Das Schmusekätzchen und andere Geschichten. Manfred Wiedemann

Das Schmusekätzchen und andere Geschichten - Manfred Wiedemann


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nur eine fast ständige Blickverbindung ließ erkennen, dass sie sich verliebt hatten. Am Ende der Veranstaltung nahm Franz noch einmal seinen ganzen Mut zusammen, wartete am Ausgang auf das Mädchen und ging mit ihr nach draußen. Mit einem schüchternen Kuss und einer nicht enden wollenden Umarmung verabschiedeten sich die beiden, ohne sich zu einem neuen Treffen zu verabreden.

      Dass Franz nur noch an „seine“ Rita denken konnte, brachte ihn bei der Arbeit ganz durcheinander und sein Meister fragte ihn des öfteren, ob er träume und mahnte, dass es so nicht weiter gehen könne. Er wäre doch sonst ein so fleißiger junger Mann gewesen. Auch Franz dachte, dass es so nicht weiter gehe und dass er unbedingt zu seinem Mädchen gehen müsse. Er nahm also seinen ganzen Mut zusammen und ging zu ihrem Haus. Dort hoffte er, dass Rita schon einmal heraus kommen würde, denn er traute sich nicht hineinzugehen. Nach beinahe einer Stunde, in der er vor dem Haus hin und her ging, kam die Erlösung. Rita erschien, winkte ihm in den Hof zu kommen und zog ihn mit sich in eine dunkle Ecke des Hofes. Ein schneller Kuss und dann der leise Vorwurf, dass sie glaubte, er habe sie schon wieder vergessen. Warum er denn nicht ein Treffen mit ihr verabredet habe, sie habe solche Sehnsucht und sie dachte, dass alles schon wieder vorbei sei. Er sei doch ein recht dummer Kerl. Natürlich versuchte er ihr zu erklären, dass er den Mut zu einem Treffen nicht fand und auch nicht zu hoffen wagte, dass sie ihn wirklich wieder sehen wollte. Er sagte ihr, dass er bereue, dass er jetzt fort müsse und dann ja doch alles aus sei. Er habe sich für drei Jahre verpflichtet und das sei auch nicht mehr rückgängig zu machen. Und dass sie drei Jahre auf ihn warten würde, sei ja schließlich ganz unmöglich; er wisse ja, dass das nicht ginge. Sie sagte ihm, dass sie auch noch länger auf ihn warten würde und dass sie sich schon als kleines Mädchen in der Schule in ihn verliebt habe, und dass es für sie keinen anderen geben würde. Nun müsse sie aber wieder ins Haus, denn ihre Eltern würden sich sicher schon darüber wundern, wo sie so lange bleibe. Ein stürmischer Kuss und das Versprechen einander treu zu bleiben beendete das Treffen.

      Die beiden trafen sich noch ein paar Mal, und dann kam der Abschied und die Trennung. Natürlich versprach man sich, häufig zu schreiben und schließlich habe der junge Seesoldat ja auch Urlaub und würde so oft wie möglich nach Hause kommen. Ein tränenreicher Abschied beendete das kurze Glück.

      *

      Franz kam zur Grundausbildung in das Städtchen Glückstadt an der Elbe und schrieb seiner Rita regelmäßig. Noch öfter erhielt er einen Brief von Rita und jedesmal schrieb sie, dass er doch hoffentlich bald in Urlaub käme. Am ersten April wurde er eingezogen und schon zu Pfingsten bekam er eine Woche Urlaub. Klar, dass er sofort in die Heimat zu seiner Rita fuhr. Es gab schon ein wenig Aufsehen im Dorf, als er in seiner Matrosenuniform mit Rita durch die Straßen ging. Schlimmer aber war, dass Ritas Eltern darüber gar nicht sehr erfreut waren, denn sie hielten nichts von einem der weit weg zur See fuhr und ihrer Tochter den Kopf verdrehte. Auch wenn es bis zur Seefahrt noch dauern sollte, aber das konnten die ja nicht wissen. Der kurze Urlaub war bald vorüber und der Alltag kehrte wieder ein.

      Die Zeit verging. Franz kam auf die Marineschule und schließlich an Bord eines Zerstörers. Der Briefwechsel ging nach wie vor weiter, auch wenn Rita weniger Post erhielt als sie schrieb. Sie dachte, dass Franz einen anstrengenden Dienst und nicht so viel Zeit zum Schreiben habe, was ja auch der Fall war. Er beschrieb ihr aber seine Erlebnisse an Bord und Tage mit stürmischer See und was er so alles erlebte. Der nächste Urlaubsbesuch fand erst zu Neujahr statt, dauerte diesmal vier Wochen und die Seligkeit kannte keine Grenzen. Doch auch vier Wochen gehen für Liebende viel zu schnell vorbei und so kam wieder ein schwerer Abschied. Franz meinte, dass sie ihn ja auch in Flensburg, wo sein Schiff regelmäßig lag, besuchen könne. Viele Mädchen würden das machen. Und er würde ihr dann alles zeigen; sie würde sich sicher wundern, wie es auf einem Schiff zuginge, denn das ließe sich nicht wirklich beschreiben. Beide wussten, dass dies ein Traum war, denn Ritas Eltern würden eine solche Reise ihrer Tochter nie und nimmer genehmigen.

