Der bessere Mensch. Georg Haderer
wissen.
Auf dem Weg ins Besprechungszimmer trafen sie auf Leitner, der seinen Vorgesetzten kurz unter vier Augen sprechen wollte.
„Was gibt’s?“, wollte Schäfer wissen, nachdem er Kovacs vorausgeschickt hatte.
„Ich wollte Ihnen das sagen, bevor wir mit denen vom Verfassungsschutz zusammensitzen …“
„Was sagen?“, fragte Schäfer, worauf Leitner seinen Notizblock aufklappte.
„1997 hat ein Student namens Xaver Plank einen Säureanschlag auf Borns Auto verübt … seine Eltern haben die Sache über einen außergerichtlichen Vergleich aus der Welt geräumt.“
„Das hat Born zugelassen?“
„Vermutlich, weil Plank senior in der Partei war …“
„Na ja … zwischen Auto und Kopf ist halt schon ein ziemlicher Unterschied … aber wir werden uns den Mann auf jeden Fall vornehmen … gute Arbeit, Leitner … auch dass du das nicht gleich vor allen hinausposaunt hast …“
Die Besprechung wurde weit weniger schlimm, als Schäfer erwartet hatte. Die beiden Beamten ersuchten ihn nur, die jeweiligen Ermittlungen miteinander abzustimmen und sie über Neuigkeiten so schnell wie möglich zu informieren. Schäfer versprach ihnen bestmögliche Kooperation und sah aus dem Augenwinkel Kamp, der ihn mit einem argwöhnischen Blick bedachte. Gut, ihm konnte er nichts vormachen.
Über die Vorgehensweise, die Schäfer anschließend vorschlug, waren sich alle einig: die Befragungen fortsetzen, wirtschaftliche Verbindungen durchleuchten, politische Widersacher unter die Lupe nehmen, Borns Vergangenheit, seine Jugend, seine Ehe, seine vorherigen Beziehungen … zum Schluss erwähnte Schäfer noch die schwarze Limousine, über die Frau Born hoffentlich Aufschluss geben konnte. Allerdings wollten sie die Witwe auch nicht zu sehr bedrängen, da sie mit den Vorbereitungen für die Beisetzung und den ganzen notariellen Angelegenheiten ohnehin schon unter Druck stand.
„Wann wird die Leiche freigegeben?“, wollte Kamp wissen.
„Ich rede heute mit Koller …“
„Wir dürfen die Säure nicht außer Acht lassen“, brachte sich Bergmann ein. „So einfach ist die auch nicht zu bekommen …“
„Wir werden alle relevanten Einrichtungen dahingehend überprüfen“, meinte einer der Verfassungsschutzbeamten und machte sich eine Notiz. „Wir sollten auch noch unsere IT veranlassen, uns einen geschützten Bereich im Intranet zu verschaffen, über den wir alle Informationen laufen lassen.“
„Kümmere ich mich darum und gebe euch dann Bescheid“, erwiderte Bergmann.
Zurück im Büro, rief Schäfer den Gerichtspsychiater an. Vielleicht konnte der ihm in Bezug auf das Tatmuster und den Charakter des Mörders weiterhelfen. Sie vereinbarten, sich nach Dienstschluss zu treffen, um sieben in einem Lokal im fünfzehnten Bezirk, zwei Häuser neben der Ordination des Psychiaters. Nachdem er aufgelegt hatte, nahm Schäfer ein paar Münzen auf dem Schreibtisch und begann, sie hin und her zu schieben. Eine reduzierte Art einer systemischen Aufstellung, hatte Bergmann einmal gemutmaßt, ein Austarieren der Energiefelder, ähnlich den morphogenetischen Feldern, die der Physiker Sheldrake … keine Ahnung, war Schäfers Antwort gewesen, auf dem Tisch ist es einfacher zu verschieben als im Kopf. Er platzierte Born als Zwei-Euro-Stück in der Mitte und umkreiste es mit einem Ein-Euro-Stück. Er musste ihn betäubt haben … sonst wäre die Sauerei am Tatort viel schlimmer gewesen … oder zuvor erschossen, erschlagen, erwürgt … Schäfer griff zum Telefon.
„Koller, du lüsterner Greis … Hör zu: Wäre es möglich, dass wir es mit zwei Tätern zu tun haben? … Dass ihn einer getötet hat und dann ein zweiter … Nur ein Gedanke … Weil mir die Vorgehensweise so unlogisch erscheint … Ach, und wann? … Na gut, dann komme ich da auch nicht weiter … Danke … Ja, wasch dir die Hände davor …“
„Was ist das für eine Theorie mit den zwei Tätern?“, wollte Bergmann wissen.
