Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje
Sprachbarrieren hatte. Schließlich erschien Didi Waldau, nachdem er sich zunächst noch mal auf der Brücke vergewissert hatte, dass seine Anwesenheit dort nicht erforderlich, sondern der Horizont frei von Sichtungen war, und bedeutete den Anwesenden, die sich bei seinem Eintreten erheben wollten, doch Platz zu behalten.
„So, Ladys, Monsieur le Docteur, dann wollen wir mal sehen, dass wir was zu trinken bekommen.“ Nachdem sein Backschafter „Kalle“ Kerst, eine Kanne Kaffee, Kondensmilch und Zucker sowie die entsprechenden Tassen und Löffel verteilt hatte, bedeutete ihm Waldau, dass er bis auf weiteres nicht gebraucht werde und dafür zu sorgen hätte, dass man ungestört blieb. Auf Kerst, das wusste sein Kommandant, konnte er sich verlassen.
„Ladys, Doktor, zunächst einmal bin ich froh, dass unsere Ärzte hier an Bord offenbar keine Zweifel an der Geschichte, die wir ihnen erzählt haben, hegen. Dennoch sollten wir sehr vorsichtig sein, in unser aller Interesse, denn auch mein IO und ich würden natürlich Probleme bekommen und das nicht zu knapp, wenn unsere Scharade hier auffliegt. Wir werden alles daran setzen, dass sie unbeschadet bei nächster Gelegenheit auf ein neutrales Schiff umsteigen können. Ich muss sie allerdings bitten … nein“, unterbrach sich Waldau und schaute alle mit Ausnahme von Terra eindringlich und prüfend an, „verlangen, auf keinen Fall anzugeben, dass sie von einem deutschen Kriegsschiff kommen. Wir werden uns insoweit eine schlüssige Geschichte ausdenken müssen, wieso sie bei uns an Bord sind und jetzt an ein anderes Schiff übergeben werden. Aber dazu später.“ Dankbar schauten die Drei ihn an und diesmal verweilte auch Judiths Blick etwas länger auf dem Gesicht des deutschen Kapitäns. Schon das Gespräch im Bordlazarett der „Chamäleon“ hatte sie hoffen lassen, dass sich doch noch alles zum Guten wenden möge. Auch wenn die Angst immer noch in ihr wütete und sie manchmal nicht so klar denken konnte, wie es sonst eine ihrer geschätzten Eigenschaften war, keimte doch immer mehr die Hoffnung in ihr, dass sie den Worten des deutschen Kommandanten trauen konnte. Zumindest überführte ihn der ruhige Blick seiner Augen keiner Lüge.
Plötzlich bemerkte Dita, dass sie den hochgewachsenen deutschen Marineoffizier immer noch anstarrte und offenbar auch dessen Blick ausschließlich auf ihr ruhte. Schnell und etwas verschämt senkte sie den Blick und leichte Röte überzog ihre Wangen.
„Oh, oh“, folgte auf dem Fuße der unvermeidliche Kommentar des Grafen, der dabei unverhohlen Suzanne Maigret angrinste, die nunmehr auch ihm zulächelte und ihrerseits ihre Freundin Dita anstieß: „Siehst Du, nicht alle Deutschen fressen kleine Mädchen“, richtete sie dann ihren Blick auf Kapitän und ersten Offizier, „Dita, der Doktor und ich danken Ihnen beiden wirklich sehr für alles, was Sie bisher unternommen haben, um uns zu helfen und glauben Sie mir, ich weiß, welche Probleme sich für Sie beide ergeben könnten und das, auch wenn längst nicht alle Deutschen das, was geschieht, gutheißen, kaum jemand den Mut aufbringen würde, das zu tun, was wir jetzt gerade erleben dürfen.“
Schließlich wurde noch vereinbart, dass die beiden Amerikanerinnen, die bisher nicht genutzte, ursprünglich für etwaige Schiffsreisen des Reeders geplante, großzügige, unter der Schiffsbrücke gelegene, Kabine mit separatem Bad beziehen und der französische Arzt in der freigewordenen Kabine untergebracht wurde, die von Leutnant zur See (S) Albert Klammer bisher bewohnt wurde, der ja jetzt als Prisenkapitän die auf Kurs Deutschland befindliche „Yvonne La Porte“ kommandierte.
