Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


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abgehört werden?“

      „Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“

      Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.

      „Wir denken zu engstirnig.“

      „Aha … und was sollen wir anders machen?“

      „Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“

      „Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“

      „Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig recht … aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Fall eine andere Sprache spricht … da steckt System dahinter …“

      „Bestimmt … aber jedes System entsteht aus Knotenpunkten, Beziehungen … und die untersuchen wir gerade … oder verstehe ich da was nicht?“

      „Nein, da haben Sie schon recht … das läuft natürlich weiter wie gehabt“, gab Schäfer zu und schloss für einen Moment die Augen, um sich seine Gedanken vom Vorabend in Erinnerung zu rufen.

      „Der Mord hat etwas … was soll das … ausufernder Hass? Aber dafür ist das Vorgehen zu besonnen … das ist ja fast medizinisch … ein Prozedere … “

      „Wir haben es mit einem Geisteskranken zu tun …“

      „Das ziemlich sicher … nur: Er kommt und geht ohne Spuren, nichts haben wir gefunden, kein Haar, keine Textilfasern …“

      „Ein akribischer Plan … ein intelligenter Mensch …“

      „Unbedingt … deshalb macht mich das auch so nervös. Wir sind diesem Plan weit hinterher … und was uns in so einem Fall erfahrungsgemäß neue Ansätze bringt …“

      „Ist hoffentlich kein zweiter Mord …“

      „Das haben Sie jetzt gesagt … aber Sie haben leider Gottes sehr oft recht, Bergmann … schreiben Sie sich das ruhig in Ihre Komplimentemappe … dieser Mensch hat entweder zumindest ein paar Wochen darauf verwendet, diesen Mord zu planen, oder er hat Born gekannt … er hat gewusst, wann der allein zu Hause ist, wann er von niemandem überrascht wird … das ist kein Amateur, der sagt: So, Kinder, Abendessen fällt aus, ich gehe heute mal einen alten Naziknacker mit Säure übergießen … seid brav und um zehn ist der Fernseher aus … “

      „Sie meinen, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon einmal getötet hat …“

      „Ja … das ist zu professionell für einen Anfänger … Sie wissen, wie Serientäter anfangen … ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … ’tschuldigung … aus der Hölle, müsste ich wohl sagen … da bleibt was zurück … die sind nervös … in ihrem Rausch gefangen … erst beim zweiten oder dritten Mal wird die Inszenierung dann sorgfältiger … ach, ich kenne mich auch nicht mehr aus …“

      Sie gingen eine Runde um die Rosenbeete, wobei Schäfer sich die Namensschilder jeder Züchtung ansah. Am liebsten hätte er seine Laufschuhe bei sich gehabt und wäre bis in den Wienerwald gelaufen; dieses Kribbeln unter der Haut, dieses übermäßige Schwitzen … er musste sich irgendwie körperlich verausgaben.

      „Gehen Sie ohne mich zurück … ich habe noch was zu erledigen.“

      Er querte den Heldenplatz und ging über Kohlmarkt und Graben zu einem Textilgeschäft, wo er eine Badehose und ein Handtuch kaufte. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Eine halbe Stunde in der Neuen Donau – das würde seinen Geist erfrischen, das käme der Arbeit nur zugute. Mit der U1 fuhr er zur Donauinsel, wo er die Uferpromenade entlangspazierte, bis er einen schattigen Platz unter ein paar Birken fand. Er breitete sein Handtuch aus, stellte sich hinter die Bäume und zog sich um. Was sollte er mit seiner Dienstwaffe tun? Die konnte er nicht einfach hier liegen lassen. Er sah sich um, wickelte die Pistole ins Handtuch und ging ein paar Schritte zu einem Gebüsch, wo er sie unter einem Haufen aus Reisig und Grasschnitt verbarg. Dann lief er zum Ufer, prüfte mit dem rechten Fuß die Wassertemperatur und sprang hinein. Mit kräftigen Zügen kraulte er an die andere Seite, wo er einen Moment verschnaufte und wieder retourschwamm. Ein paar Minuten blieb er auf seinem Handtuch sitzen, dann sprang er abermals ins Wasser. Er genoss es, seinen Körper zu spüren; wie ihm die Oberarmmuskeln zu schmerzen begannen, wie sich die Handflächen fast krampfartig verspannten, wie eine Maschine zog er durchs Wasser, kämpfen, Schäfer, kämpfen, er fühlte sich großartig.

