Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje
Schütze, das Reich des Kommandanten. Nur Graf von Terra blieb zurück und meinte: „So’n Schiet, da haben wir unser erstes Dickschiff verloren.“
„Ja, und außerdem haben wir einen unserer wohl fähigsten Kommandanten verloren, auch das wiegt schwer – vielleicht sogar genauso schwer.“
Didi Waldau stellte die Gläser auf den Tisch und holte aus dem in der Kapitänskajüte vorhandenen Kühlschrank – auch das gab es schon bei neuesten Frachtschiffen in der Kapitänskajüte zu dieser Zeit – zwei gut gekühlte Flaschen Becksbier heraus. Terra stopfte erneut seine Pfeife während Waldau eine neue Zigarette anzündete.
„Didi, was hältst Du eigentlich von der Idee unseres wackeren Fliegers“, versuchte Bodo Graf von Terra das Gespräch wieder auf die aktuellen Probleme zu lenken.
„Tja, wenn auch der LI meint, dass das durchaus funktionieren kann, wollen wir das zumindest probieren. Meine viel größere Sorge sind aber im Moment noch unsere Teufelseier an Bord. Wenn der Tommy – wie im ersten Krieg – seine Frachter wieder bewaffnet, kann möglicherweise ein Schuss in die Minenlast reichen und von unserem Pott ist nichts mehr übrig.“
Terra hob sein beschlagendes Glas. Die beiden Offiziere stießen an und leerten ihre Gläser jeweils zur Hälfte. „Aaah, das tut gut“, ließ sich Waldau vernehmen und drückte die Zigarette aus.
„Mal was ganz anderes“, wechselte der Graf erneut das Thema und nahm den letzten Schluck aus seinem Bierglas. „Wir laufen ja stetigen Südkurs. Gibt es eigentlich eine Äquatortaufe oder fällt so was in Kriegszeiten aus?“
„Schau’n wir mal, ne’ kleine Abwechslung tut sicherlich allen gut. Du kannst ja schon mal etwas planen. Guck nicht so, ein zweites Bier gibt’s nicht.“ Der Kommandant knuffte seinem Freund in die Seite und dieser trollte sich in seine eigene Kammer.
9. Äquatortaufe
Heiligabend und die Weihnachtstage lagen hinter der Besatzung der „Chamäleon.“ Ein neues Opfer fand sich nicht. Die Schraube drehte sich unermüdlich und trieb das Schiff Richtung Süden. Die dicken Wollsachen und Wachmäntel verschwanden nach und nach. Der Rollenschwof hatte Einzug gehalten. Eine Übung jagte die nächste. „Feuer im Schiff! Klar Schiff zum Gefecht! Gefangenenmeuterei, Kollisionsalarm“ usw. usw.
Am 15. Januar ist es endlich so weit, die „Chamäleon“ näherte sich dem Äquator und vor dem Eintritt von der nördlichen in die südliche Hälfte des Erdtrabanten müssen die Mitglieder der Besatzung vom Dreck der nördlichen Hemisphäre befreit und getauft werden, um die südliche Halbkugel der Erde betreten oder besser befahren zu dürfen. Traditionell ist bereits am Vorabend Triton in Begleitung seiner diversen Trabanten an Bord gekommen um den Besuch seiner Majestät, des Herrschers aller Meere, Seen, Ströme, Flüsse, Teiche und Tümpel, des allmächtigen Neptun, anzukündigen. Seine hochherrliche Majestät, mit kunstvoll geschnitztem Dreizack, kommt in Begleitung seiner holden Gattin Thetis und Gefolge aus Barbieren, Negern, Astronomen und Polizisten an Bord um die Linientaufe vorzunehmen.
Da von den an der über 400 Mann zählenden Besatzung nur die Sonderführer sowie einige Offiziere und wenige ältere Unteroffiziere überhaupt schon einmal den Äquator gekreuzt hatten, waren also an die 370 Mann zu taufen. Diese Taufakte konnten selbstverständlich nicht einzeln vollzogen werden, sodass eine Reihentaufe erforderlich wurde. Als Taufbecken hatte der LI mit seinen Leuten eine Stahlkonstruktion mit Segeltuch gefertigt, das dann unter Zuhilfenahme der Feuerlöschschläuche so gefüllt wurde, dass ein Wasserpegel von etwa 1,40 m erreicht wurde.