13. Gegenmaßnahmen
Am 08. Februar 1940 herrschte in der Admiralität in London geschäftiges Treiben. In einem geräumigen Zimmer, im Westflügel des Gebäudes, stellte gerade eine junge Wren (Marinehelferin) eine Kanne Tee auf den Tisch, der von einem Ledersofa und drei wuchtigen Ledersesseln umrahmt wurde. In den ledernen Sitzmöbeln, die den Verschleißspuren nach wohl mindestens seit dem Weltkrieg diversen Offiziershinterteilen als behagliche Sitzflächen gedient haben dürften, saßen drei sehr unterschiedlich wirkende Offiziere, zwei im Kapitänsrang sowie ein großer, rotgesichtiger Admiral, dessen Ärmelstreifen ihn als Rear-Admiral auswiesen. Hierbei handelte es sich um Sir Walter Hawkens, einen großen, massigen, vornehmlich um die Körpermitte sehr zur Fülle neigenden Mann, dessen rotes, von Besenreißern (geplatzte Äderchen) durchzogenes Gesicht erkennen ließ, dass er – wie wohl die meisten Marineoffiziere der damaligen und noch länger zurückliegender Zeit – auch alkoholischen Getränken durchaus zugeneigt war. Rechts neben ihm saß im Range eines Vollkapitäns (vergleichbar mit dem deutschen Kapitän zur See) ein etwa 50jähriger, zwar fast gleich großer, aber deutlich schlankerer, dunkelhaariger Offizier, der Kommandant des schweren Kreuzers „Bristol“, der als Flaggschiff des Rear-Admiral Sir Walter Hawkens vorgesehen war. Bei der „Bristol“ handelte es sich um einen 1928 in Dienst gestellten schweren Kreuzer mit
Acht x 20,3-Zentimeter Geschützen in vier Zwillingstürmen, sechs Torpedorohren und acht x 10,2-Zentimeter Geschützen als Mittelartillerie/schwere Flak sowie vier x 4,7-Zentimeter und acht x 4-Zentimeter an leichten Flakgeschützen nebst sechs schweren Maschinengewehren im Kaliber 12,8 Millimeter. Auf der anderen Seite des Admirals saß der – an seinem roten Schnurrbart und den langen Koteletten sowie den ebenfalls roten, borstigen, Haaren unschwer als Schotte erkennbare, Kommandant des leichten Kreuzers „Watford“, der mit 7.130 Tons kaum kleiner war als die „Bristol“ und mit acht x 15,2-Zentimeter Kanonen sowie acht x 10,2-Zentimeter und vier x 4,7-Zentimeter Geschützen sowie 12 MG und acht Torpedorohren über eine mehr als respektable Bewaffnung verfügte. Diese beiden Schiffe sollten zusammen mit dem neuseeländischen leichten Kreuzer „Wellington“, der im Südatlantik zu ihnen stoßen sollte, dass von Sir Walter Hawkens befehligte Kreuzergeschwader bilden. Die „Wellington“, ähnlich bewaffnet und nur unwesentlich kleiner als die „Watford“ war ein neues Schiff, erst 1937 in Dienst gestellt, das 33 Knoten laufen konnte und damit gut 1,5 bis 2 Knoten schneller war als die beiden älteren Kreuzer. Von der Wren, die in ihrer Uniform mit dem deutlich über die Knie reichenden Rock wie eine graue Maus wirkte, wurde die Tür geöffnet und einer der Stellvertreter des ersten Seelords, Sir Lester Ferry, schob seine, Rear-Admiral Hawkens noch deutlich an Masse überbietende, Statur in den Raum, die ewig dampfende Zigarre in der Hand und ließ sich aufstöhnend in das für ihn freigehaltene Sitzmöbel fallen, das unter dieser Beanspruchung unwillig ächzte. Der massige Admiral legte die Zigarre in den, aus einer 15,2 Zentimeter Kartusche gefertigten, Aschenbecher und verschränkte die goldbetressten Arme über dem mächtigen Bauch und kam gleich zur Sache.
„Sie, Sir Walter, werden beschleunigt auslaufen und sich in der Nähe der Falklands (Falklandinseln im Südatlantik) mit dem neuseeländischen Kreuzer „Wellington“ vereinigen. Hauptaufgabe ist, den von uns in diesem Bereich vermuteten deutschen Kreuzer aufzuspüren. In den letzten zwei Wochen melden sich einige unserer Handelsschiffe nicht mehr und die letzten Standorte lassen vermuten, dass es einem Deutschen gelungen ist unsere Blockade zu überwinden und in den freien Atlantik durchzubrechen, der im Nordatlantik sein Unwesen begonnen hat und jetzt offenbar auf stetigem Südkurs befindlich ist. Leider sind ja die „Exeter“, die von der „Graf Spree“ ziemlich in Klump geschossen worden ist, wie wir natürlich nicht offiziell zugeben werden, auf lange Sicht nicht einsatzfähig und auch „Ajax“ und „Achilles“ werden erst in frühestens zwei Monaten wieder vollkommen gefechtsklar sein.“
Sir Walter Hawkens schaute die beiden, ihm unterstellten, Kommandanten mit einem prüfenden Blick an und wandte sich dann an den stellvertretenden ersten Seelord: „Sir, mit welchem Gegner habe ich voraussichtlich zu rechnen? Mit einem weiteren dieser verdammten Pocket Battle Ships?“
„Das glaube ich weniger, obwohl auch die „Admiral Scheer“ nach Auskunft unseres Nachrichtendienstes derzeit nicht im Kieler Hafen an ihrem üblichen Liegeplatz liegt. Ich vermute aber eher, dass die verdammten Nazis uns wieder Probleme mit Hilfskreuzern bereiten und bereits jetzt ein entsprechendes Schiff ausgerüstet und ausgesandt haben. Denken Sie nur an „Wolf“ und „Möwe“ im Weltkrieg. Also, ich erwarte das Sie in 48 Stunden auslaufklar sind und auf dem schnellsten Weg Port Stanley (Hafen der Falklandinsel) anlaufen, dort nachbunkern und sich mit „Wellington“ vereinigen.“ Damit wollte – nach einem Blick auf die Uhr – der stellvertretende erste Seelord das Gespräch beenden und sich einem reichhaltigen Mittagsmahl widmen, wurde aber nochmals von Rear-Admiral Hawkens aufgehalten, der durch Heben des rechten Armes zu erkennen gab, dass er noch etwas fragen wollte.