Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


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was anderes, aber … Behaupte ich auch gar nicht … Aber im Vergleich zu den Jugendlichen, die ich hier so mitbekomme, fällt Lisa in die Kategorie brav bis spießig … Also mach dir nicht zu viele Sorgen … Ja, ich rede mit ihr, versprochen … Na dann, entspannten Dienst noch und bau keinen Kunstfehler … Grüß Lisa von mir … Und natürlich auch Monika … Servus.“

      Schäfer legte das Telefon weg und musste über die Sorgen seines Bruders lächeln. Wenn alle Mädchen in diesem Alter so wie Lisa wären, müsste man sich keine Sorgen um die Zukunft der Welt machen. So liebenswürdig, feinfühlig und großzügig – wenn er selbst je eine Tochter bekäme, würde er sich wünschen, dass sie so wie Lisa wäre. Er ging in die Küche und durchsuchte die Anrichte nach Schokolade oder anderen Süßigkeiten. Nichts. Wo war denn die Familienpackung Mannerschnitten hingekommen, die er vor ein paar Tagen gekauft hatte? Er zog das T-Shirt hinauf, packte mit beiden Händen das Fettgewebe unterhalb seines Nabels zwischen Daumen und Zeigefinger und zog daran. Er musste wirklich Obacht geben.

      5.

      Den Kopf umwölkt von den Traumresten einer unruhigen Nacht, erschien Schäfer im Kommissariat. Sollte er seinem Therapeuten am Nachmittag von der Ausstellung auf der Baumgartner Höhe erzählen? Dass er sich freiwillig gemeldet hatte, die Schulklasse dorthin zu begleiten? Sie sollten sich nicht noch zusätzlich zu ihrer Arbeit dem Schrecken des Todes aussetzen – etwas in der Richtung würde ihm der Therapeut vorwerfen, zu dem er inzwischen nur mehr alle zwei Wochen ging. Was sollte er denn tun? Nicht hinsehen war auch eine Form der Wiederbetätigung, wie Bergmann treffend bemerkt hatte. Außerdem hing doch alles zusammen: die Mörder und ihre Opfer, die eine Grausamkeit mit der anderen; und wenn man den Tod einmal zum Reiseleiter gewählt hatte, musste man sich nicht über die Orte wundern, an die er einen führte. Er warf dem Psychiater ja auch nicht vor, dass er sich ständig mit Irren umgab.

      Als er gerade dabei war, die Gruppe zur Morgenbesprechung zusammenzurufen, rief Kamp an. Er solle noch eine halbe Stunde warten; zwei Männer vom Verfassungsschutz würden vorbeikommen, da ein politisches Motiv nicht auszuschließen sei.

      „Großartig … das heißt dann wieder einmal, dass wir jeden Schritt mit ihnen abstimmen dürfen und doppelt so lange für alles brauchen“, raunte Schäfer Bergmann zu.

      „Vielleicht nehmen sie uns auch Arbeit ab …“, erwiderte Bergmann gelassen, weil er wusste, dass sein Chef noch nie mit irgendjemand anderem jeden Schritt seiner Arbeit abgestimmt hatte.

      „Sie nehmen uns Arbeit weg und finden das heraus, was sie herausfinden wollen …“

      „Sie fürchten, dass uns Mugabe wieder hineinpfuscht …“

      „Genau“, gab Schäfer mürrisch zu. Zwischen dem Polizeipräsidenten und ihm gab es ein stilles Abkommen, sich nicht mehr als nötig zu befehden. Beide hatten sich in jüngster Vergangenheit ein paar Fehltritte geleistet, die – einmal publik gemacht – mit ihren Ämtern nicht vertretbar wären. Dabei sah Schäfer seine eigenen Entgleisungen natürlich als den Zweck heiligende Mittel, die letztendlich dazu geführt hatten, zwei Mörder zu überführen. Und der Polizeipräsident, der den renitenten Schäfer allzu gerne in die Provinz versetzt hätte, war von diesem leider mit einem der beiden Täter beim Abendessen gesehen worden. Ob die Bekanntschaft mit dem obersten Exekutivbeamten des Landes einem Mörder geholfen hatte, so lange unentdeckt zu bleiben? Dafür hatte Schäfer gar nicht erst nach Beweisen gesucht. Ein Anruf bei der Presse und der Polizeipräsident wäre aus seinem imperialen Büro katapultiert worden wie ein Kampfpilot aus einer abgeschossenen Mig. So hatten sie es bei dieser Pattstellung belassen, und wenn Mugabe wieder einmal an Schäfers Bauern rüttelte, knurrte der genauso grimmig wie jener, wenn ihm der Major an den Turm pinkelte.

