Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje
Offizierskorps an Bord, als auch der Besatzung ggf. einleuchtend darlegen können und evtl. auch später gegenüber seinen Vorgesetzten seine Entscheidung begründen können.
„Pass auf“, hatte er schließlich den, wie er meinte, zunächst jedenfalls rettenden Gedanken,
„Du sagt der Arzt und die beiden sind Medizinstudentinnen und die eine ist fast fertig?“
„Stimmt“, bestätigte Bodo Graf von Terra seinem Freund und Kommandanten.
„Aber ich glaube, ich habe schon die passende Lösung. Was hältst Du davon?“ Er legte eine kurze Kunstpause ein, wohl wissend, dass sein Freund Didi in solchen Momenten dieses gar nicht schätzte, steckte sich eine neue Camel an und brachte schließlich in überzeugendem Tonfall hervor: „ Die beiden Mädels sind Amerikanerinnen. Die Jüngere hat irgendeine merkwürdige Erkrankung, die dort drüben geheim gehalten wurde. Die Ältere ist ihre Begleitärztin. Die beiden sprechen fließend Englisch, das geht also glatt durch. Die passende Krankheit soll sich der Schiffsarzt des Franzosen ausdenken. Die Kleine ist in Frankreich krank geworden, im Pasteur-Institut in Paris behandelt worden und weil die nicht weiter wissen, jetzt auf dem Weg nach Amerika um dort weiter behandelt zu werden und ihre Begleitärztin benötigt dringend den dortigen Schiffsarzt, weil der mittlerweile mit dem Krankheitsbild vertraut ist. Darüber sollte der sich gefälligst Gedanken machen, was da in Frage kommt.“
Zweifelnd schaute Waldau seinen Freund an, meinte aber: „Na, ob das klappt, aber im Moment fällt mir auch erstmals nichts besseres ein. Versuch also den Dreien drüben dieses klar zu machen und jetzt sieh zu, dass Du auf die Läufe kommst und schnellstens nach hier zurück eilst. Wir wissen ja noch nicht, was sich hinter der neuen Rauchfahne verbirgt.“
So geschah es.
Die gesichtete Rauchfahne entpuppte sich schließlich als Handelsdampfer. Vorsorglich ließ Korvettenkapitän Waldau den Hilfskreuzer auf die Steuerbordseite der „Yvonne La Porte“ verholen und gab gleichzeitig Blinkzeichen zum Franzosen hinüber, die dortige Funkanlage wieder einsatzbereit zu machen, um auf einen etwaigen Funkruf des näher kommenden Dampfers reagieren zu können. Schnurstracks auf die beiden nebeneinander liegenden Schiffe zukommend, entpuppte sich die Rauchsäule als schottischer Frachtdampfer „Howard Castle“ mit Heimathafen Glasgow. Sowie er die „Yvonne La Porte“ näher ausmachen konnte, gab er sich als die „Howard Castle“ zu erkennen und fragte an, ob er Hilfe leisten könne? Auf Geheiß des deutschen Prisenkommandos, unter genauer Überwachung des deutschen Funkoffiziers, bestätige der französische Funker einen Maschinenschaden und bat um Unterstützung. Groß war die Überraschung auf dem Schotten, als – nachdem er nahe genug herangekommen war – hinter dem Franzosen plötzlich der deutsche Hilfskreuzer zum Vorschein kam und ihm per Scheinwerfersignal die übliche Aufforderung: „Stop advance, or I shall fire, don’t wireless“, rübermorsen ließ und dieses durch die gesetzte deutsche Kriegsflagge und die enttarnten Geschütze deutlich unterstrich. Der Schotte leistete keinen Widerstand und die übliche Routine lief ab. Ein weiteres Prisenkommando setzte über. Da es sich um ein altes Schiff handelte, mit wenig wertvoller Ladung, kam dieses als Prise nicht in Betracht. Noch während die Schiffspapiere des Schotten auf dem deutschen Hilfskreuzer geprüft und dieser durch Sprengpatronen zur Versenkung vorbereitet sowie die Besatzung, Karten, Funkschlüssel und einige frische Nahrungsmittel sowie einige Kisten schottischen Whiskys abgeborgen hatte, kam aus gleicher Richtung eine weitere Rauchfahne in Sicht. Wieder ein Brite. Auch dieser wurde ohne Probleme aufgebracht und schließlich lagen drei aufgebrachte Gegner neben dem deutschen Hilfskreuzer. Auch der weitere Brite, die „Annie Simson“ war als Prise nicht zu gebrauchen. Am nächsten Tag wurde die „Yvonne La Porte“ als Prise zur Abreise in einen deutschen Hafen vorbereitet, die drei „Amerikaner“ auf den Hilfskreuzer verfrachtet und zunächst im Lazarett untergebracht, sowie die Gefangenen des Hilfskreuzers und die Besatzungsmitglieder der beiden aufgebrachten Briten auf die „Yvonne La Porte“ verbracht und alsdann die beiden Briten durch Öffnen der Seeventile und Unterstützung von Sprengpatronen auf den Meeresgrund entlassen. Die „Yvonne La Porte“ hingegen wurde vom Kommandanten, Offizieren und Besatzung des Hilfskreuzers mit den besten Wünschen für eine glückliche Heimkehr mit einem starken Prisenkommando von 28 Mann unter Führung des Leutnant zur See (S) Albert Klammer in die Heimat entlassen. Nachdem die „Yvonne La Porte“ auf Nordkurs außer Sicht gekommen war, nahm „Chamäleon“ wieder Fahrt auf und der Kommandant verständigte zunächst durch FT-Kurzsignal die SKL, welche Prise auf welchem Kurs zu erwarten sei, damit diese nicht durch deutsche U-Boote oder gar ausgelaufene Überwasserseestreitkräfte als vermeintlicher Gegner versenkt würde und meldete bei dieser Gelegenheit auch gleich das bisherige Gesamtergebnis an Tonnage. Nach Abgabe des FT lief „Chamäleon“ zunächst mit Höchstfahrt und südlichen Kursen ab.
