Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere - Heinz-Dietmar Lütje


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      Am Sonntagmorgen, der Kalender zeigte den 3. Dezember 1939, wurde die gesamte Besatzung – soweit auf ihren jeweiligen Stationen entbehrlich – zur Kommandantenmusterung gepfiffen. Von Tag zu Tag war es wärmer geworden und Mäntel, Schals, Südwester und ähnliche Ausrüstungs- und Kleidungsstücke waren längst aus dem Bordbild verschwunden. Die Besatzung trat im „Sommeranzug“ an und auch die Offiziere erschienen in weißen Hosen.

      „Besatzung angetreten, Herr Kaptän“, meldete der IO, Graf Terra, dem Kommandanten. Korvettenkapitän Waldau dankte und musterte die angetretene Besatzung und betrat die für ihn aufgebaute Palaverkiste, ein vom Schiffszimmermann und seien Gehilfen gefertigtes Podest, das dem Kommandanten erlaubte, seine Besatzung insgesamt überschauen zu können.

      „Offiziere und Besatzung – Kameraden! In der letzten Nacht haben wir die Linie des 40. Breitengrades überschritten – also etwa die Linie Madrid/New York – und damit unser erstes Operationsgebiet erreicht. Ab jetzt beginnt unsere eigentliche Aufgabe, nämlich die Führung des Handelskrieges. Unsere Aufgabe ist es in erster Linie, einzeln fahrende gegnerische Handelsschiffe anzugreifen, nach Möglichkeit zu stoppen, die Besatzung zu übernehmen und die Schiffe dann, wenn Wert des Schiffes und der Ladung dieses rechtfertigen, mit einem Prisenkommando zu bemannen und nach einem eigenen Hafen in Marsch zu setzten. Sollte dieses nicht in Betracht kommen – und das wird leider häufig der Fall sein – so ist es unsere Aufgabe, nach Übernahme der Besatzung des Gegnerdampfers, diesen zu versenken. Um Munition und vor allem auch Torpedos zu sparen, werden aufgebrachte Gegnerschiffe, die als Prisen nicht geeignet erscheinen, durch Anbringen von Sprengpatronen versenkt.“

      „Es ist nicht unsere Aufgabe, gesicherte Geleitzüge anzugreifen. Hierzu ist das Schiff auch – wie Ihnen allen bekannt sein sollte – weder artilleristisch, noch von seiner Geschwindigkeit her in der Lage. Schon gar nicht dürften wir uns auf irgendwelche zweifelhaften Aktionen, bei denen wir selbst Treffer erhalten könnten, einlassen, da auch die „Chamäleon“ – wenn sie auch als Hilfskreuzer aufgrund ihrer durchaus respektablen Bewaffnung eine kampfkräftige Einheit darstellt – sie durch die nicht vorhandene Panzerung außerordentlich verwundbar bleibt. Ein unglücklicher Treffer allein kann die ganze weitere Unternehmung gefährden oder unmöglich machen. Ich sage dieses, damit Sie von vornherein verstehen, weshalb auf Geleitzüge oder auch durch Kriegsschiffe des Gegners gesicherte Frachter nicht operiert wird, sondern diesen auszuweichen ist. Das gleiche gilt übrigens auch für reine Passagierschiffe, auch wenn diese mutmaßlich als Truppentransporter angesehen werden können. Die Begründung hierfür liegt auf der Hand. Wie sollen wir schließlich evtl. tausend oder gar zwei- oder dreitausend Mann Besatzung und eingeschiffte Truppen an Bord nehmen?“

      Waldau führte weiter aus, dass er soweit möglich sich seiner zusätzlichen Augen, nämlich des Bordflugzeuges, bedienen wolle und setzte abschließend für die erste Sichtung eine Kiste Becks Bier als Prämie für den erfolgreichen und aufmerksamen Ausguck aus. Für alle übrigen Sichtungen lobte er jeweils sechs Flaschen Becks Bier aus mit dem Hinweis, dass diese Prämie jedes Besatzungsmitglied erhalte, egal ob Ausguck oder nicht, was auch als zusätzlicher Ansporn für Freiwächter und sonstige nicht als Ausgucks eingeteilte Seeleute gedacht war. Eine Maßnahme, die mit lautem Beifall begrüßt wurde.

      Am nächsten Morgen hatte es aufgebriest, die See ging etwa mit Stärke 6 und das Schiff arbeitete merklich in der bewegten See. Aus diesem Grunde hatte sich Waldau entschlossen, auf den Start des Bordflugzeuges zu verzichten, um Beschädigungen der verwundbaren Maschine zu vermeiden. In weiten Suchschlägen kämmte der Hilfskreuzer die See ab. Alle Ausgucks – acht an der Zahl – beobachteten unablässig die ihnen zugewiesenen Sektoren. Kommandant und IO hatten sich zusammen mit dem Navigationsoffizier, dem ehemaligen Kapitän der deutschen Handelsmarine und jetzigen Leutnant zur See (S) Wilhelm Kleinhausen, einem 48jährigen Bremer, in das Kartenhaus zurückgezogen, um die nächsten Kurse festzulegen.

