Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


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nein, wo denken Sie hin“, antwortete sie und ging in den Salon voraus. „Darf ich Ihnen etwas anbieten, Herr …“

      „Schäfer … nur ein Glas Wasser … das wäre sehr nett.“

      „Con gas o senza gas?“, fragte sie und entfernte sich auch schon.

      „Ganz egal“, antwortete Schäfer und fragte sich, was die Frau dazu bewog, in ihrer eigenen Wohnung Stöckelschuhe und unzenweise Goldschmuck zu tragen.

      „Hier bitte.“ Sie stellte ihm das Glas hin, setzte sich und legte die Hände über Kreuz.

      „In den letzten Wochen …“, begann Schäfer und drückte die Mine aus seinem Druckbleistift, „ist da hier in der Gegend irgendetwas Ungewöhnliches passiert … in der Art, dass Sie länger darüber nachgedacht haben oder vielleicht sogar jemandem davon erzählt haben?“

      „Bei Familie Possnigg … in der Villa schräg gegenüber“, meinte sie nach einer längeren Pause, „ist vor zwei Wochen der Alarm ausgelöst worden … das hat sich allerdings als technischer Defekt herausgestellt … ansonsten … nicht, dass ich wüsste …“

      „Und irgendwelche Dinge, die Ihnen vielleicht vor Monaten oder sogar Jahren zu denken gegeben haben … über die Sie mittlerweile nicht mehr nachdenken?“

      „Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Inspektor.“

      „Na ja … dass Sie sich einige Male über etwas im Umfeld der Familie Born gewundert haben … und weil es keinerlei negative Konsequenzen oder Überraschungen gab, haben Sie es einfach hingenommen, ohne weiter darüber nachzudenken … eine Ihnen fremde Person, die immer wieder in der Nähe war oder die Borns besucht hat … etwas, das von der alltäglichen Routine abwich …“

      „Eine dunkle Limousine“, erwiderte sie zu Schäfers Überraschung, „ein schwarzer Mercedes oder BMW, wenn ich mich recht erinnere … den habe ich immer wieder einmal durch das Tor fahren sehen … wahrscheinlich ein Politfreund … ich habe nie jemanden erkannt, da die Scheiben sehr dunkel waren …“

      „Können Sie sich an ein Kennzeichen erinnern?“

      „Es muss ein Wiener oder ein Diplomatenkennzeichen gewesen sein … alles andere hätte ich mir bestimmt gemerkt …“

      „Wie eng war Ihr Kontakt zu Hermann Born beziehungsweise zu seiner Frau? Haben Sie miteinander gesprochen oder sich regelmäßig getroffen?“

      „Ich würde es als Nachbarschaft comme il faut bezeichnen.“ Die Frau rutschte ein wenig nach links und zog ihren Rock zurecht. „Wenn wir einen Empfang gegeben haben, waren sie zumeist eingeladen … es sei denn, es hat sich um den engen Familienkreis gehandelt … aber das als Freundschaft zu bezeichnen, so weit würde ich nicht gehen.“

      Schäfer machte sich Notizen und suchte in ihrem fast maskenhaften Gesicht nach Zeichen von Anspannung oder Erregung. Wobei: Die alte Schule des Mimiklesens, das Erkennen von unwillkürlichen Bewegungen der Lippen, Augenbrauen oder Nasenflügel – sie wurde mehr und mehr zum Zufallsspiel, seit Lifting, Botox und Tranquilizer zum weiblichen Standardtuning gehörten und die Gesichtsmuskulatur sich von den Emotionen emanzipiert hatte.

      „Wie ist man denn hier in der Nachbarschaft Herrn Borns politischer Arbeit und seinen Ansichten gegenübergestanden?“

      „Ach, Herr Inspektor … Politik ist Politik und Schnaps ist Schnaps, wenn ich das so burschikos formulieren darf … sehen Sie: Mein Mann war selbst lange Zeit im Ministerium, allerdings bei den Sozialdemokraten … und bis auf ein paar kleinere Scharmützel wurde das immer eher sportlich gesehen.“

      Nach einer Dreiviertelstunde entschied sich Schäfer dafür, die Befragung zu beenden. Ihm war heiß und seine Konzentration ließ nach. Er trank sein Glas leer, bedankte sich bei Frau Varga für ihre Mithilfe und verabschiedete sich. Bevor er ans nächste Interview ging, setzte er sich auf eine Bank im Schatten einer riesigen Ulme, um die eben erhaltenen Informationen zu überdenken und seine Mitschrift zu ordnen. Eine schwarze Limousine … dass so etwas in dieser Gegend hier überhaupt auffiel … bei einem alten Opel, ja … Schäfers Telefon unterbrach seinen Gedankenfluss.

