Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje
lassen Sie mal, mein lieber Preuss“, entgegnete Admiral Scheidel, „ich fürchte, die Sache eilt wirklich, denn der Krieg lässt sich bekanntlich auch keine Zeit.“ Mit diesen Worten erhob sich der Mitt-Fünfziger hinter seinem Schreibtisch, der mit seinem fast weißen Haar, schmaler, kleinwüchsiger Statur und intelligentem Gesicht, mehr wie ein Gelehrter als ein Seeoffizier wirkte und deutete auf den Besuchersessel vor seinem fast spartanisch einfach wirkenden Schreibtisch.
Der Admiral lächelte, schob von Preuss die geöffnete Zigarettendose zu und meinte: „Wen haben wir denn da“, und blickte vielsagend auf die dünnen Aktendeckel in der rechten Hand des Kapitäns.
Von Preuss dankte nickend und nahm eine der von ihm zwar weniger geschätzten mit Filter und beeilte sich, dem Admiral Feuer zu geben. Als die Zigaretten brannten, rekapitulierte von Preuss aus den Personalakten.
„Tja mein Lieber“, meinte der Admiral, als sein 1. Stabsoffizier seinen Bericht beendet hatte, „gute Arbeit, mein Lieber. Aber von Ihnen ja auch nicht anders zu erwarten.“ Der Admiral streckte die Linke aus und nahm die drei Aktenhefter entgegen, blätterte diese seinerseits noch kurz durch und sagte: „Wirklich mein lieber Preuss, ganz ausgezeichnet, ich kann mich Ihren Vorschlägen nur anschließen, alle drei bestens geeignet als Kommandant eines Hilfskreuzers. Nur werden wir den guten Kapitän Schmid und wohl auch unseren gemeinsamen Crew-Kameraden Leusen wohl kaum ganz auf die Schnelle von ihren jetzigen Kommandos freistellen können. Bleibt also zur sofortigen Verwendung nur der junge Waldau.“
„Jawohl, Herr Admiral“, beeilte sich von Preuss seinem Admiral zuzustimmen. Der Admiral erhob sich. „Gut mein Lieber, veranlassen Sie alles weitere. Ich möchte den Waldau schnellstens hier sehen.“
Dietrich Waldau, 34-jähriger Korvetten-Kapitän der deutschen Kriegsmarine und z.Z. Kommandant des Zerstörers „Arndt Griepen“, hatte gerade sein Frühstück in der Küche des elterlichen Bauernhofes in Reher bei Plön beendet. Seine Mutter war noch im Kindbett verstorben, so dass er diese gar nicht gekannt hatte. Seinen Vater, Karl-Heinz Waldau, aktiver Seeoffizier des 1. Weltkrieges, schwer verwundet in der Skagerak-Schlacht auf dem Kreuzer „Frauenlob“, hatte es in den Wirren nach Beendigung des ersten Weltkrieges von der alten Heimat Bremerhaven, nach Schleswig-Holstein verschlagen, wo er seine zweite Frau Magda kennenlernte und 1920 heiratete. Kurz nach der Hochzeit starb der zu dieser Zeit bereits vom Tode gezeichnete Schwiegervater, so dass Karl-Heinz Waldau sich plötzlich gezwungen sah, den Bauernhof der Schwiegereltern zu übernehmen und selbst Bauer zu werden. Durch die Heirat mit Magda sah er sich glücklicherweise auch in die Lage versetzt, seinem Sohn endlich ein Zuhause zu bieten, der bisher die ersten Jahre seines Lebens bei den Großeltern in der Nähe von Emden aufwuchs und bis zur Hochzeit seines Vaters bei dessen Bruder Oskar und seiner Frau, einem Lehrerehepaar, in Bremen wohnte.
Dietrich Waldau, vom Vater, Großeltern und jetzt auch Stiefmutter Magda, die ihm eigentlich eine wirklich herzensgute Mutter geworden war, seit jeher „Didi“ genannt, war eigentlich ganz froh, trotz des Kriegsausbruches einige Tage unerwarteten Urlaub zu haben. Aber sein Schiff, der Zerstörer „Arndt Griepen“, war durch dringend erforderliche Überholung der Maschinen und Einbau zusätzlicher Flakbewaffnung in der Kriegsmarine-Werft Kiel für mindestens 10 Tage ausgefallen. Da er von Plön aus im Bedarfsfall jederzeit in weniger als zwei Stunden zu seinem Schiff zurückkehren konnte, bestand also keine Veranlassung, diese Möglichkeit nicht zum Besuch der Eltern zu nutzen, zumal sich hierbei auch die Gelegenheit ergab, der vom Vater wohl ererbten Jagdleidenschaft im elterlichen Revier zu frönen.
Dietrich Waldau war eigentlich mit Leib und Seele Seeoffizier. An der Küste aufgewachsen, hatte er sich bereits von frühester Jugend an für alles, was mit der Seefahrt zu tun hatte, sehr interessiert und natürlich auch mit größtem Eifer den Seekrieg 1914 bis 1918 verfolgt und im jugendlichen Unverständnis manchmal bedauert, hieran nicht aktiv teilnehmen zu können. Nach mittelprächtigem Abitur hatte er dann das große Glück, als Offiziersanwärter, trotz der großen Bewerberzahl, auf die wenigen freien Plätze, in die Reichsmarine aufgenommen zu werden.
