Streifzüge durch meine Heimat. Horst Bosetzky

Streifzüge durch meine Heimat - Horst Bosetzky


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Geschichte, die in Brandenburg an der Havel lebte, ist jedoch vielleicht noch viel legendärer als sie alle zusammen: der Barbier Johann Friedrich Andreas Bollmann (1852–1901), genannt Fritze Bollmann. Bollmann hatte insgesamt elf Kinder, von denen jedoch viele starben. Da er in eine finanzielle Notlage geriet, flüchtete er sich in den Alkohol. Lief er betrunken in der Stadt umher, wurde er häufig von Kindern geärgert und verspottet. Beim Angeln nahe der Dominsel – und nicht auf dem Beetzsee – stürzte er aus seinem Kahn, worauf die Kinder der Stadt das berühmte Spottlied auf ihn dichteten:

       Zu Brandenburg uff ’m Beetzsee

       Ja da liegt een Äppelkahn,

       Und darin sitzt Fritze Bollmann

       Mit seinem Angelkram.

       Fritze Bollmann wollte angeln,

       Doch die Angel fiel ihm rin,

       Fritze wollt se wieder langen,

       Doch da fiel er selber rin.

       Fritze Bollmann schrie um Hilfe,

       Liebe Leute, rettet mir,

       Denn ick bin doch der Fritze Bollmann

       Aus der Altstadt der Barbier.

       Und die Angel ward jerettet,

       Fritze Bollmann, der ersoff …

      Tatsächlich ist Fritz Bollmann aber nicht beim Angeln ertrunken, sondern verarmt im Städtischen Krankenhaus verstorben.

      Den Breitlingsee konnte ich bei meinen Fahrten vom D-Zug aus ebenfalls sehen, und vom Beetzsee habe ich durch die Fritze-Bollmann-Lieder erfahren. Der Obere Beetzsee und der Riewendsee waren mir dagegen lange Zeit unbekannt. Beide liegen nordöstlich von Brandenburg und sind durch ein sich dahinschlängelndes Fließ, genannt der Sträng, miteinander verbunden. Auf dem Beetzsee habe ich einmal eine Dampferfahrt unternommen, und im Hotel »Bollmannsruh« am Oberen Beetzsee haben wir gut gespeist. Westlich der Stadt sind noch der Plauer und der Mösersche See zu finden.

      Sehr lobenswert finde ich, dass es in Brandenburg an der Havel noch eine Straßenbahn gibt. Auf dem meterspurigen Netz verkehren drei Linien mit einer Streckenlänge von fast 18 Kilometern. Leider ist im Herbst 2002 die an die sechs Kilometer lange Strecke nach Kirchmöser wegen Brückenschäden eingestellt worden.

      Auch für mich West-Berliner war Kirchmöser schon immer ein Begriff, zum einen wegen des Reichsbahnausbesserungswerks Brandenburg-West und zum anderen, weil hier viele erfolgreiche Ruderer zu Hause waren. Nicht zu vergessen ist auch der Fußballverein BSV Stahl Brandenburg, der in der Tabelle der DDR-Fußball-Oberliga auf dem 22. Platz zu finden war.

      »Wir müssen zurück nach Berlin!«, ruft die Gefährtin meines Lebens. »Wir sind um 18 Uhr am Brandenburger Tor verabredet.«

      Also zurück nach »Berlin an der Spree, an der Havel, an der Dahme, an der Panke, an der Wuhle, am Tegeler Fließ und am Neuenhagener Mühlenfließ«. Hoffentlich beschließt der Senat endlich, Berlin den ihm gebührenden Städtenamen zu verleihen.

       Neuruppin und Fehrbellin

      Es ist ein Skandal, dass sich Neuruppin nicht Fontanestadt nennt, hat doch Heinrich Theodor Fontane hier am 30. Dezember 1819 das Licht der Welt erblickt. Beide Eltern, der Apotheker Louis Henry Fontane und seine Ehefrau Emilie, waren hugenottischer Herkunft. Aufgewachsen ist der kleine Theodor in der Karl-Marx-Straße, Haus Nummer 84, das heute nach ihm benannt ist und noch immer eine Apotheke beherbergt. Ist man zu Gast in Neuruppin, sollte man deshalb zunächst die Löwen-Apotheke aufsuchen.