„Jetzt keine gute mehr … ich habe mir überlegt, ob wir dieses paradoxe Vorgehen vielleicht ganz einfach erklären können, wenn wir von zwei Tätern ausgehen: einer, der ihn niederschlägt … und der andere, der dann mit der Säure anrückt …“
„Aber?“
„Koller ist sich ziemlich sicher, dass Born an den Einwirkungen der Säure gestorben ist … allerdings braucht es noch irgendwelche Analysen … also müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, welche Symbolik hinter dieser Hirnauslöschung steht …“
„Wenn es eine gibt …“
„Was denn sonst?“
„Eine falsche Fährte … eine absichtliche Inszenierung, um uns in die Irre zu führen …“
„Danke für die Motivation, Bergmann … hm, leider haben Sie recht. Das müssen wir in Betracht ziehen … wann sind Sie heute bei Frau Born?“
„Um zwei …“
„Vergessen Sie bitte nicht, sie nach dem schwarzen Mercedes zu fragen … und wann genau sie in den letzten Monaten in ihrem Landhaus war …“
„Hab ich mir schon notiert …“
„Sie sind ein Genie … ich gehe jetzt zur Spurensicherung, um mir Borns Pornosammlung anzusehen …“
„Viel Spaß“, erwiderte Bergmann und Schäfer war sich nicht sicher, ob er den anzüglichen Unterton in Bergmanns Stimme hineininterpretiert hatte oder nicht. Eher schon; sie hatten beide schon genug entsprechendes Material gesichtet, um zu wissen, dass sich dabei so gut wie nie auch nur ein Funken Erotik entzündete. Schäfer wollte sehen, was Born gesehen hatte. Rechtsextreme, Reaktionäre, Faschisten, Fundamentalisten … in den meisten Fällen verbargen sie in einem dunklen Winkel genau das, wogegen sie wetterten, wovor sie sich fürchteten, was sie aufregte und manchmal auch erregte.
Er holte sein Fahrrad aus der Tiefgarage und kettete es zehn Minuten später vor den Laboren der Spurensicherung an einen Laternenpfahl. Auf der Treppe in den ersten Stock begegnete er einem Biochemiker, den er seit gut zehn Jahren kannte und der ihn bei jedem Aufeinandertreffen ansah, als sei ihm sein Gegenüber völlig fremd. Wenn er es nicht wieder vergaß, wollte er den Gerichtspsychiater später zu diesem Phänomen befragen. Im Arbeitsraum der Forensiker roch es nach Strom, Chemie und Männern.
„Wollt ihr nicht einmal ein Fenster aufmachen, ihr Zombies?“ Schäfer trat hinter einen der Anwesenden, der gleichzeitig auf vier Bildschirmen arbeitete.
„Schäfer, du Kriminalfossil … was glaubst du, warum es in einem forensischen Labor eine spezielle Lüftung gibt, hä? Sporen, Verunreinigungen … sei froh, dass wir so was wie dich hereinlassen.“
„Jaja … also, wo sind die blonden Busenbomber in den SS-Uniformen?“
„Nichts dergleichen“, meinte der Techniker und zog einen Laptop heran, „da, dieser Ordner … da hinten ist ein freier Tisch, wo mein vierjähriger Sohn ab und zu sitzt … da kannst du nichts anstellen …“
Schäfer nahm den Laptop und setzte sich an den ihm zugewiesenen Schreibtisch. Nachdem er die ersten paar Bilddateien durchgesehen hatte, konnte er nicht anders als lachen. Born, der in unzähligen Ansprachen die Umvolkung der Österreicher wie ein Damoklesschwert über dem Land hatte pendeln lassen, stand offensichtlich auf Afrikanerinnen. Was Aussehen und Alter betraf, dürfte er nicht wählerisch gewesen sein: Korpulente Fünfzigjährige fanden sich auf der Festplatte ebenso wie gazellenhafte Frauen im jüngeren Alter. Ob eine der Abgebildeten minderjährig war, konnte Schäfer nicht beurteilen; doch als pädophil wollte er Born auf keinen Fall bezeichnen. Auch die gut fünfzig Filme waren vergleichsweise harmlos und, nach dem jeweiligen Vorspann zu urteilen, legal erhältlich. Also nichts, was sich nicht irgendwann auch auf den Festplatten so gut wie jeden geschlechtsreifen Mannes fand.
„Was ist mit seinem E-Mail-Verkehr?“, rief er seinem Kollegen zu.
„So gut wie gar nichts … diesbezüglich hat er wirklich noch zur alten