      Der Artillerieoffizier, Oberleutnant zur See Fritz Bolte, exerzierte derweil mit den Bedienungen der 15-Zentimeter Kanonen. Immer wieder wurde das Enttarnen der Geschütze, das Laden und Richten der Rohre auf einen imaginären Gegner geübt. Wenn der Besatzung auch durchaus klar war, dass nur stetige Übung letztendlich im Ernstfall auch die dann erforderliche Routine vermittelte, so wurde doch – zumindest unterdrückt – über das immer wiederkehrende Rollenexerzieren geflucht. Ähnlich betroffen waren auch die Mannschaften auf allen anderen Stationen des Schiffes. Eine Rollenübung löste die andere ab. Mal hieß es „Feuer im Schiff“, dann wieder „Mann über Bord.“

      Auf steuerbordvorderen Ausguckposten stand der Matrosenobergefreite Jochen Dunker, ein 20jähriger Ostpreuße, der als Fischer durchaus mit der See vertraut war. Unablässig hielt er das schwere Marineglas an die Augen und suchte den ihm zugewiesenen Sektor ab. Plötzlich stutze er, nahm das Glas von den Augen, rieb dieses und hob das Glas erneut. „Doch“, er hatte sich nicht geirrt. Ein nadelfeiner dunkler Streifen stand über der Kimm.

      „Rauchfahne Steuerbord 30°“, meldete er. Der wachhabende zweite Offizier, Oberleutnant zur See Uwe Semmler, stürzte an die Brückennock und hob ebenfalls das Glas. Nichts. Er verließ die Brücke und hastete zum Ausguck. „Wo denn, Mann, ich sehe nichts?“ „Doch Herr Oberleutnant“, entgegnete der Matrosenobergefreite Dunker in der ihm eigenen bedächtigen Art und wies dem Offizier die genaue Richtung. Jetzt sah es auch Semmler. „Gut gemacht, die Kiste Becks ist Ihnen sicher.“ Der Oberleutnant klopfte dem Ausguck auf die Schulter und strebte eilig wieder auf die Brücke.

      Sekunden später waren Kommandant und IO auf der Brücke und schauten ebenfalls auf die nadelfein über der Kimm nur im schweren Marineglas sichtbare Rauchfahne. Auch der NO, Wilhelm Kleinhausen, den es bei der Sichtmeldung ebenfalls nicht mehr im Kartenraum hielt, hatte sich angeschlossen.

      „Na also, brummte der Kommandant befriedigt, jetzt hoffen wir nur noch, dass es kein Neutraler ist.“

      „Oder ein Tommi-Kreuzer“, brummte leise der IIO.

      „Mann Gottes, lassen Sie die Unkerei“, mischte sich Graf von Terra in das Gespräch und schaute immer noch angestrengt in Richtung der Sichtung. Ohne Glas war absolut nichts wahrzunehmen.

      „Wie weit schätzen Sie die Entfernung, meine Herren“, wandte sich der Kommandant an die Offiziere auf der Brücke. Graf von Terra antwortete als erster, „schwer zu sagen, aber ich glaube schon, dass es mindestens 30 Meilen sind. Vielleicht sollten wir unsere Herren Sonderführer auf die Brücke bitten, da die Handelsschiffskapitäne sicherlich auch ihren Senf dazugeben können“, fuhr Terra in der ihm eigenen etwas burschikosen Art fort. „Gut, mein Lieber“, stimmte ihm der Kommandant zu, „veranlassen Sie das.“ Wenige Minuten später bevölkerten nunmehr auch die erfahrenen ehemaligen Handelsschiffer die Brücke. Bei diesen bestand durchweg Einigkeit darüber, dass aufgrund der Sichtigkeit die Entfernung wohl kaum mehr als ca. 30, 32 Meilen betragen würde. „In Ordnung, den versuchen wir zu kriegen“, versetzte der Kommandant und gab Befehl, auf die Sichtung zuzudrehen. Mit Höchstgeschwindigkeit von 19 Knoten strebte der Hilfskreuzer auf den vermuteten Gegner zu.

      Zwei Stunden später war die Rauchfahne des anderen Schiffes auch bereits mit bloßem Auge zu erkennen. Durch die schweren Marinegläser wurden mittlerweile auch die Konturen der Masten sichtbar, so dass einwandfrei feststand, es handelte sich um ein Handelsschiff.

      Nachdem der Generalkurs des Gegnerfrachters klar war, ließ der Kommandant leicht vom Kurs abfallen, um nicht allzu verdächtig zu erscheinen. Langsam aber stetig holte der Hilfskreuzer, von achtern aufkommend, auf. Bemühte sich aber, den seitlichen Abstand von etwa 7 Meilen nicht zu unterschreiten – noch nicht.

      Kommandant und IO erörterten die Lage, wie man sich am unverfänglichsten dem Gegner nähern könne.

      „Wir sind als schwedischer Schwergutfrachter getarnt“, versetzte Graf Terra., „warum sollte er Verdacht schöpfen?“ „Ich vermute, dass die britische Admiralität, ähnlich wie im Weltkrieg, sicherlich ihren Schiffen wiederum Anweisung erteilt hat, bei Aufkommen von verdächtigten Schiffen sofort abzudrehen und entsprechende Funkmeldung abzusetzen“, entgegnete Waldau. Terra widersprach; „wenn wir ein Kriegsschiff …“, er unterbrach sich und grinste. „Wollte sagen wenn wir als Kriegsschiff erkennbar wären,


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