Schwein im Glück. Astrid Seehaus

Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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Wenn die Seifenspender in den Toiletten leer waren, die zu füllen eigentlich Anas Aufgabe war, fühlte ich mich bemüßigt, sofort loszuhetzen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Eine Konditionierung ließ sich nicht so schnell abstreifen. Von Weber war daraufhin ein „Man muss im Leben Prioritäten setzen“ zu hören. Was Winter dazu gesagt hätte, wenn er damals schon im Verlag tätig gewesen wäre, konnte ich mir sehr gut vorstellen. Wahrscheinlich ein „Vielleicht haben Sie Ihren Aufgabenbereich nicht genügend verstanden. Toilettenpapier und Seife gehören jedenfalls nicht dazu.“ Ich kannte meinen Aufgabenbereich, und trotzdem begleitete mich eine tiefe Unsicherheit. Ich wollte einfach alles richtig machen.

      Mit lauem Interesse sah ich neben dem Teller meiner Mutter einen Brief. Ich sprach sie nicht darauf an. Die Post meiner Eltern war mir nicht wichtig, abgesehen davon war ich müde. Ich stand auf und wollte den Tisch abräumen, als sie plötzlich mit dem Kuvert vor meiner Nase herumwedelte.

      „Ich habe ihn schon aufgemacht“, erklärte sie. „Den Brieföffner brauchst du nicht mehr, Bille.“

      „Da hätte auch ein Messer gereicht“, fuhr mein Vater dazwischen.

      Ich starrte den Brief überrascht an. Für mich? Wer sollte mir schreiben? Für einen Moment glomm ein Hoffnungsfünkchen auf, dass der Brief vielleicht aus Amerika sei. Es war nur ein sehr kurzer Moment, dann verlosch es auch schon wieder. Nach drei Jahren würde Carlo mir nicht mehr schreiben. Ich hatte zwei Jahre auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet. Zwei Jahre, in denen alle meine Mails und Briefe unbeantwortet geblieben waren, und auch die SMS nicht ankamen, weil es die Handynummer nicht mehr gab. Jeden Tag hatte ich gehofft. Mit jedem Tag mehr, wie mir schien. Und nun, nach mehr als einem Jahr, in dem ich mir jede Hoffnung und jeden Gedanken an Carlo verweigert hatte – vielmehr versucht hatte, sie mir zu verweigern –, dachte ich zuallererst an ihn, wenn ich einen Brief sah? Das sagte ja viel über mich aus. Der Brief konnte auch eine Ankündigung der Krankenkasse sein, die ihre Beiträge erhöhen wollte.

      Mir war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, meine Mutter darauf aufmerksam zu machen, dass sie dieses Schreiben, wenn es sich um einen Brief an mich handelte, gar nicht hätte öffnen dürfen. Ich war wieder zu einem Kind geworden. Irgendwie wusste ich es, aber wehren konnte ich mich dagegen nicht.

      „Von Dr. Ebertsmann-Meier“, erklärte sie freudestrahlend.

      „Unserem Rechtsanwalt?“ Meine Beine gaben nach, und ich sank auf den Stuhl. War das die Kündigung? Aber dann würde sie nicht so strahlen. „Wenn ihr ihn gelesen habt, warum sagt ihr mir nicht einfach, was da drin steht?“

      „Er ist doch für dich“, entrüstete sie sich.

      „Und warum habt ihr ihn dann geöffnet?“

      „Wir wollten wissen, was da drinsteht“, erklärte sie.

      „Und was steht da drin?“ Mich beschlich ein bekanntes Gefühl: die Angst.

      „Mädchen, jetzt sei nicht so umständlich. Lies ihn, und dann weißt du Bescheid“, brummte Bastian, blätterte eine Seite um und verstummte wieder. Wenn die Zeitung sich nicht bewegt hätte, hätte ich gedacht, ich hätte mir seine Worte nur eingebildet.

      Ein Brief von einem Rechtsanwalt versprach an sich nichts Gutes. Er versprach niemals etwas Gutes. Ich ging im Geist meine Ratenzahlungen durch und die Termine, an denen ich meine Schulden abzutragen hatte. Hatte die Bank ein Inkasso-Unternehmen beauftragt? Aber auch das konnte es nicht sein. Und dass meine Schulden über Nacht getilgt waren und der Brief die schriftliche Bestätigung dafür, dass ich keine finanziellen Sorgen mehr hatte, war es sicherlich auch nicht. Das hätte meine Mutter sofort herausposaunt.

      Ich nahm den Brief entgegen und las ihn.

      „Er bittet mich, wegen einer Erbschaftsangelegenheit zu ihm in die Kanzlei zu kommen“, sagte ich und sah meine Eltern fragend an.