12. Zwischen Pflicht und Gefühl
Auf „Chamäleon“ herrschte Hochstimmung. Aus den Gegnerschiffen, insbesondere der als Prise in die Heimat gesandten „Yvonne La Porte“, waren neben den edlen Getränken, die das Herz eines Seemanns immer höher schlagen lassen, auch wenn auf Kriegsmarsch vom Kommandanten selbstverständlich jeweils nur geringe Mengen pro Nase bewilligt werden konnten, auch allerlei andere wichtige Güter übernommen worden. So Frischproviant, vor allem Kartoffeln, Obst und Gemüse sowie aus der französischen Chamarque stammendes schmackhaftes Rindfleisch, vor allem als Kampfstiere nicht geeigneter Jungbullen, größere Mengen von Weiß- und Buntmetall sowie Schmieröle und Fette. Daneben wurden die Bunker der „Chamäleon“ wieder bis an die Halskrause gefüllt, nachdem der LI festgestellt hatte, dass der Betriebsstoff des Franzosen auch für die deutschen Motoren bestens geeignet war. Bis auf die abgegebene Prisenbesatzung – und davon verfügte die „Chamäleon“ ja noch über einige mehr, nebst erfahrener Handelsschiffsoffiziere, die jetzt im unverhältnismäßig niedrigen Kriegsmarinedienstgrad des Leutnant z. S. als Sonderführer (S) Dienst in der Großdeutschen Kriegsmarine taten. Neben der kriegsmäßig dringlichen Frage, wo er denn nun endlich sich der ungeliebten Minenlast entledigen könnte, umso eine erhebliche Gefahr für das Schiff bei einem etwaigen Artilleriegefecht deutlich zu verringern, aber trotzdem dem Gegner großmöglichen Schaden zuzufügen, stand der Kommandant auch persönlich vor schwierigen Überlegungen bzgl. der übernommenen „Amerikaner.“ Und dies, wie er sich eingestehen musste, nicht mehr aus rein menschlichen Anwandlungen, sondern weil ihm etwas widerfahren war, mit dem er eigentlich nie mehr – und ganz bestimmt nicht auf Kaperfahrt – gerechnet hätte. Aber es war geschehen. Nachdem sich „Chamäleon“ und die als Prise ausgestattete „Yvonne La Porte“ getrennt hatten, hatte Didi Waldau sich gleich am nächsten Morgen, nachdem er wie üblich bei Hellwerden auf der Brücke anwesend war, anschließend nach einem guten Frühstück noch ein kleines Nickerchen gegönnt und die nunmehr doch umfangreichen Eintragungen in das KTB (Kriegstagebuch) getätigt. Danach begab er sich schließlich in das Lazarett, um die dort zunächst untergebrachten zwei „Amerikanerinnen“ aufzusuchen. Begleitet wurde er durch seinen Freund und IO, Graf Terra, der bereits einen ersten Besuch noch am Vorabend vorgenommen hatte, weil ihm die kleine, zierliche, schwarzhaarige Südfranzösin die Ruhe raubte.
„Nun, dann wollen wir mal“, der Kommandant trat in das Lazarett ein und sah, etwas überrascht, seine beiden Bordärzte, gemeinsam mit ihrem Kollegen von der „Yvonne La Porte“ und die beiden jungen Damen in fröhlicher Runde um den Schreibtisch Dr. Hallers versammelt. Die zierliche Schwarzhaarige und die drei Heilkundigen qualmten genussvoll die von Terra am Vorabend gestifteten amerikanischen Beutezigaretten und ließen sich offenbar ein Fläschchen des guten französischen Roten munden. Nur die etwas größere, wohlproportionierte Brünette, begnügte sich mit einem schlichten Glas deutschen Selterswassers. Beim Eintreten des Kommandanten sprangen die beiden deutschen Ärzte auf und nahmen, wie in der deutschen Kriegsmarine üblich, Haltung an und grüßten: „Guten Morgen, Herr Kaptän, guten Morgen IO.“
Waldau öffnete den Mund um sein Missfallen ob des hier Erblickten zum Ausdruck zu bringen, als sich nunmehr auch die ihm bis dahin den Rücken zugewandte Dita umdrehte. Didi sah zunächst nur einen langen brünetten Vorhang aus Haaren fliegen, die sich dann schnell teilten und in sanften Wellen links und rechts eines schönen ebenmäßigen Gesichtes, über glatte Schultern,