      Wieder gingen ungezählte Liebesbriefe von Süd nach Nord und von Nord nach Süd. Doch plötzlich verhängte die Marine eine Nachrichtensperre, denn es war die Kubakrise ausgebrochen. Der kalte Krieg zwischen West und Ost drohte in eine heiße Phase zu gehen und die gesamte Bundeswehr und damit auch die Marine war in Alarmzustand versetzt. Rita schrieb weiterhin Briefe, doch zum Teil kamen sie zurück und auf ein Lebenszeichen ihres Franz wartete sie vergeblich. Sie wusste aber aus den Nachrichten, dass der Zerstörer häufig in Flensburg lag und war entschlossen, dorthin zu fahren. Ihre Eltern durften davon, wie schon gesagt, natürlich nichts wissen und so reiste sie ohne sich jemandem anzuvertrauen, in den hohen Norden.

      In Flensburg angekommen, versuchte das unerfahrene Mädchen den Zerstörer zu finden, der aber nicht da war. Ein Uniformierter, den sie hartnäckig fragte, sagte ihr, dass „Z5“ wahrscheinlich in Hamburg liege, sie solle dort nach ihm suchen. Vermutlich sagte er ihr das nur, um sie loszuwerden, denn es war unwahrscheinlich, dass ein Zerstörer in Hamburg lag, noch dazu in einer Krise. Doch Rita war zu allem entschlossen und fuhr in die große Hafenstadt um ihren Franz dort zu finden. Wen immer sie für zuständig hielt, fragte sie nach dem Schiff. Doch keiner konnte ihr eine positive Auskunft erteilen. Ein Passant meinte, dass Matrosen am ehesten auf der Reeperbahn und der „Großen Freiheit“ zu finden seien. Er wäre früher auch bei der Marine gewesen und ein Gang dorthin sei für jeden Seemann ungeschriebenes Gesetz. Dadurch ermuntert, ging sie zur Hamburger Vergnügungsmeile und landete auf der großen Freiheit. Auch dort fragte sie unentwegt nach dem Zerstörer, bis ihr ein Mann sagte, sie solle mit ihm kommen, er würde sie am nächsten Tag dorthin bringen. Zweifelnd aber voller Hoffnung vertraute sie sich diesem Mann an, in der Erwartung, am nächsten Tag ihren Franz in die Arme schließen zu können oder ihn wenigstens gesund zu sehen. Das alles erzählte sie diesem Mann, der zwar nicht sehr vertrauenswürdig aussah, aber doch ihre Rettung sein konnte.

      Am nächsten Tag erwachte sie in einem etwas seltsamen Etablissement, aber sie dachte sich, in Hamburg muss das wohl so sein. Das Zimmer war in einem eigenartigen süßlichen Rot gehalten und die Möblierung bestand nur aus einem breiten Bett, einem Tischchen und zwei Stühlen. Ihre Kleider und ihr Köfferchen fehlten: Sie hatte nur, noch was sie am Leib trug. Und sie wusste nicht, wie sie dort hingekommen war. Eine ältere, etwas heruntergekommene Dame erklärte ihr, dass sie nun hier zu arbeiten habe und dass sie ja keine Zicken machen solle. Zu ihrem Franz würde man sie schon einmal bringen, der sei zur Zeit nicht in Hamburg. Sie fragte, welcher Art die Arbeit sei und dass sie bald wieder nach Hause müsse. Man erklärte ihr, dass sie bald sehen würde, welche Arbeit sie zu machen habe und dass an eine Heimfahrt für sie vorerst nicht zu denken sei. Bald stellte sie fest, dass man ihr auch alles Geld abgenommen hatte und dass das Zimmer, in dem sie geschlafen hatte abgesperrt war. Wütend und in einem Weinkrampf tobte sie herum. Die Tür öffnete sich und herein kam der Mann, der ihr gestern versprochen hatte, sie zu ihrem Franz zu führen. Sie fragte ihn, wann er sie zu Franz bringen würde und wo ihr Geld und ihr Koffer seien. Er meinte nur, dass sie das alles in nächster Zeit nicht brauchen würde, sie hätte jetzt hier zu arbeiten und sie werde jetzt sofort damit beginnen. Dabei riss er ihr die Kleider vom Leib und begann brutal sie zu vergewaltigen. Erst schrie sie laut um Hilfe, doch dann wurde sie ganz stumm und brach in einen Weinkrampf aus. Der Mann verließ sie mit den Worten, dass sie nun wisse, was ihre Arbeit in Zukunft sei. Und wenn sie schön tue, was man von ihr verlange, würde sie hier ein gutes Leben haben. Eine Flucht sei sinnlos, sie käme hier nicht heraus.

      Nachdem sich Rita einigermaßen gefasst hatte, überlegte sie was sie nun tun könne. Sie wusste sich keinen Rat, nur, dass sie bei der ersten Gelegenheit fortlaufen würde, nahm sie sich fest vor. Die Zeit verging. Es kamen jeden Tag andere Freier und sie musste ihnen zu Willen sein. Sie bettelte jeden an, sie doch mitzunehmen und mancher versprach ihr auch, sie zu befreien. Doch keiner hielt sein Versprechen; sie war den Leuten hoffnungslos ausgeliefert. Da begann sie, sich zu wehren, kratzte und biss ihre „Kunden“, was ihr aber nur Prügel einbrachte. Der Mann, dem sie dies alles verdankte, erklärte ihr, dass aus ihr noch ein braves Schmusekätzchen würde, wenn sie erst begriffen habe, dass dieses Leben für sie nicht das schlechteste sei. Und wenn sie eingesehen habe, dass sie auf diese Weise viel Geld verdienen würde, dürfe sie auch mal in die Stadt gehen, vor ihr hätten das schon viele ihrer „Kolleginnen“ auch eingesehen. Rita hatte nur noch die Hoffnung, dass ihr Franz sie irgendwie finden würde, der würde sie dann schon befreien. Aber


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