Der bessere Mensch. Georg Haderer
beide?“
„Mit dem Fall, Sie Esel … Entschuldigung.“
„Ach so … die Überprüfung der Telefonate habe ich veranlasst, Kovacs hat mit den Nachbarn begonnen …“
„Gibt’s eigentlich Personal?“
„Eine Putzfrau, die dreimal die Woche kommt … eine Köchin, die sie bei Bedarf bestellt … und den Gärtner.“
„Schön“, meinte Schäfer und winkte den Kellner heran, um die Rechnung zu verlangen, „dann setzen wir uns jetzt mit der gesamten Knechtschaft zusammen und besprechen, wer morgen was zu tun hat … Säure … so ein Arschloch …“
Er stand auf, griff in seine Hosentasche, holte eine Handvoll Kleingeld heraus und legte dem Kellner den genauen Betrag auf den Tisch. Der strich die Münzen kommentarlos in seine Geldtasche, räumte den Tisch ab und ging wieder.
„Arschlochservice“, murmelte Schäfer und ging mit dem kopfschüttelnden Bergmann im Schlepptau zum Wagen.
Auf dem Weg ins Kommissariat drückte Schäfer am Autoradio herum, um herauszufinden, ob irgendein Sender den Mord schon in den Nachrichten hatte. Er kam nur bis zu einem Lied von Johnny Cash, das er auf keinen Fall abwürgen wollte. Take this weight from me, let my spirit be unchained. Auch gut – dass die Medien zu spät von der Sache Wind bekamen, musste er ohnehin nicht befürchten. Plötzlich prasselten dicke Regentropfen auf die Windschutzscheibe. Bergmann drückte ungerührt den Hebel für die Scheibenwischer nach oben, während Schäfer erstaunt in den Himmel blickte. Seltsames Wetter für Ende Juni. Grauweiße Wolken, die hastig nach Süden flohen, die Stadt im Wechselspiel mit der Sonne in ein launisches Schattenspiel tauchten, immer wieder ein wenig Regen abschüttelten, als ob es nur darum ginge, auf sich aufmerksam zu machen.
„Ist ja wie im April“, sagte Schäfer zum Seitenfenster und drehte seinen Kopf auf der Suche nach einem Regenbogen.
„Hm“, machte Bergmann und bog auf den Gürtel ein, „wenigstens nicht so heiß.“
Da konnte Schäfer ihm nur zustimmen. Bis jetzt waren sie mit Ausnahme von zwei Tagen von Temperaturen über dreißig Grad verschont geblieben. Und wenn es nach ihm ging, konnte es den ganzen Sommer so bleiben. Denn ebenso launisch wie er auf Hitze reagierte, missfielen ihm klimatisierte Räume; und in feuchte Leintücher gehüllt nach Mördern zu jagen, war auch keine Lösung.
Bergmann hupte den Kleinbus eines Paketdienstes an, der die Einfahrt zur Tiefgarage verstellte. Der Mann im Führerhaus schrieb unbeeindruckt in seiner Mappe weiter. Erst als Schäfer „Weg da, du Penner!“ aus dem Fenster schrie und für ein paar Sekunden Blaulicht und Sirene einschaltete, entschuldigte sich der Fahrer mit einer Geste und suchte sich einen anderen Parkplatz.
Auf dem Weg ins Büro rief Schäfer seine Kollegen zusammen und ersuchte sie, in zehn Minuten in den Besprechungsraum zu kommen. Er wollte ihnen einen kurzen Überblick verschaffen, bevor er Kamp über den Fall aufklärte. Sosehr er den Oberst schätzte – aber die Jahre in der Führungsriege und der daraus resultierende ständige Kontakt mit dem Innenminister und anderen polizeifremden Funktionären hatten Kamp unweigerlich infiziert. Manchmal verlor er seinen kriminalistischen Blick und fing an, politische Interessen in die Ermittlungsarbeit einzubringen. Schäfer ärgerte sich oft darüber – andererseits schützte Kamp die Gruppe auch so gut es ging vor diesen Politsoldaten; dafür war Schäfer bereit, ihm einiges nachzusehen, und nannte seinen Hochmut Großmut.
Er füllte den Wassertank der Espressomaschine, ließ zwei kleine Tassen volllaufen und stellte Bergmann eine davon ungefragt auf den Schreibtisch. Rauchen wäre jetzt gut, dachte er, während er mit dem Kaffee in der Hand aus dem Fenster schaute. Mit den Tabletten wird Ihnen das Aufhören leichter fallen, hatte sein Therapeut gemeint. Serotonin und Dopamin und irgendwas mit dem Belohnungszentrum in seinem Gehirn, das auch für sein Suchtverhalten verantwortlich sei. Aber wie sollte die Belohnung, die er für jede Zigarette, die er nicht rauchte, bekam, mit dem Genuss des Rauchens mithalten?