      Auf dem Rückweg blieb Schäfer bei einem Eissalon stehen. Da dort an die fünfzig Sorten verkauft wurden, brauchte es seine Zeit, bis Schäfer sich für eine Tüte mit drei Kugeln, Honig-Topfen-Marille, entschieden hatte. Dann bestellte er fünf weitere Sorten, die er in eine Styroporbox packen ließ. Über die Freyung spazierte er zum Kommissariat und blieb vor dem Eingang stehen, bis er das Eis fertig gegessen hatte.

      Bergmann war damit beschäftigt, den Bericht für die Beamten des Verfassungsschutzes zu ordnen. Schäfer machte ihnen beiden einen Kaffee und stellte sich ein paar Minuten hinter seinen Assistenten, um ihn bei der Arbeit zu beobachten. Nicht dass er ihn kontrollierte; er bewunderte vielmehr seine Fähigkeit, in eine Unmenge an Daten eine Ordnung zu bringen, in der sich jeder von Anfang an zurechtfand. Und siehe, es war gut. Ach, Bergmann, was täte ich ohne Sie!

      „Haben Sie schon einmal Honigeis gegessen?“

      „Nein … klingt aber gut … muss man wahrscheinlich mit einer fruchtigen Sorte mischen, die dem Honig die schwere Süße nimmt …“

      Schäfer rieb sich am Nasenflügel und fragte sich, ob das wirklich Bergmann war, der das gesagt hatte.

      „Können Sie ja gleich versuchen … ich habe ein Kilo in der Styroporbox hier … Honig, Topfen, Marille, Schokolade und Oberskirsch … ich hole ein paar Schüsseln und Löffel und Sie rufen inzwischen die Meute zusammen.“

      Strasser und Leitner waren unterwegs; also saßen sie zu viert im Besprechungszimmer und löffelten das Eis weg, bevor es völlig zerschmolz. Schäfer aß die beiden Portionen, die den zwei abwesenden Kollegen zugedacht waren.

      „Honig“, meinte er später, als er mehr als satt in seinem Sessel hing, „woran denken Sie dabei?“

      „Wenn ich jetzt Bienen sage, ist das zu banal?“

      „Nein … was noch …?“

      „Blumen, Nektar, Pollen, Stachel, Imker, Honigbrot … warum eigentlich?“

      „Als ich auf dem Weg hierher mein Eis gegessen habe …“

      „Sie haben vorher schon eins gegessen?“

      „Na ja … ein kleines, eine Tüte … auf jeden Fall schlecke ich an diesem Honigeis und denke so über Honig nach – so wie Sie eben – und plötzlich macht es … also es pocht irgendwie in meinem Kopf, ganz leise, als ob jemand vorsichtig an eine Tür klopfte …“

      „Sind Sie zum Arzt gegangen?“

      „Wieso zum Arzt, nein, das war eher metaphorisch gemeint … irgendwo im unterbewussten Raum bildet sich ein Gedanke und möchte in das Zimmer, wo ich ihn wahrnehme … aber ich weiß nicht, wie ich ihm die Tür öffnen soll … verstehen Sie: tock, tock …“

      „Und es hat etwas mit Honig zu tun?“

      „Ja … oder mit Bienen, Blüten, Wiesen …“

      „Vielleicht sollten Sie noch eins essen …“

      „Noch ein Honigeis? Mir ist jetzt schon ziemlich schlecht.“

      Sie verließen das Kommissariat gemeinsam kurz nach sechs, Bergmann ging in


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