Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


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antwortete Wedekind, „ein System von Energieflüssen und sich wechselseitig beeinflussenden Zuständen, die den ganzen Körper und folglich auch den Geist betreffen.“

      „Hm … und wie sehen Sie das?“

      „Ich spüre es … das klingt für Sie jetzt vielleicht esoterisch, aber es ist nur eine Form der Sinneswahrnehmung, die den meisten in unserer Gesellschaft abhandengekommen ist … mit ein bisschen Sensibilität kann das jeder wieder lernen …“

      „Kann man damit auch … so was wie … funktioniert das auch bei Gemütszuständen?“

      „Sicher … aber Sie dürfen sich das nicht wie einen Schalter vorstellen, den ich drücke und dann passt wieder alles … das ist ein langsames, wiederholtes Einrichten, an dem Sie sich genauso beteiligen müssen …“

      Na gut, dachte Schäfer, das habe ich doch in ähnlicher Weise schon von meinem Therapeuten gehört. Konnte ihm denn niemand einfach eine Nadel irgendwo in den Kopf stecken und alles war wieder gut?

      Nachdem Wedekind gegangen war, blieb Schäfer noch bis lange nach Mitternacht am Balkon sitzen. Er ließ sich ihr Gespräch durch den Kopf gehen. Zusammenhänge … solche, die man verlernt hat, zu sehen … eine andere Perspektive … ein Spüren … so arbeitete er selbst doch normalerweise auch … und jetzt wühlte er sich durch Daten, lief von Befragung zu Befragung … verärgerte Zuhälter … suchte nach Telefonnummern … er musste sich auf die Tat konzentrieren, musste das entscheidende Moment sehen. Welche Beziehung hatte Born zu seinem Mörder gehabt? Was war in seinem Kopf, das dieser unbedingt vernichten musste? Er hätte ihn doch auch erschießen können … kurze Zeit später wäre Borns Gehirn ohnehin bis in die letzte Zelle abgestorben. Hier lag ein Schlüssel zur Lösung des Falls … in dieser Unlogik … hier musste er sich festhaken.

      7.

      Dieser Tag noch, dann würde er sich ein schönes Wochenende gönnen. Im Wienerwald Rad fahren, schwimmen in der Neuen Donau, lesen, vielleicht ins Kino gehen. Die Aussicht auf zwei Tage nur für sich hob Schäfers Stimmung, als er sich auf den Weg ins Kommissariat machte. Vielleicht lag es aber auch an der höheren Dosis seines Antidepressivums – egal, es ging ihm besser.

      Da er vor dem Eingang noch einmal umkehrte, um sich in der Bäckerei ein Marzipancroissant zu kaufen, erschien er eine Viertelstunde zu spät zur Morgenbesprechung. Aber manchmal sind kleine Fehler auch gut fürs gemeinschaftliche Gleichgewicht, dachte er und schaute in die Runde, die ihn freundlich begrüßte.

      Leitner hatte bei allen in Frage kommenden chemischen und pharmazeutischen Betrieben angefragt, ob irgendwo Phosphorsäure abhandengekommen sei. Negativ. Nur die üblichen Einbruchsversuche … Drogenabhängige, die sich die gestohlenen Medikamente meist noch vor Ort verabreichten und dementsprechend schnell gefasst werden konnten.

      Kovacs hatte, nachdem die Ermittlungen im Fall des ermordeten LKW-Fahrers keine neuen Ergebnisse gebracht hatten, mit den Befragungen der Anrainer in Borns Wohngegend weitergemacht. Zwei Ehepaare hatten sich über dessen politische Ansichten mehr als abfällig geäußert. Sie verachteten jede Form von Intoleranz, Rassismus und natürlich auch Gewalt – was Kovacs als ein wenig formelhaft, aber doch glaubhaft erschienen war. Bisher also kein Hinweis auf Verdächtige in der Nachbarschaft.

      Nachdem Strasser zwar jede Menge an Unterlagen gesichtet, jedoch keinerlei wertvolle Erkenntnisse gewonnen hatte, berichtete Schäfer über Borns Kontoauszüge und welche Schlüsse er daraus zog. Natürlich war es sehr spekulativ, Born nur aufgrund seines Zahlungsverkehrs zu verdächtigen, sich mit Prostituierten beliefern zu lassen; alle Ermittlungen in diese Richtung sollten sie also möglichst diskret durchführen. Die Gedanken, die er sich am Vorabend über Borns Gehirn gemacht hatte, behielt er noch für sich … in diesem selbst geschaffenen Nebel gab es noch keine Orientierung und keinen Anhaltspunkt; keinen Baum, anhand dessen Moosbewuchs er sagen konnte: Hier ist Norden, hier Süden, ihr marschiert in diese Richtung, ihr da lang. Und metaphysisches Gerede würde in der Gruppe nur zu Verwirrung und Ratlosigkeit führen. Das würde er danach mit Bergmann allein besprechen. Eine weitere halbe Stunde lang gab Schäfer die Vorgehensweise vor und teilte die Aufgabenbereiche ein. Es gab noch Dutzende Bekannte und ehemalige Politkollegen, die es zu befragen galt; Kovacs und Schreyer sollten sich daranmachen; Strasser seine Ermittlungen in Borns wirtschaftlichem Umfeld fortsetzen; Leitner im Rotlichtmilieu recherchieren.