      „Bergmann, was ist? … Ich mache gerade eine Nachdenkpause … Und? Haben Sie den Anrufer ermittelt? … Ich hasse Wertkartenhandys … Ja … Sicher … Hat die Spurensicherung irgendwas Neues? … Bis jetzt nicht wirklich. Eine schwarze Mercedeslimousine mit getönten Scheiben soll immer wieder mal bei der Einfahrt hinein … Was die Born betrifft: Zu der haben Sie sicher den besseren Draht. Können Sie die nochmals befragen? … Sehr gut … Na ja, ihre Nachbarin hat auch das Landhaus am Semmering erwähnt, in dem Frau Born die letzten paar Tage war … Ich möchte wissen, wann sie in den letzten Monaten nicht in Wien war … Da fällt Ihnen schon etwas ein, Sie sind ja eh so diskret … Was treibt die Knechtschaft? … Sehr gut … Nein, im Moment fällt mir nichts ein … Laufen? … Ja, gerne … Muss ich eigentlich nicht, Sie können mich direkt zu Hause abholen … Gut, bis später, Bergmann.“

      Schäfer drückte auf die Abbruchtaste und legte sein Handy auf die Bank. Born hatte einen Anruf erhalten; etwa drei bis vier Stunden vor seinem Tod, von einem Wertkartentelefon mit österreichischer Nummer. Natürlich musste das nichts heißen, aber sie würden den Anrufer ermitteln müssen. Eine Aufgabe, in die sich Schreyer verbeißen konnte, dachte Schäfer und stand auf, um zur Villa gegenüber zu gehen.

      Kurz vor sieben beschloss er, genug geleistet zu haben. Fünf Befragungen, dazu drei Nachbarn, die er wohl am nächsten Tag aufsuchen musste, da sie nicht zu Hause gewesen waren. Die Antworten, die er erhalten hatte, waren fast auffällig deckungsgleich. Niemand wollte Born etwas Schlechtes nachsagen, keiner konnte sich erklären, wer zu so einer Tat fähig sei … die Diskretion, mit der Schäfer in den vergangenen Stunden konfrontiert gewesen war, ähnelte schon der Verschwiegenheit, auf die er in der Wiener Unterwelt immer wieder stieß. Dennoch: Immerhin zwei der Befragten gaben auf seine Nachfrage an, dass ihnen die schwarze Limousine aufgefallen war, konnten aber keine genaueren Angaben dazu machen. Hoffentlich würde ihm Borns Witwe darüber Klarheit verschaffen können – zu viele unbekannte Variablen machten Schäfer nervös.

      Er stieg in den Wagen, fuhr bis zur nächsten Umkehrmöglichkeit und machte sich auf den Nachhauseweg. Als er auf dem Gürtel im Stau stand, überlegte er, ob er nicht doch ins Kommissariat fahren sollte, um mit seinen Mitarbeitern die ersten Ermittlungsergebnisse zu besprechen. Doch dann würde er das Laufen streichen müssen. Schauen Sie auf sich, hatte ihm sein Therapeut geraten. Schäfer bog vom Gürtel ab und parkte zwanzig Minuten später vor seinem Wohnhaus.

      4.

      Kurz vor acht läutete Bergmann an der Haustür. Schäfer bat ihn herauf, da er sich noch nicht fertig umgezogen hatte. Während er im Wäschekorb nach einem halbwegs sauberen Laufdress suchte – wann würde er sich endlich eine Putzfrau suchen? –, wärmte sich Bergmann im Vorraum mit Dehnungsübungen auf.

      „Das werden Sie auch nötig haben“, meinte Schäfer und schnupperte an einem zumindest äußerlich sauberen T-Shirt, „letztes Mal sind Sie ja ganz schön eingegangen.“

      „Schlechten Tag gehabt“, entgegnete Bergmann mit angespannter Miene, „heute überrunde ich Sie.“

      „Wenn ich Ihnen eine Runde Vorsprung gebe, vielleicht.“ Schäfer schob seinen Assistenten aus der Wohnung und versperrte die Tür.

      Auf der Fahrt zu den Steinhofgründen tauschten sie sich über die Ermittlungsergebnisse aus, die noch nicht einmal im Ansatz auf einen Verdächtigen hinwiesen. Schreyer war auf die Telefonnummer angesetzt, Strasser wühlte sich durch Borns Geschäftsverbindungen, Leitner war mit Befragungen beschäftigt. Gab es irgendwelche Ergebnisse von den Forensikern oder aus der Gerichtsmedizin?

      „Nichts, was auf ein gewaltsames Eindringen hinweist … die Alarmanlage war deaktiviert, die Kameras ebenfalls … sieht tatsächlich so aus, als hätte Born seinen Mörder freiwillig ins Haus gelassen. Von Koller ist noch nichts Neues gekommen …“

      „Verstehe … da vorne ist ein Parkplatz frei …“

      Bergmann


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