In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
Ganzes.
Als Goethe einmal von einem Jugendfreund gesagt wurde: »Das, was du lebst, ist besser als das, was du schreibst!« antwortete er: Es sollte mir lieb sein, wenn es (noch) so wäre! – Gemeint ist: Wenn unser Leben höher bewertet würde als das, was wir schriftlich von uns geben. Meistens ist es andersherum. Daher gilt auch meine schon öfters gemachte Beteuerung: Was ich schreibe, ist im besten Fall das, was ich anstrebe. Also etwas (immer noch und immer wieder) Erstrebenswertes, das, leider, im Alltag nie ganz zu erreichen ist. Also vielleicht eine Art Ideal, um das man ein Leben lang sich müht.
Wer sich in Freude und Dankbarkeit erinnert, gibt damit auch zu verstehen, dass er anderen vieles schuldet, nicht zuletzt Gott, dem Geber alles Guten. Daher möchte ich dieses Buch als eine dankbare Geste an jene verstanden wissen, die mit mir über Jahre oder gar Jahrzehnte unterwegs waren. Mit denen ich Freude und Freundschaft, aber auch Ängste und Leiden teilen durfte. Die mir nicht zuletzt durch ihr Leben und Wirken zum Vorbild geworden sind. An die ich mich nicht nur gerne erinnere, sondern deren So-Sein mich glücklich machte – bis auf den heutigen Tag.
Übrigens – bei Leonardo Boff fand ich diesbezüglich ein weiteres ermutigendes Wort: Gib die Hoffnung, den Traum, die Utopie niemals auf! Das ist der Weg zur Zukunft. – Wer sich müht, Freude zu vermitteln, und gleichzeitig darauf bedacht ist, das Gespür und den Sinn für das Wunderbare in der Welt zu bewahren; wer sich um die Erde sorgt, »um die Schönheit ihrer Wälder, um den Zauber ihrer Blumen, um die Vielfalt der Lebewesen« (L. Boff), der wird sich leichter tun, auch zu seinem eigenen Alltag Ja zu sagen. Der ahnt, was Martin Walser einmal so formuliert hat: Schön wird die Welt durch den Glauben, nicht durch das Wissen. – So gesehen, so verstanden, sind Freude und Dankbarkeit letztlich echte Träger eines tiefen Gottvertrauens.
Allen, die meinen Lebensweg begleitet und die mein Sein bereichert und glücklich gemacht haben – auch den vielen in diesem Buch nicht namentlich Erwähnten – gilt, was wir als Kinder im fränkischen Bayern zu sagen pflegten, wenn wir uns für etwas bedanken wollten: Herzliches Vergelts-Gott!
Gottes Segen möge auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, begleiten. Der Schutz seiner Engel sei mit Ihnen auf allen Ihren Wegen ...
Adalbert Ludwig Balling
I
In jede echte Freude mischt sich eine Empfindung von großer Dankbarkeit
Nach Marie von Ebner-Eschenbach
An den Anfang meiner Erinnerungen stelle ich ein umfangreiches Kapitel der Dankbarkeit. Ich bin unendlich dankbar für vieles in meinem Leben, für große und kleine Erlebnisse, für das Überleben in riskanten, ja lebensgefährlichen Abenteuern, aber auch für zahlreiche Begegnungen mit wildfremden Menschen, an die ich gerne zurückdenke.
An schier allen Wegkreuzungen meiner 80 und mehr Jahre stellte ich fest, wenngleich oft erst im verspäteten Nachhinein: Es war gut so! Es hat so sollen sein! Es lag, vielleicht auch im Plane Gottes, dass es so kam, wie es kam – auch wenn es mir zur Zeit des Geschehens ganz anders erschien. Und es oblag nicht selten meinem Schutzengel, für mein Wohlsein und Wohlbefinden zu sorgen. Ihm, meinem Schutzengel, danke ich (nächst Gott und den Heiligen) für sein wunderbares Geleit; für seine Um- und Vorsicht; für seine warnenden Weisungen in brenzligen Situationen; für die, wenn auch oft erst spät erkannte Einsicht: Gott schreibt gerade – auch auf krumme Zeilen!
Als ich vor einigen Jahren mein Goldenes2 feierte, hatte ich bewusst davon Abstand genommen, einen Mitbruder oder Freund aus der Diözese zu bitten, die Festpredigt zu halten. Ich sah es damals (und sehe es heute nicht anders) fast als eine Provokation an, bei diesem Fest als einziger im Rampenlicht zu stehen und gar noch für etwas gelobt und geehrt zu werden, was ich meist gar nicht alleine hätte erreichen oder fertigbringen können.