Den Täuflingen wurde schon etwas mulmig zumute, als sie nach der entsprechenden Ansprache Neptuns und seines in Phantasieuniform gekleideten Admirals Triton in Gruppen herangeführt wurden. Zunächst einmal traten die Barbiere in Tätigkeit mit einer Mischung aus Seife und Schmieröl wurden die mit Marinebadehosen bekleideten Aspiranten ordentlich eingeseift. Durchaus gewollt war dabei, dass auch einiges in Augen und Nasenlöcher drang, sodass bald ein wüstes Reiben und Schnäuzen einsetzte. Nachdem die Mixtur genügend einwirken konnte, nahmen die Barbiere ihre riesigen, hölzernen Messer, die fast an Entersäbel erinnerten und traten mit diesen Rasierwerkzeugen in Tätigkeit, wobei auch durchaus mal etwas Haut mit flöten ging und auch für manch andere Blessur und blaue Flecken sorgte diese Zeremonie. Nach der Rasur griffen dann die Polizisten unter wohlwollenden Blicken der Majestäten und des Admirals sich die Täuflinge und beförderten diese mit lautem Platschen in das übergroße Taufbecken, in dem bereits die anderen Trabanten des Meeresgottes warteten, um diese jeweils gehörig unterzutauchen. Wer ob der rüden Behandlung zu früh versuchte über den Beckenrand zu klimmen, machte mit den kurzen Tauenden der Polizisten Bekanntschaft, sodass einige Sitzflächen mit leichten Striemen verziert wurden. Aber schließlich hatten alle Täuflinge, nach gut 3 Stunden, die Zeremonie zur Gaudi aller – insbesondere der bereits Getauften – hinter sich und es gab dann die vom Kommandanten bewilligten 2 Flaschen Bier pro Nase. Dazu hatte der Schiffskoch mit seinen Gehilfen ein erlesenes Mahl aus den noch vorhandenen frischen Vorräten, Kartoffeln, Gemüse und Braten nebst Dosenfrüchten als Nachtisch, gezaubert, sodass, bis auf wenige Spaßverderber, ihre Taufe fast Allen in guter und lustiger Erinnerung bleiben sollte.
Nach dem Gelage, soweit man bei 2 Flaschen Bier pro Nase hiervon sprechen darf, verabschiedete der Kommandant Neptun nebst seiner liebreizenden Gatten Thetis, und Admiral Triton, die dann unter Pfiffen von Bord geleitet wurden. Selbstverständlich stiegen sie nicht in das wieder leicht bewegte Meer, sondern kletterten über die Reling, nahmen die Strickleiter und stiegen 2 Decks tiefer durch eine der Vorratsladeluken wieder ein.
10. Umtarnung und Erprobung
Am 24. Januar war endlich mit ca. 12 Grad südlicher Breite das eigentliche Operationsgebiet erreicht, nämlich der etwa 300 Meilen breite Freetown-Kapstadt Track. Nun befuhren zwar Norweger die Weltmeere überall, trotzdem hielt es der Kommandant in Absprache mit seinem Freund und IO, Graf Terra, für angesagt, dass Schiff umzutarnen. Aus dem reichen Fundus der nach Lloyds Register in Betracht kommenden Schiffe und unter Berücksichtigung kriegsbedingter Umstände wurde entschieden, das Schiff in einen ähnlich aussehenden, annähernd gleich großen Holländer, nämlich die „Ohm Hendrik“ zu verwandeln. Die See war ruhig, unter Anleitung des 2. Offiziers wurden die Bootsmannsstühle über die Bordwände gefiert und entsprechend der Vorlage der Rumpf schwarz angepönt, die Aufbauten ockerfarben abgesetzt, sowie der Schornstein durch Segeltuchstellage verlängert und das Deckshaus vergrößert. Nach zwei Tagen angestrengter Arbeit, an der fast die ganze Besatzung, die nicht durch anderweitige Tätigkeiten unabkömmlich war, eingebunden wurde, sollte das Werk gelungen sein. Kommandant, IO und LI sowie zwei der Sonderführer bestiegen die Kommandantenpinasse und umrundeten zunächst aus der Nähe, dann in einem Kreis von gut einer halben Meile, das Schiff.
„Das haut hin“, ließ sich der LI vernehmen. „Mit dem verlängerten Schornstein und dem vergrößerten Deckshaus gehen wir glatt als die „Ohm Hendrik“ durch.“
„Das sehe ich auch so“, stimmte der Graf zu, „da haben die Jungs eigentlich heute wieder ne’ Pulle Gerstensaft verdient.“
Der Kommandant bestätigte: „Auch 2 pro Nase. Das war harte Arbeit, aber sauber gelungen, meine Herren. Allerdings machen mir die Minen Sorgen. So als Holländer getarnt komme ich beinahe in Versuchung die Bucht von Kapstadt zu verminen. Dieses wird aber nur gelingen, wenn wir vorher angetroffene Gegner nicht funken lassen.“
„Der Sliphaken ist gefertigt, die Aufhängung am Flieger auch, eine Ersatzantenne habe ich auch bereits anbringen lassen“, ließ sich der LI vernehmen. „Wenn es Herrn Kaptän recht ist und die Dünung morgen nicht höher geht, schlage ich vor, die praktische Erprobung in Angriff zu nehmen.“
Während der Bootsteuerer nach einer weiteren Runde um den umgetarnten Hilfskreuzer, der jetzt seinem Namen „Chamäleon“ alle Ehre machte, wieder Kurs auf das Schiff nahm, bestätigte Graf Terra: „Auch Spaß und Schütze haben sich das Werk unseres wackeren LI bereits angeschaut und sind fest davon überzeugt, dass das Kappen der Antennen nach einigen Übungsläufen problemlos gehen sollte. Sie haben auch zugesichert, dass Aufhängung und insbesondere die Stahlschlinge vom LI so präpariert