Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


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mir nichts davon erzählt … das hat sich auch beruhigt, seit er nicht mehr in der vordersten Reihe sitzt …“

      Schäfer ging zum Eingang der Laube, räusperte sich, nachdem weder Bergmann noch Frau Born von ihm Notiz genommen hatten, und stellte sich der Frau vor.

      „Angesichts der Umstände“, bemühte sich Schäfer, dem brutalen Mord ein sachliches Gewand umzuhängen, „also dass wir es hier mit einem Raub zu tun haben, ist sehr unwahrscheinlich. Auf den ersten Blick gibt es auch keine Einbruchspuren … möglicherweise hat Ihr Mann den Täter sogar selbst ins Haus gelassen.“

      Frau Born sah Bergmann an, als erwarte sie eine Übersetzung dessen, was Schäfer eben gesagt hatte.

      „Gibt es Bekannte, Freunde, Verwandte, die Ihren Mann regelmäßig besucht haben?“, fuhr Bergmann fort.

      Die Frau tupfte sich mit einem Taschentuch die zerflossene Wimperntusche von den Wangen, schnäuzte sich mit abgewandtem Gesicht und schüttelte den Kopf.

      „Ein paar alte Parteifreunde … Alfons, sein Schachpartner … unsere Tochter … aber die hat sich schon seit einem halben Jahr nicht blicken lassen …“

      „Wäre es Ihnen möglich, eine Liste aufzustellen mit allen Personen, die Ihnen einfallen?“

      „Selbstverständlich“, antwortete sie und starrte auf die Tischplatte, bis das Läuten ihres Handys sie aus ihren Gedanken riss. Sie stand auf und stellte sich mit dem Rücken zu den beiden Beamten an das Holzgeländer der Laube. Schäfer sah seinen Assistenten an, hob das Kinn und zog die Augenbrauen hoch, was Bergmann als Frage nach neuen Informationen interpretierte und den Kopf schütteln ließ. Schäfer, der eigentlich wissen wollte, ob die Frau glaubwürdig war, versuchte nun, dem Telefongespräch zu folgen, konnte aber nur ein paar Satzfetzen aufschnappen. Ja … nein … gerade hier … nicht da … zum Glück … ja … beim Pavillon. Als Frau Born auflegte, zerrieb Schäfer gerade ein paar weiße Blüten in seiner Hand, gedankenlos von einem kleinen Strauch gerupft, der in einem Terrakottatopf neben ihm stand. Ein starker Duft stieg ihm in die Nase. Hm, wie der Tee im China­restaurant, dachte er und warf die Blütenreste verlegen in die Wiese, nachdem ihm Frau Born einen verständnislosen Blick und das Wort „Jasmin“ zugeworfen hatte.

      „Meine Schwester … sie ist auf dem Weg hierher … wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne …“

      „Natürlich“, erwiderte Bergmann im Aufstehen und reichte ihr mit einer leichten Verbeugung die Hand, „wir melden uns bei Ihnen. Und sollte Ihnen inzwischen …“

      „Dann rufe ich Sie an, selbstverständlich, Herr Inspektor“, meinte sie beherrscht, begleitete sie ein paar Schritte in Richtung Haus und blieb dann wie angewurzelt stehen. Schäfer und Bergmann hielten ebenfalls inne, wandten sich ihr zu und kauten unschlüssig auf den Lippen. Einen Augenblick später löste sich Frau Born aus ihrer Erstarrung und fiel ihrer Schwester in die Arme, die, von den beiden Polizisten unbemerkt, über den Rasen gekommen und auf sie zugetreten war. Theater, ging es Schäfer durch den Kopf, der sich nicht vorstellen konnte, dass hinter diesem Chanel-, Hermes- und Perlenpanzer echte Gefühle wohnten.

      Er drehte sich um und deutete Bergmann mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Während sie zur Vorderseite der Villa gingen, nahm er sein Handy heraus und rief den Gerichtsmediziner an, der sich im Haus aufhielt. Es sprach nichts dagegen, dass sie die Wohnung betraten. Zur Sicherheit sollten sie aber eine Schutzmaske aufsetzen. An der Eingangstür hantierte einer der Forensiker. Schäfer wechselte ein paar Sätze mit ihm und lieh sich dann dessen Maske aus. Bergmann solle inzwischen draußen warten und Kovacs anweisen, mit dem anderen Polizisten die ersten Nachbarn zu befragen.

