Duft von Walderdbeeren. Ljubica Perkman
sie den Trauschein. Als sie in der Behörde ihrer Heimatstadt anrief und danach fragte, teilte man ihr mit, dass es keinen Trauschein gibt. Sie wurde als unverheiratet geführt. Es hatte keine Eheschließung gegeben. So erfuhr Lena auf bittere Weise, dass sie fünfundzwanzig Jahre lang unverheiratet ein Martyrium ertragen hatte. Sie verließ diesen Mann – dieses Monster – noch am gleichen Tag.
Nach der Trennung suchte sie Arbeit in einem Haushalt und hoffte einen Mann zu finden, der sie verstand und mit dem sie den Rest ihres Lebens zusammen sein konnte. Aber sie sollte kein Glück haben.
Eine kurze Bekanntschaft, die sie nach dem Elend mit ihrem Mann durch ihre einzige Freundin Marina schloss, hätte für Lena durchaus tödlich enden können. Doch nicht umsonst heißt das bekannte Sprichwort: »Glück im Unglück gehabt.«
Es war Nachmittag. Das Unwetter ließ langsam nach, der Regen prasselte noch auf die Dächer, gegen die Scheiben und auf die Bäume, doch der Himmel hellte sich auf und das Krachen des Donners wurde leiser. Der Wind fegte über die vorgelagerten kleineren Inseln und trug die dunklen Wolken mit sich fort, hinaus auf das Meer. Nachdem auch der Regen langsam nachließ, lag ein intensiver Duft von Oleander in der Luft. Die Straßen der Stadt Rijeka waren leer, nur aus den umliegenden Cafés hörte man Stimmen und Musik.
Rijeka ist eine große, sehr schöne Hafenstadt in Kroatien, eine Stadt der Reichen und der Armen und mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Die Menschen versuchten zu überleben, jeder auf seine eigene Weise.
Trotz Tourismus – oder gerade deswegen – erlebte die Stadt eine Vielzahl von Einbrüchen, Überfällen und Diebstählen. Der Schwarzmarkt blühte. Wegen dieser großen Armut und des damit verbundenen kärglichen Daseins, fühlte sich Lena oft sehr unglücklich. Sie meinte, noch nie in ihrem Leben von jemandem geliebt worden zu sein. Sie empfand auch, dass alle sie verlassen hatten. Alle, auch ihre Familie, ihre Freunde, ihre Bekannten.
Sie lief oft ziellos durch die Stadt, suchte Arbeit, egal was, ob in einer Firma oder in einem Privathaushalt. Sie würde jede Arbeit annehmen, hatte das mangelnde Geld doch ihre Familie zerstört. Nach und nach gingen sie alle ihrer eigenen Wege. Auf der Suche nach Arbeit stoben sie in alle Richtungen auseinander.
Lena hatte die Scheidung eingereicht. Die Nerven ließen sie im Stich, immer öfter griff sie zu Tabletten, um den Tag überstehen zu können.
Die einzige gute Bekannte, die noch in Rijeka geblieben war, war Marina. Lena vertraute ihr und glaubte, dass sie ihr alles erzählen kann – alle familiären Probleme, Krankheiten oder ihren Kummer über das Verlassen werden durch ihren Mann. Marina hörte immer aufmerksam zu – lauernd. Die Scheidung hatte viel Geld verschlungen. Sie musste deswegen die schöne Dreizimmerwohnung verlassen und zog in ein sehr altes, nicht renoviertes Haus, weit draußen außerhalb Rijeka, in einem Ortsteil von Gorski Kotar.
Auch nach ihrem Umzug blieben die Freundinnen in Kontakt. Marinas Ehemann war Alkoholiker. Oft behauptete er, dass er nur trinken würde, weil seine Frau so schlecht sei. Vor allem aber, weil sie der falschen Religion angehörte. Der Krieg hatte viele Ehen zerstört, denn die Angehörigkeit zu einer Religion wurde plötzlich zu einem zentralen Thema. Es herrschte Krieg – auch in den Ehen und Familien.
Marina hatte einen Sohn. Ein stattlicher junger Mann. Doch zur Schule oder in eine Ausbildung wollte er nicht gehen. Lieber fläzte er sich den ganzen Tag auf der Couch, rauchte und las Zeitung. Seine Tage waren ziellos und er war faul. Oft sprach er davon, dass er keine Arbeit bräuchte. Das einzige, was ihm wirklich Erfolg brachte, war der innerstädtische Krieg. Er brachte Goldschmuck, Ringe und Ketten nach Hause, die er erbeutet hatte und verkaufte diese auf dem Schwarzmarkt. Ihm war offenbar nicht bewusst, gegen wen er da kämpfte, denn er selbst stammte aus einer ethnisch gemischten Ehe.