      Bergmann teilte ihnen mit, dass sich die Beamten vom Verfassungsschutz gemeldet hätten. Sie hatten Plank noch einmal eingehend vernommen, was Schäfer mit einem leisen Fluch kommentierte. Außerdem wünschten sie sich noch vor dem Wochenende eine Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse. Er würde sich darum kümmern und bat seine Kollegen, die Dateien im Intranet rechtzeitig zu aktualisieren.

      Zurück im Büro, gelang es Schäfer nicht, sich auf den Fall Born zu konzentrieren. Dieser Berg an Informationen, bislang ohne etwas, das irgendwie ein Motiv erkennen ließ. So ähnlich hatte er sich gefühlt, als sein Bruder Jakob ihn vor Jahren wieder einmal überredet hatte, in einen Klettergarten in der Nähe von Salzburg mitzugehen. Schäfer war vor der übermächtigen Felswand gestanden, ohne Ahnung, wo er dort eine Hand oder einen Fuß hinsetzen konnte. Leck mich, hatte er trotzig gemeint, den Klettergurt abgelegt und war spazieren gegangen.

      Sah er sich eben noch einmal die Akte des LKW-Fahrers an. Manfred Schöps, geboren am 11.10.1962 in Amstetten, wohnhaft in Wien seit 1992, ledig, keine Kinder. Wohl ein einsamer King of the road, mutmaßte Schäfer und ging zu den Tatortbildern über. Der LKW stand am äußeren Rand des Parkplatzes, daneben ein verdreckter Rasenstreifen und ein paar zerzauste Büsche, die sich vermutlich ein anderes Schicksal gewünscht hatten, als zwischen Fernfahrer-Parkplatz und Schnellstraße eingezwängt zu sein. Der Täter musste in der Schlafkoje hinter dem Fahrersitz gelauert haben. Schöps hatte den Zündschlüssel schon eingeführt, als ihn die Kugel ins Genick getroffen hatte. Keine Schmauchspuren; der Schuss war aus einem halben Meter Entfernung abgegeben worden; nicht aufgesetzt, wie es ein Profi getan hätte. Schäfer versuchte, sich den Tatablauf vorzustellen: Schöps hat in der Raststation zu Abend gegessen. Er steigt in sein Fahrzeug, das er laut Zeugenaussagen kaum einmal absperrte. Wenn die Kiste wer stehlen will, steht ihm das Schloss sicher nicht im Weg, hatte Schöps die Vorwürfe seiner Kollegen wiederholt entkräftet. Außerdem: Wo willst du einen 32-Tonner so schnell verstecken? Er steckt den Zündschlüssel ein, bumm. Zwischen Rückenlehne und Hinterwand der Schlafkoje war nur gut ein Meter Platz, sah Schäfer beim Betrachten der Innenaufnahmen des Fahrzeugs. Das heißt, dass der Schütze sich aufgerichtet, an die Rückwand gedrückt und anschließend geschossen hat. Warum? Warum setzt er den Lauf nicht auf? Schäfer lehnte sich zurück und schloss die Augen. Hier war niemand am Werk gewesen, der Schöps kaltblütig aus dem Weg geräumt hatte, weil der eine Gefahr darstellte; viel eher ein Amateur, der seinem Opfer nicht näher als nötig kommen wollte; der beim Schießen vielleicht sogar die Augen geschlossen und eher zufällig schon beim ersten Mal tödlich getroffen hatte. Warum sah Schäfer jetzt das Bild einer Frau vor sich? Er griff zum Telefon und rief Kovacs an, die zwei Minuten später an seinem Schreibtisch saß.

      „Erstens: Überprüfen Sie noch einmal alle privaten Kontakte von Schöps, vor allem die weiblichen … bohren Sie nach, ob es irgendwo eine heimliche Liebschaft gegeben hat … und dann nehmen Sie sich alle anderen Fahrer der Firma vor, die mit einem gleich oder ähnlich aussehenden LKW unterwegs waren …“

      „Gut … sagen Sie mir auch, warum?“

      „Ja … beim nächsten Mal.“

      „Irgendwann geht sie Ihnen an die Gurgel“, meinte Bergmann, nachdem Kovacs den Raum verlassen hatte.

      „Wieso?“, fragte Schäfer überrascht.

      „Na, weil Sie sie ins Feld ziehen lassen, ohne sie aufzuklären, wieso und wohin …“

      „Ah … die jungen Hunde … die sollen zuerst schnüffeln und apportieren lernen und dann erst auf eine bestimmte Beute abgerichtet werden … aus Ihnen ist ja auch was geworden, oder?“

      „Was woanders ohne Sie aus mir geworden wäre, kann ich ja schlecht überprüfen …“

      „Fangen


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