      Umständlich stülpte Schäfer die Gasmaske über – zum letzten Mal hatte er so ein Ding wohl beim Bundesheer getragen – und trat in den Vorraum, der mit seinen geschätzten vierzig Quadratmetern eher den Namen Atrium verdiente. Ein erster Eindruck zeugte von einem offen ausgetragenen Geschmackskonflikt der Eheleute: An den Wänden wechselten sich goldgerahmte Landschaftsbilder in freudlosen Ölfarben mit großformatigen abstrakten Gemälden ab, der Treppenaufgang in den Oberstock wurde begleitet von Rotwildgeweih und afrikanischen Stammesmasken. Schäfer ging in Richtung Esszimmer, stolperte über ein paar Regenstiefel und konnte sich gerade noch an einer massiven Eichenholzkommode abfangen. Das mit dem eingeschränkten Blickfeld war noch in den Griff zu bekommen. Er querte das Esszimmer, Silberkandelaber auf dem Tisch, wurde wahrscheinlich nur bei größeren Empfängen als solcher genutzt, und betrat das Wohnzimmer, wo Borns Leichnam immer noch neben dem Lederfauteuil in der Position auf dem Boden lag, in der ihn Schäfer zuvor gesehen hatte. Wie ein übergroßer Heiligenschein hatte die Säure rund um die breiigen Reste des Kopfs das Parkett weggeätzt und war bis auf den Estrich durchgedrungen. Teufelszeug, murmelte Schäfer. An der Terrassentür machte sich ein Beamter der Spurensicherung mit einer durchsichtigen Plastikfolie zu schaffen, Koller, der Gerichtsmediziner, hatte den Tatort offenbar schon verlassen. Schäfer schritt langsam den Raum ab. Vor dem offenen Kamin stand eine Sitzgruppe aus weißem Leder, dazwischen ein Couchtisch aus naturbelassenem Buchenholz, auf dem ein Stapel Magazine lag und eine Vase mit weißen Pfingstrosen stand. Bevor er das Anwesen verließ, musste er noch den Gartenschlauch nehmen und die Blumen von seinem Erbrochenen säubern, sagte er sich, während er die Wände entlangging. Hier hatte offensichtlich der Hausherr bei der Dekoration das letzte Wort gehabt: zahlreiche Fotos und gerahmte Zeitungsausschnitte, Born mit ehemaligen Machthabern aus Politik und Wirtschaft, mit den Altherren seiner rechtsextremen Burschenschaft, bei Wahlveranstaltungen, dazu nicht nur die einschlägigen Lobhuldigungen aus parteinahen Zeitungen, sondern auch Artikel, die mit dem ehemaligen Obmann hart ins Gericht gingen: Antisemitismus, Rassismus, Volksverhetzung, Wiederbetätigung, kaum eine rechte Schandtat, derer Born von der Presse nicht beschuldigt worden war. Warum hängte sich jemand so etwas an die Wand? Viel Feind, viel Ehr – ein Wahlspruch, den Schäfer auf einem Bierkrug entdeckte, der neben anderen fragwürdigen Devotionalien in einem Kasten hinter einer Glastür stand; ein Tabernakel aus der Hitlerzeit, der allein schon das Verfahren aufgrund von Wiederbetätigung gerechtfertigt hätte, das Born nach nur zwei Wochen Amtszeit seinen Ministerposten gekostet hatte. Dabei hatte er nur ein paar jungen Neonazis geholfen, ihre Propagandaschriften zu verbreiten; was seine Ehefrau schlichtweg eine unappetitliche Geschichte nannte … Teufelszeug, murmelte Schäfer.

      Er ging auf den Forensiker zu und fragte ihn, wo Koller sei. Der Mann sah sich verwundert um und zuckte mit den Schultern. Im Bad vielleicht, rief er dann durch die Maske und widmete sich wieder seiner Arbeit.

      Im Bad vielleicht, murrte Schäfer. Was war denn das für ein Forensiker, der mutmaßte, dass ihr Gerichtsmediziner sich im Schaumbad den Leichengestank abwusch und mit der Quietschente turtelte. Schon mal was von Spuren gehört? Dass sich der Täter nach dieser Horroraktion die Hände gewaschen hatte, war doch mehr als wahrscheinlich. Kopfschüttelnd trat Schäfer in den Vorraum, nahm die Maske ab, atmete vorsichtig prüfend durch die Nase ein und rief dann nach Koller.

      „Hier!“, kam es vom hinteren Ende des Flurs. Schäfer folgte der Stimme und stand kurz darauf in der Küche. Der Gerichtsmediziner stand an der Anrichte über einen Laptop gebeugt und tippte mit den Zeigefingern auf der Tastatur herum. Koller und Computer, das hätte Schäfer bis zu diesem Tag auch nicht für möglich gehalten. Wortlos ging er zur Spüle und wusch sich den Schweiß ab, den ihm die Gummimaske aufs Gesicht getrieben hatte.

      „So eine Sauerei“, wandte er sich Koller zu, während er sich mit einem Geschirrtuch abtrocknete.

      „Warte kurz“, wehrte der Gerichtsmediziner ab und tippte konzentriert weiter, was Schäfer mit einem Grinsen beantwortete.

      „Du und Computer“, meinte er hämisch, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser. „Ab jetzt heißt du bei mir mit zweitem Namen Digitalis.“

      „Mein Gott, Schäfer, deine Scherze werden auch immer primitiver“, erwiderte Koller und streckte seinen Rücken durch. „So! Was willst du wissen?“

      Schäfer, der mit Koller nun schon seit über fünfzehn Jahren zusammenarbeitete, legte den Kopf schief und öffnete den Mund zu einem debilen Gesichtsausdruck.

      „Na gut“, meinte der Gerichtsmediziner, „er


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