Sein unbedingter Wille, Seeoffizier zu werden, ließ ihn auch alle Schleifereien und Ungerechtigkeiten auf dem Weg dorthin in Kauf nehmen, ohne „allzu dumm aufzufallen“, was damals manche angestrebte Offizierslaufbahn beendet hat, bevor die ersehnten Leutnantsstreifen in Empfang genommen werden konnten.
Da ihm in frühester Jugend bei den Großeltern und später auch bei Onkel und Tante, dem Lehrerehepaar in Bremen, eigentlich nie Ungerechtigkeiten widerfahren waren, geschweige denn, von Seiten seines Vaters, der ebenso wie sein Lehrerbruder, stets bemüht war, auch Dietrich zu einem ehrlichen, aufrechten aber auch nachdenklichen Menschen zu erziehen, der alle Ungerechtigkeiten verachtete und durchaus nicht bereit war, diese widerspruchslos hinzunehmen, fiel es ihm besonders schwer, insbesondere auch die zum Teil recht niederträchtigen und mit voller Absicht ungerechten Schleifereien der Unteroffiziere während der Grundausbildung – und zum Teil auch noch während der Kadettenausbildung auf einem Segelschulschiff, ohne Aufbegehren zu schlucken.
Mag sich der Leser selbst ein Urteil darüber bilden, ob grobe Ungerechtigkeit und bewusste Schikane der Unteroffiziere den Kadetten gegenüber, die immerhin künftige Seeoffiziere und damit Vorgesetze ihrer Ausbilder werden würden, der richtige Weg zum angestrebten Ziel gewesen sei? Hierbei mag jedoch berücksichtigt werden, dass es gerade in der – später als Großdeutschen Wehrmacht bezeichneten – Reichswehr allgemein und nicht desto weniger auch in der deutschen Kriegsmarine vorherrschend im Unteroffizierskorps die Auffassung gab, dass – Offiziere eine Art des Homo Sapiens seien, die ohnehin nur aufgrund der Fähigkeiten ihrer Unteroffiziere und Feldwebel überhaupt in die Lage versetzt seien, „lebensfähige Wesen“ zu sein.
Hier sei eine Episode aus der Schulschiffzeit des jungen Waldau geschildert:
Der Großsegler der deutschen Kriegsmarine lief – unter Segel, nachdem das Schiff – völlig ohne Benutzung der Hilfsmaschine – von Kiel auslaufend bis in den Pazifik und an die japanische Küste gelangt war in die Bucht von Yokohama ein. Das Segelschulschiff hatte nur noch Bramsegel und Klüver stehen und machte trotzdem aufgrund der günstigen Windverhältnisse immer noch eine Fahrt von etwa sieben Knoten. Dieses letzte Stück der langen Reise, unmittelbar vor dem Ankern, forderte Offizieren und Besatzung des Großseglers noch einmal alles seemännische Können ab, denn in diesem relativ schmalen und schwierigen Fahrwasser herrschte starker Verkehr von Schiffen aller Größen. Dazwischen wimmelten geradezu kleine Wasserfahrzeuge aller Art, wie Fischerboote und Dschunken, die sich einen Teufel um internationale Seerichtlinien wie Wasserstraßen- oder Schifffahrtsordnung scherten.
Am Abend des 24. Juni 1924 hatten Schiff und Besatzung dann endlich das Endziel der Ausbildungsreise erreicht. Das Schiff lag gegen den Strom vor Anker und es wurde „Klarschiff“ befohlen. Müde und erschöpft fielen Stammbesatzung und Seekadetten nach dem spätabendlichen „Backen und Banken“ in den wohlverdienten Schlaf.
Nachdem am Morgen des darauffolgenden Tages der offizielle Teil des Besuches – zumindest teilweise – durch Besuch des Hafenkapitäns, des deutschen Konsuls und anderer Honoratioren, abgewickelt war, bekam die erste Kadettendivision Gelegenheit zum Landgang in Gruppen á 12 Mann, jeweils begleitet von einem Unteroffizier.
Unter der letzten 12er Gruppe befand sich – alphabetisch verständlich – auch der Seekadett Waldau. Die gesamte Gruppe nahm in mustergültiger Haltung Aufstellung vor dem diensthabenden Obermaat Sonnenberg. Dieser musterte mit grimmigem Gesicht und dem ihm eigenen überheblichen Getue die Angetretenen: „Na, wollen mal sehen, ob man Euch überhaupt von Bord lassen kann, ohne die ganze Marine unsterblich zu blamieren.“ An Uniform und blankgewichsten Schuhen sowie peinlichst sauberer Rasur, fand Sonnenberg offensichtlich nichts auszusetzen und wandte sich nun, stets bemüht, doch noch das eine oder andere festzustellen, das ihm Gelegenheit gegeben hätte, einen Kadetten vom Landgang auszuschließen, den Feinheiten zu.
„Taschentücher“, brüllte Sonnenberg im besten Kommisston und nahm die Parade der ihm entgegengehaltenen grauen Marinetaschentücher ab. „Na, die Rotzlappen scheinen ja in Ordnung. Aber irgendetwas werden wir schon noch finden“, bei diesen Worten verzog sich sein Nussknackergesicht und er grinste impertinent, von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt. „Fingernägel“ Erneut schritt Sonnenberg das Häuflein