      Ein Kollege von der Spurensicherung hatte ihm ein E-Mail mit dem Betreff „Borns Porn“ geschickt. Sie hatten den Laptop des Mordopfers durchsucht und waren auf eine ansehnliche pornografische Sammlung gestoßen – allerdings unbedenklichen Inhalts, wie es der Beamte formulierte: keine Kinder, keine Tiere, keine realen Gewaltszenen. Glück gehabt, sagte sich Schäfer, und dachte dabei weniger an die Ermittlungen als vielmehr an seinen Kollegen, der ebenfalls in therapeutischer Behandlung war, weil ihn das, was er regelmäßig auf konfiszierten Computern fand, in tiefe Verzweiflung gestürzt hatte.

      Eine halbe Stunde vor dem Besprechungstermin suchte Schäfer Kovacs in ihrem Büro auf.

      „Haben Sie mir wenigstens eine Flasche Roten mitgebracht von Ihrem Ausflug ins schöne Burgenland?“, begrüßte er sie halb vorwurfsvoll.

      „Verbotene Geschenkannahme“, erwiderte Kovacs trocken, rückte vom Schreibtisch weg und holte eine Papiertasche zwischen ihren Füßen hervor, die sie Schäfer hinhielt. „Intensive rotbeerige Nase, Anklänge von Blutorangen, Veilchen und etwas Waldboden … den Rest habe ich vergessen …“

      „Ah“, meinte Schäfer überrumpelt, nahm die Tasche entgegen und ignorierte das dümmliche Grinsen von Schreyer, der sich von seinem Bildschirm gelöst hatte und ihnen nun seine gesamte Aufmerksamkeit widmete. „Also … ja … danke. Und die Arbeit? Was haben Sie gemacht da unten?“

      Kovacs drehte ihren Sessel zu Schäfer hin und kaute auf ihren Lippen. Dann griff sie zu einem Schnellhefter und reichte ihn Schäfer, der pro forma darin herumzublättern begann.

      „Vor zwei Jahren hat der Mann mit seinem LKW ein kleines Mädchen überfahren … sie war sofort tot … die Mutter ist mit dem Tod ihrer Tochter nicht fertiggeworden und seitdem die meiste Zeit in der Psychiatrie …“

      „Rache also“, schloss Schäfer und legte die Dokumente zurück auf den Schreibtisch. „Und wer?“

      „Weiß ich nicht … die Verwandten der Frau leben in der Nähe von Oberwart … nach dem Unfall ist sie dorthin zurückgegangen und hat eine Zeitlang bei ihren Eltern gelebt … bis es nicht mehr gegangen ist …“

      „Bruder, Vater, Onkel“, trieb Schäfer sie an, „lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen …“

      „Von den männlichen Verwandten kann es keiner gewesen sein … die haben alle ein Alibi … außerdem ist der LKW-Fahrer nie verurteilt worden, weil die Kleine ohne zu schauen mit ihrem Roller auf die Straße gefahren ist … der war ja völlig fertig …“

      „Scheiße, so was … aber warum sind Sie dann überhaupt dorthin?“

      „Weil wir sonst nichts finden“, gab Kovacs zu. „Der Mann hat bei seinen Kollegen den Spitznamen Samariter gehabt … gutmütig, hilfsbereit, keine Drogen, keine Prostituierten, kein Glücksspiel …“

      „Nichts, von dem wir wissen … der Täter hat ihm zwar alle Wertsachen gelassen, aber das heißt nicht, dass es nichts gegeben hat, das für ihn wertvoll war …“

      „Was zum Beispiel?“

      „Keine Ahnung … irgendetwas Belastendes … ein Foto … ich weiß es nicht … vielleicht war er Zeuge von irgendeinem anderen Verbrechen … zur falschen Zeit am falschen Ort … kommen Sie jetzt … Schreyer, hast du schon was über die Telefonnummer herausgefunden?“

      Schreyer sah Schäfer aus schwarzgeränderten Augen an, deren Lider auf Halbschlaf standen.

      „Nichts bis jetzt … und es wird wahrscheinlich auch nicht viel werden. Das Handy ist erst vor vier Wochen gekauft worden.“

      „Hast du die Nacht durchgearbeitet?“

      „Hmh … kann man so sagen …“

      „Sehr fleißig … dann nimm dir jetzt eine Decke und leg dich in irgendeinen Park …“

      „Ich will aber in keinem Park schlafen … wie sieht denn das aus …“

      „Na von mir aus, such dir eine Couch oder geh nach Hause … vor zwei will ich dich hier jedenfalls nicht mehr sehen.“

      Dass Schäfer dem Inspektor eine Ruhepause befahl, war nur zur Hälfte seiner Sorge um dessen Wohlergehen geschuldet. Wie viele andere geistige Grenzfälle lief Schreyer nämlich gerade in Zeiten völliger Übermüdung zu


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