      „So ist es.“ Meine Mutter nickte, mein Vater schwieg.

      „Welche Erbschaftsangelegenheit?“, fragte ich.

      „Onkel Anton ist gestorben, vermutlich hat er dir etwas vererbt.“

      „Welcher Onkel Anton?“ Ich kannte keinen Onkel namens Anton. Anton war ein Name, den ich mir gemerkt hätte, wenn er irgendwann bei einem Gespräch gefallen wäre.

      „Dein Onkel, eigentlich dein Großonkel, der Bruder meines Großvaters“, antwortete Jette.

      Ich verstand nicht sonderlich viel von dem, was Jette gesagt hatte. „Warum hat Ben es vorhin nicht erwähnt? Und warum weiß ich von keinem Onkel Anton?“ Und warum saß Ben jetzt nicht hier, neben mir, und regelte das für uns?

      „Ben weiß nichts davon, und es betrifft ihn auch nicht. Du bis Alleinerbin.“

      Ach herrje, was war denn das, was da auf mich zukam? „Ich bin … Alleinerbin?“ Ich machte eine Pause, weil ich Widerspruch erwartete. Und da keiner kam, fragte ich: „Von was denn?“

      „Onkel Anton ist damals in Ungnade gefallen und nach Australien ausgewandert.“

      Das war nicht die Antwort auf meine Frage, erklärte aber, warum niemals über ihn gesprochen worden war.

      „Du gehst zu Dr. Ebertsmann-Meier und lässt dir alles erklären.“

      Ich konnte nicht umhin zu glauben, dass ich auf den Arm genommen wurde. Ein Onkel, über den in der Familie niemals gesprochen wurde? Und ich sollte etwas bekommen, ohne dass Ben es auch bekam? Das klang mir nach etwas, was nicht sein konnte.

      „Etwa allein?“, rutschte mir heraus.

      „Du bist einunddreißig“, grunzte mein Vater.

      Und Jette fragte: „Willst du denn gar nicht wissen, was du erbst?“

      „Äh … nö.“ Ich legte den Brief auf den Tisch und stellte die Teller aufeinander. Ich erlebte meine Mutter selten stumm, aber das war so ein Moment. Ihr Blick bohrte sich in meinen Rücken, als ich das Geschirr zur Spüle brachte und dort heißes Wasser in das Becken laufen ließ. Als ich ins Esszimmer zurückkehrte, spürte ich ihre Gekränktheit.

      Bastian sagte nichts. Er schwieg meistens, wenn ich mich mit Mama nicht verstand. Sich in eine Auseinandersetzung von Frauen einzumischen, war unter seiner Würde.

      Ich fühlte eigentlich nichts angesichts eines Erbes. Vielleicht eine gewisse Überwältigung angesichts der Tatsache, dass es jemanden auf der Welt gab, der an mich gedacht hatte. Solange ich denken konnte, war Ben derjenige, der alle Aufmerksamkeit bekam. Sogar meine, obwohl ich sicherlich auch die gleiche Zuwendung seitens der Eltern und weiterer Familienangehöriger verdient hätte. Wenn Ben etwas nicht gelang, wurde er als risikofreudig und mutig gelobt, dem man mit guten Wünschen auf den Weg half. Mir schlug bei jedwedem Fehlschlag, und sei es auch nur, dass ich beim Tischtennis den Ball nicht über das Netz bekam, eine Mitleidswelle entgegen und Bastians Standardsatz: „Du bist halt nur ein Mädchen. Jungens können das von Natur aus besser.“ Ein Satz, der jedes Mädchen in die Knie zwingen würde.

      „Was glaubt ihr, was Onkel Anton mir zu vererben hat?“, fragte ich.

      „Nicht viel“, antwortete er.

      Überrascht starrte ich die Zeitungswand an. Ich fragte mich, ob ich ihn heute schon von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Wann hatte ich ihn überhaupt das letzte Mal zu Gesicht bekommen? Das musste die Woche davor gewesen sein, als er sich über einen Artikel aufgeregt hatte und wütend aus dem Haus gestapft war. Da hatte ich seinen Hinterkopf als den von meinem Vater wiedererkannt.

      „Ich kannte ihn zwar nicht persönlich, aber er war kein guter Mann“, fielen seine Worte in meine Gedanken hinein.

      „Was meinst du damit, Papa?“

      „Er ist abgehauen anstatt, wie wir alle, Deutschland wieder aufzubauen.“ Bastian ließ die Zeitung sinken und fixierte mich, als ob ich diejenige gewesen wäre, die eine ganze Nation im Stich gelassen hätte. „Auf und davon, Mädchen. Während wir Hamburg wieder aufgebaut haben, hat er sich einen schönen Lenz gemacht.“

      „Das kannst


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