      Ich war so oft in Neuruppin, ob zu Wanderungen, Familienausflügen oder Lesungen, dass ich es nicht mehr aufzuzählen vermag. Im Winter 1994, als mein Buch Mord und Totschlag bei Fontane erschien, saß ich sogar auf dem Fontane-Denkmal und schaute ehrfurchtsvoll zu meinem Vorbild hinauf.

      Neuruppin hat aber nicht nur Theodor Fontane hervorgebracht, die Liste seiner berühmten Söhne und Töchter ist lang. An dieser Stelle seien nur diejenigen genannt, die für mich selbst von großer Bedeutung sind:

      - Mit Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) wird man in Berlin und Brandenburg überall konfrontiert. Nicht nur seine eigenen Bauwerke erinnern an ihn, sondern auch die unzähligen Fassaden, die seinem Stil nachempfunden wurden.

      - Gustav Kühn (1794–1868), Buchdrucker und Herausgeber von Bilderbogen, hat mich schon als Kind mit seinen Vorläufern des Comics erfreut.

      - Paul Carl Beiersdorf (1836–1896), Apotheker und Firmengründer der Beiersdorf AG, erfreut mich heute noch mit seiner Nivea-Creme.

      - Carl Großmann (1863–1922), Serienmörder, hat mich angeregt, Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof zu schreiben.

      - Klaus Schwarzkopf (1922–1991), Schauspieler, spielte den Professor Kolczyk in der Verfilmung meines Romans Einer von uns beiden.

      - Eva Strittmatter (1930–2011) war eine der Großen in der Schriftstellerzunft und insbesondere in der DDR hochgeehrt.

      - Uwe Hohn (* 1962) ist nicht nur ein herausragender Speerwerfer (Weltrekord mit 104,80 Metern), in der Fernsehreihe Außenseiter Spitzenreiter ist es ihm auch gelungen, ein Streichholz 30,68 Meter weit zu werfen.

      Vergessen sollten wir auch nicht, dass Friedrich der Große (1712–1786) von 1732 bis 1740 als Kronprinz Friedrich Kommandeur der Neuruppiner Garnison gewesen ist und Georg Heym (1887–1912) in Neuruppin das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium besucht und hier seine ersten Gedichte geschrieben hat. Möglicherweise war auch Abend am See unter ihnen:

       Leis kommt die Nacht auf Dämmerwegen.

       Du fühlst im Waldsee ein heimliches Regen.

       Der Abendwind rauscht durch das Rohr so eigen

       In des Sternengeflimmers tanzenden Reigen.

       Still ruhn die Wogen in dem Silberschein

       Des Monds, der sich erhebet wolkenrein.

       Es öffnen die Seerosen ihren Silberkranz.

       Ein nie geahnet Glück sie erfüllet ganz.

      Damit haben wir eine wunderbare Überleitung zum Ruppiner See, den ich mit meiner Wandergruppe unzählige Male umrundet habe. Als Ausgangspunkt diente uns dabei immer sein südliches Ende, in dessen Nähe Wustrau gelegen ist. Im altem Wustrauer Gutshaus ist Hans Joachim von Zieten 1699 geboren worden, dem Fontane 1847 das Gedicht Der alte Zieten gewidmet hat. Die erste Strophe beschreibt den General anschaulich:

       Joachim Hans von Zieten,

       Husarengeneral,

       Dem Feind die Stirne bieten,

       Er tat’s wohl hundertmal;

       Sie haben’s all erfahren,

       Wie er die Pelze wusch

       Mit seinen Leibhusaren

       Der Zieten aus dem Busch.

      Zu Beginn von Zietens Karriere deutete nichts darauf hin, dass der Mann aus Wustrau neben Seydlitz einmal der berühmteste General Preußens werden sollte. Bei Beförderungen wurde er übergangen, und der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. urteilte über ihn: … ist gar klein und von schwacher Stimme für das Commandiren. Zieten nahm daraufhin erst einmal einen zeitweiligen Abschied vom Militär. Wieder zurück, scheiterte er ein zweites Mal, aber im Siebenjährigen Krieg kam seine große Zeit. Er starb schließlich nicht auf dem Schlachtfeld, sondern 1786 in Berlin, wo er sich


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