Was habe ich schon Großes geleistet? Etwas, das andere nicht auch hätten vollbringen können? Zudem musste ich mit der Erkenntnis leben lernen, wie sie Papst Franziskus zum Beginn seines Pontifikats geäußert hat: Wer bin ich, um mich über andere zu stellen? Wer, um über andere zu urteilen? Letztlich, und vor Gott, sind auch Priester und Ordensleute nichts anderes als arme sündige Menschen, angewiesen wie alle anderen Menschen auch auf die großzügige Barmherzigkeit Gottes. Ohne Übertreibung darf ich sagen: Ich habe mein Leben lang von der Güte und Liebe anderer gelebt. Vieles, was ich getan oder erreicht habe, wohl das Allermeiste, hätte ich ohne die vielen guten Menschen, die mir zur Seite standen durch ihre Mithilfe, ihre Ratschläge, ihr Gutsein und ihr Gebet niemals geschafft. Ihnen allen gebührt mein aufrichtiges Dankeschön.
So begann ich denn auch meine Festpredigt zum Goldenen Jubiläum mit einer Aneinanderreihung dessen, was ich in den Jahrzehnten meines Erwachsenenseins alles habe erleben dürfen: Neben viel Freude gewiss auch Leid, aber auch unwahrscheinlich viel Einmaliges an historischen Ereignissen und Begebenheiten. Darauf komme ich später noch zu sprechen. Hier und vorweg erst ein paar Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend.
Das Leben auf dem Land war einfach und hart und ich bin im Nachhinein sehr dankbar dafür
Als Kind und Jugendlicher wusste ich zwar um meine dörfliche Herkunft; um das Milieu der fränkischen Heimat, wo wir mit dem Ochsenfurter Dialekt aufwuchsen, erzogen von katholischen Eltern, auf einem Bauernhof, der das ländliche Leben weithin prägte; in einer Dorfgemeinschaft, wo jeder jeden kannte – und auch in etwa wusste, was der Andere dachte und vorhatte oder missachtete und unterließ .. . Kurzum, was immer sich in dieser kleinen Gemeinde ereignete, was immer passierte oder vorfiel – wir alle wussten es; es betraf alle; es ging uns alle an.
Und wenn einer im Dorf starb, trauerten alle um ihn, beteten an drei Tagen gemeinsam den Rosenkranz, zeigten sich betroffen, wünschten den Hinterbliebenen Beileid, begleiteten den Sarg zum Friedhof, nahmen teil am Totenamt, baten den Erzengel Michael um ein gutes Geleit für den Verstorbenen auf seinem Weg ins Jenseits und den barmherzigen Gott um eine gütige Aufnahme in die Gemeinschaft der Seligen und Heiligen.
Wie gesagt, um all das wusste ich sehr wohl, auch schon als Kind und Jugendlicher. Aber so recht zu schätzen wusste ich es damals noch nicht. Von echter Dankbarkeit für diese Fakten des dörflich-bäuerlichen Lebens konnte kaum die Rede sein. Da war zu viel, was uns als Kinder störte; zu viel, was uns als Jugendliche daran hinderte, dieses Milieu gutzuheißen. Denn das Leben auf dem Land war hart, entbehrungsreich und nüchtern. Fast alles drehte sich um die Arbeit: Auf dem Hof, in den Ställen, auf den Feldern – oder, im Winter, im benachbarten Wald.
Kinder und Jugendliche waren wichtige Arbeitskräfte: Beim Holz-Herbeischaffen für den Küchenherd; beim Einsammeln der Hühnereier; beim Gießen der Gemüsebeete im Garten; beim Aufklauben der Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Nüsse; beim Füttern der Hühner, Schweine und Rinder; beim Ernten des Getreides im Sommer und der Kartoffeln und Zuckerrüben im Herbst ... Einfach überall, wo kleine Hände und flinke Kinderfüße sich nützlich machen konnten.
Die Schule, die Hausaufgaben, das mühsame Auswendiglernen des Katechismus oder der gängigen Gedichte unserer großen Poeten – all das zählte auf dem Bauernhof nichts, wenn dringende Alltagsarbeiten anstanden; Arbeiten, die von Kindern und Jugendlichen zu erledigen waren. Ohne Widerrede und ohne Murren.
Dass dies so sein musste, war uns Zehn-, Zwölf- oder Fünfzehnjährigen kaum zu vermitteln. Wir folgten einfach; be-folgten, was die Erwachsenen uns vorschrieben. Wir hatten zu gehorchen. Basta! – Umso mehr schielten wir zu jenen wenigen Mitschülern hinüber, deren Eltern keine größere Landwirtschaft betrieben; die vielleicht ein Geschäft führten, einem Handwerk nachgingen oder gar zu den Studierten gehörten – weil Ärzte, Lehrer, Rechtsanwälte etc. Da gab es zwar auch kleinere Arbeiten zu verrichten, diese waren aber überhaupt kein Vergleich zu unseren Aufgaben und Pflichten auf dem Bauernhof.
Damals empfanden wir es als ungerecht, dass wir so schuften mussten. Später, mit dem Abstand an Jahren, mit mehr Lebenserfahrung und Einsicht, auch in andere Berufszweige, da änderte sich dieses Bild sehr rasch und von Grund auf. Heute –