„Sie haben nicht zufällig irgendwo eine Zigarette herumliegen?“
Bergmann schaute ihn nur schelmisch an und hob scheinbar bedauernd die Schultern.
„Na gut … dann starten wir die Maschinen.“
Kovacs, Schreyer sowie Gruppeninspektor Leitner, der erst seit Kurzem zu Schäfers Gruppe gehörte, waren bereits anwesend.
„Wo ist Strasser, der stinkende Affe?“, blaffte Schäfer in die Runde, worauf Schreyer in ein gackerndes Lachen ausbrach.
„Was ist so komisch?“ Schäfer schaute den Inspektor erstaunt an.
„Nichts … nur dass …“
„Auf der Uni“, antwortete Bergmann.
„Was macht er da?“
„Seinen BWL-Abschluss … und das nicht erst seit gestern …“
„Na gut, ’tschuldigung.“ Schäfer trat an die Wandtafel. „Also: das Mordopfer heißt Hermann Born … ich muss Ihnen ja nicht erklären, wer das ist, besser gesagt war … ehemaliger Obmann unserer weitum geschätzten Nationalpartei … Kurzzeitminister, den ein Verfahren wegen Wiederbetätigung zu Fall gebracht hat … das macht die Suche nach Motiven einfach, und die Suche nach Tätern umso umfangreicher … außerhalb der rechten Wählerschaft war ihm wohl keiner sehr zugeneigt … was uns weiterhelfen kann bei unseren klassischen großen W …“
„Welche W?“, wollte Schreyer wissen.
„Gott, Schreyer … wer, wo, was, wie, warum … das ist doch während der Ausbildung sicher schon einmal gefallen, oder?“
„Jetzt, wo Sie es sagen …“
„Gut … also das Wie: Born wurde nach den bisherigen Erkenntnissen entweder durch Phosphorsäure getötet oder zuvor ermordet und dann mit der Säure übergossen … warum auch immer … aber das ist eine Vorgangsweise, die den Täterkreis auf jeden Fall einschränkt. Ich werde einen Gerichtspsychiater ins Boot holen, der uns da weiterhilft … aber ich greife vielleicht schon zu weit vor. Morgen steht natürlich die weitere Befragung der Nachbarn, Verwandten und Bekannten an. Außerdem wird uns Borns Ehefrau alle noch auffindbaren Drohbriefe geben, die ihr Mann bekommen hat … das wird erst einmal viel Laufarbeit und Materialsichtung … ich werde mir heute noch überlegen, wen ich wo einsetze … auf jeden Fall brauchen wir jemanden, der sich in wirtschaftlichen Dingen auskennt. Born hat meines Wissens wie die meisten seiner Art einige Aufsichtsrats- und Vorstandsposten und Beteiligungen gehabt …“
„Da wäre Strasser doch genau der Richtige“, meinte Bergmann.
„Stimmt … außerdem hat er gute Kontakte zu den Schwarzen … die werden ihm sicher weniger Prügel in den Weg legen, als sie es bei uns täten …“
„Steine“, unterbrach Schreyer Schäfers Ausführungen.
„Was?“
„Ähm … Sie haben ‚Prügel in den Weg legen‘ gesagt … aber eigentlich heißt es ‚Steine in den Weg legen‘ …“
„Schreyer! Jetzt schicke ich dich dann zum Drogentest … sei von mir aus bei deinen Recherchen pedantisch, aber lass mir meine Phrasen … also, wo war ich?“
„Dass Strasser sich um Borns Geschäfte kümmern soll“, half ihm Kovacs weiter.
„Genau … dann werden wir natürlich auch die Autonomen durchleuchten müssen … und wenn es nur der Vollständigkeit halber ist …“
„Was ist mit den … also mit jüdischen Verbindungen?“, brachte sich Leitner ein.
„Puh“, stieß Schäfer einen Seufzer aus, „liegt natürlich irgendwie auf der Hand … aber da müssen wir uns eine sehr sensible Herangehensweise überlegen … da stehen die Fettnäpfe dicht an dicht … auch wenn man das laut Duden so nicht sagt, Kollege Schreyer … ich werde jedenfalls heute noch mit Oberst Kamp reden und morgen treffen wir uns um acht Uhr wieder …“