitdem ich schmählich von Carlo sitzen gelassen worden war – Männer waren Lügner –, versuchte ich mich gegen diese Spezies zu immunisieren. Das war mir bisher auch ganz gut gelungen. Aber dieser Mann vor mir, dieser Wolf im Schafspelz, der sich mir nun besorgt näherte, brachte mich durcheinander. Und das war nicht gut.
„Ich …“, fing ich an und wurde von Nesrin unterbrochen, die instinktiv im richtigen Moment ins Zimmer stürmte.
Meine Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Ich wüsste nicht, was ich laut ausgesprochen hätte, bar jeden Verstandes. Vielleicht so etwas wie Rauben Sie mir sofort meine Unschuld auf dem Schreibtisch.
Black Mambo hatte ganze Arbeit an mir geleistet. Ich war unzurechnungsfähig, hormonell dysfunktional, geradezu gefährlich blöd. Noch so ein Manuskript von Webers Nichte, und ich würde Winter zuvorkommen und kündigen müssen.
Nesrins Auftauchen war meine Rettung. Sie zirpte mit ihrer Singsang-Stimme, und Winter wandte sich ihr zu. Die Gelegenheit nutzend griff ich nach meiner Handtasche. Während Nesrin unseren Chef mit Blicken verschlang, nahm ich, wie meine Heldin, Reißaus, froh, dass keine Kutsche im Weg stand.
2
Ungeduldig saß ich im Café Prüsse an der Außenalster und wartete auf Esme, meine Freundin. Esmeralda Lehmann. Natürlich war ihr Vorname seltsam, mindestens ebenso wie meiner. Wir hatten schon endlose Diskussionen darüber geführt, was unsere Mütter mit diesen Namen verbunden hatten, als sie sie uns gaben und waren zu keiner Erklärung gekommen außer der der Postnatalen Depression.
Esme war so alt wie ich, einunddreißig. Sie war selbstbewusst, reich, schön, unabhängig, auch wenn sie erst mit zweiundvierzig über das ganze Erbe ihrer Großmutter verfügen dürfte und damit dann wirkliche Unabhängigkeit erlangt hätte. Bis dahin hatte sie eine Tante am Hals, die nicht nur unglaublich exzentrisch war (sie sammelte alte Autos wie die Guggenheim Kunstobjekte), sondern auch als Nachlassverwalterin fungierte. Trotz dieser unglücklichen Konstellation beneidete ich Esme.
Ich hatte einen Master in Literaturwissenschaft. Mein Studium hatte ich mehrmals unterbrechen müssen, um Geld zu verdienen, unter anderem auch als Aushilfe in dem Verlagshaus, für das ich arbeitete. Das war im Rahmen des Üblichen, wenn man studierte. Man sollte nur am Schluss seines Studiums nicht komplett verblödet sein. Ich hatte einen Fehler gemacht, und den bereute ich wieder und wieder. Da hatte es auch einen Damian Winter gegeben, einen Mann, der Herzen brechen konnte. Nur hieß er Carlo und war abgehauen. Er der Dozent, ich die Studentin. Wir hatten alle