Marina wollte – angeblich aus Mitleid – so schnell wie möglich einen neuen Lebenspartner für Lena finden. Aber war dieser Wunsch ehrlich und gut gemeint? Lena brauchte Hilfe und sie musste Arbeit finden oder einen anderen guten Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens zusammen bleiben konnte. Eines Tages überraschte Lena Marina mit ihrem Besuch. Marina kochte Kaffee und gerade als die beiden sich ins Gespräch vertieft hatten, klopfte es an der Tür. Marina begrüßte einen jungen Mann und stellte ihn dann Lena vor. Lena war ein wenig überrascht, reichte dem Mann die Hand und dachte: »Du meine Güte, ist das ein sympathischer Mann!«
Marina klopfte dem Mann auf die Schulter und fing an, ihn zu loben. Was für ein guter Handwerker er wäre, wie ehrlich und ernsthaft. Und so verging die Zeit und es schien, als würde sich aus der flüchtigen Bekanntschaft eine tiefere Freundschaft entwickeln. Blagoje, so war sein Name, bot Lena an, mit ihr in ein Café zu gehen. Natürlich nahm Lena die Einladung sofort freudig an und war in diesem Augenblick der glücklichste Mensch. Sie verabschiedeten sich und verabredeten sich für den kommenden Tag um 14 Uhr an einer Tankstelle in Rijeka. Lena freute sich sehr auf dieses Treffen, in der Hoffnung, endlich den richtigen Mann gefunden zu haben.
Am nächsten Tag ging sie mit einem Lächeln auf den Lippen zum verabredeten Treffpunkt. Sie wartete geduldig. Aber er kam nicht. Die Zeit verrann, aber er kam nicht. Sie begann sich Sorgen zu machen, ob ihm etwas passiert sei, denn er hatte versprochen, pünktlich zu sein. Es waren schon zwei Stunden vergangen. Sie bekam Zweifel, hatte Bedenken, dass Marina ihm von ihren familiären Problemen erzählt haben könnte und er deshalb nicht kommen wollte. Sie war doch geschieden und da gab es noch diesen netten, hilfreichen Nachbarn, Anto, in ihrem Dorf, der sich ihrer angenommen und geholfen hatte, als sie dorthin zog. Auch davon wusste Marina.
Sie zweifelte immer mehr und begann, sich darüber Gedanken zu machen, ob es richtig war, Marina von all ihren Problemen und Wünschen erzählt zu haben.
Doch dann erblickte sie Blagoje. Er näherte sich ihr, wie ein Boot, das nicht weiß, ob es in den Hafen einlaufen oder noch auf dem Meer verweilen soll. Er grüßte sie freundlich und entschuldigte sich dafür, dass er sie so lange habe warten lassen, »Entschuldige, Lena, es tut mir sehr leid. Du wirst noch einen Augenblick auf mich warten müssen. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Er ging schnellen Schrittes hinter die Tankstelle. Lena wartete wieder geduldig. Die Zeit verging, doch von Blagoje war nichts zu sehen. In ihren kühnsten Vorstellungen konnte sie nicht ahnen, was da vor sich ging. Dann plötzlich, tauchte er wieder auf.
»Ich muss mich erneut entschuldigen, Lena! Aber statt ins Café zu gehen, möchte ich dich jetzt gerne nach Hause bringen.«
Lena war irritiert und lehnte ab. Doch während er die Autotür für sie öffnete und sie am Arm fest hielt, wiederholte er seine Forderung. Diesmal etwas schärfer. Es klang beinahe wie ein Befehl – oder ein Drohung.
Lena setzte sich gehorsam ins Auto, erschrocken von der plötzlichen Wende in seiner Stimme und überlegte, warum sich Blagoje so verhielt. Warum hatte er seine Meinung geändert und wollte sie nach Hause bringen? Mit wem hatte er sich vorher getroffen?
Dann plötzlich unterbrach Blagojes Stimme ihre Gedanken:
»Wie ist dein Nachbar Anto?«, wollte er wissen. »Ich habe gehört, er soll sehr nett sein, dir viel helfen und dich zur Frau nehmen wollen?«
»Oh! Wer hat dir diesen Blödsinn erzählt? Marina etwa?« Sie konnte sich vorstellen, aus welcher Richtung der Wind wehte.
»Er ist nur mein Nachbar und nichts weiter.«
»Was ist das für ein Mensch, dieser Anto?«, wollte Blagoje wieder wissen.
»Er ist ein guter Mensch«, antwortete Lena einsilbig.
Als sie im Dorf ankamen, erwartete der Nachbar sie herzlich. Er lernte Blagoje kennen und bat die beiden auf einen Kaffee zu sich nach Hause. Etwas hinterhältig und übertrieben freundlich nahm Blagoje die Einladung an. Als Anto beim Anheben der Tasse aus Versehen an Lenas Schulter stieß, durchbohrte Blagoje beide mit dem Blick. Daraufhin folgte betretenes Schweigen.
»Es ist nichts passiert. Die Tasse ist nicht zu Bruch gegangen und selbst wenn, wäre das nicht schlimm gewesen«, sagte Anto, bemüht das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
Doch Blagoje sagte kein Wort mehr. Seine Augen waren voller Neugier aber auch Wut.
Nachdem