Der bessere Mensch. Georg Haderer

Der bessere Mensch - Georg Haderer


Скачать книгу
ihm zusätzlich Phosphorsäure überzugießen … das ist auch für den, der sie handhabt, ein ziemliches Risiko …“

      Schäfer sah aus dem Fenster in den Garten, wo einer der Forensiker mit gesenktem Blick langsam über den Rasen schritt wie ein Minensucher.

      „Sieht nicht so aus, als hätte sich Born großartig gewehrt“, meinte er dann. „Ich meine: Wenn mir jemand Säure über den Kopf gießen will, dann bleibe ich nicht sitzen wie an der Waschschüssel beim Friseur … gibt’s irgendwelche Hinweise, dass er gefesselt worden ist?“

      „Nein … vielleicht wurde er bewusstlos geschlagen oder sonst wie betäubt … dafür spricht zumindest, dass seine Muskulatur kaum kontrahiert war …“

      „Das soll jemand kapieren … wenn ich jemanden verschwinden lassen will und dafür so eine Säure nehme, gut, alles schon da gewesen … aber als Tötungsmethode … seltsame Botschaft …“

      „Was für eine Botschaft?“, wollte Koller wissen.

      „Hä?“, fragte Schäfer, der mehr zu sich selbst gesprochen hatte. „Heute laufen deine Nervenleitungen nicht gerade auf Breitband, oder? Einbrechen, ausrauben, erschießen oder erschlagen: eine Sache … hassen, erstechen, erwürgen: auch klar … aber das hier … mehr als seltsam …“

      „Na, darum sind wir alle so froh, dass wir dich haben.“ Koller nahm seinen Laptop und zwängte ihn in eine lederne Aktentasche, die eindeutig aus der vordigitalen Zeit stammte.

      „Gott zum Gruße, Herr Major“, meinte er zum Abschied und verließ die Küche.

      „Der war hier schon länger nicht mehr“, murmelte Schäfer und zog gedankenverloren einige Schubladen auf in der Hoffnung, Zigaretten zu finden. Eigentlich und offiziell hatte er mit dem Rauchen aufgehört; doch in Momenten wie diesem, wo es sich über den persönlichen Genuss hinaus auch um ein Ritual handelte, um die bösen Geister auszuräuchern – gut, solche Momente kamen in seinem Leben so gut wie jeden Tag vor, machte er sich nichts vor und ging ins Freie.

      „Gibt’s schon was?“, fragte er den Forensiker, der jetzt die Alarmvorrichtungen an den Fenstern überprüfte.

      „Keine erkennbaren Schäden … das Haus ist abgesichert wie die Nationalbank … entweder der hat einen Schlüssel gehabt oder Born hat ihn selbst hereingelassen.“

      „Und die Kameras?“

      „Ausgeschaltet … wahrscheinlich auch von Born, weil man einen Code dafür braucht …“

      „So“, erwiderte Schäfer, machte ein paar Schritte in Richtung Garten und schrie: „Bergmann!“

      Der kam kurz darauf um die Ecke, bedachte seinen Chef mit einem hoffnungslosen Blick und steckte sein Notizbuch in die Jacketttasche.

      „Los, fahren wir!“

      An prunkvollen und traurig blickenden Villen vorbei fuhren sie in Richtung Gürtel, bis Schäfer seinen Assistenten plötzlich aufforderte, bei der nächsten Gelegenheit zu parken. Bergmann schaute ihn verwundert an, nahm jedoch ohne Kommentar die erste freie Parklücke.

      „Was ist passiert?“

      „Nichts“, antwortete Schäfer und öffnete die Tür, „haben Sie den Gastgarten da hinten nicht gesehen? Da trinken wir jetzt was.“

      „Wenn Sie meinen …“

      Sie setzten sich unter einen mächtigen Kastanienbaum und warteten schweigend auf die Bedienung. Nach ein paar Minuten stand Schäfer genervt auf und ging ins Gasthaus.

      „Ich habe Ihnen einen gespritzten Apfelsaft bestellt … hoffe, das passt …“, meinte er nach seiner Rückkehr.

      „Mit Leitungswasser?“

      „Ja, auf einen halben Liter.“

      „Danke.“

      Schäfer nahm einen Bierdeckel und fing an, einen Würfel daraus zu formen. Der Kellner kam und stellte die Getränke vor ihnen ab.

      „Was halten Sie davon?“, fragte Schäfer, nachdem jeder einen großen Schluck getrunken hatte.

      „Krank … Phosphorsäure … ziemlich böse … für gewöhnlich will man damit jemanden auslöschen …“

      Eine riesige Wolke schob sich über die Sonne und versetzte den Gastgarten für kurze Zeit in eine seltsame Abendstimmung.

      „Er hat ihn nicht gefesselt …“ Schäfer blickte fasziniert in den Himmel.

      „Und?“

      „Wenn der Täter Born nicht verschwinden lassen wollte … also auslöschen, wie Sie sagten … dann kann es doch nur darum gehen, ihn zu foltern … aber dazu muss man das Opfer wohl fesseln und bei Bewusstsein lassen … stattdessen hat er ihn wahrscheinlich betäubt …“

      „Wer sagt das?“

      „Koller … wegen der Muskelkontraktion oder so was …“

      „Ich kann Ihnen nicht ganz folgen …“

      „Ich mir auch noch nicht“, gab Schäfer zu und zerriss den Bierdeckelwürfel in mehrere Teile, „wir brauchen auf jeden Fall schnelle Ergebnisse … wenn sich Mugabe und der Innenminister an dem Fall festbeißen, wird das Ganze wieder ein sinnloses Politikum …“

      „Tut mir leid … aber zurzeit denken Sie etwas zu schnell für mich …“

      „Born war ein Rechter, ein extremer Rechter, Sie müssen sich mal den Scheiß ansehen, den der in seinem Wohnzimmer hortet … vor zehn Jahren war das Aas in der Regierung, wenn auch nur für zwei Wochen … und wer waren die Koalitionspartner damals? Eben die debilen Gesinnungsbrüder von unserem Innenminister … Sie können sich ja vorstellen, wohin der die Ermittlungen bewegen wird …“

      „Nein.“

      „Bergmann! Was wohl … erst wird er uns gegen die linken Autonomen aufhetzen, dann gegen irgendwelche Altkommunisten … und wenn da nichts dabei rauskommt, ist wahrscheinlich der Mossad dran … das meine ich mit Politikum.“

      „So habe ich das noch gar nicht betrachtet …“

      „Sie haben ja auch die Fußarbeit erledigt … hat Ihnen die Born irgendwas erzählt, das uns weiterbringen könnte?“

      „Nicht wirklich.“ Auch Bergmann fing jetzt an, einen Bierdeckel zu zerlegen. „Sie wird uns die Drohbriefe der letzten Jahre heraussuchen … die hat ihr Mann alle aufgehoben … das hat ihn offensichtlich stolz gemacht, dass ihn so viele gehasst haben …“

      „Irgendein Name?“

      „Nein … so wie ich das einschätze, hat sich Frau Born aus dem politischen Geschäft herausgehalten, so gut es ging … was nicht heißen soll, dass sie es nicht verstanden hat …“

      „Weil es da viel zu verstehen gibt, bei diesen Dumpfbacken …“

      „Ja, nein … was ich sagen wollte: Sie hat ihn wohl nicht wegen seiner politischen Ansichten geliebt …“

      „Born, die Sexmaschine … so habe ich das noch gar nicht gesehen … das könnte doch ein Hinweis …“

      „Mein Gott“, meinte Bergmann verzweifelt, „können wir uns nicht Schritt für Schritt voranarbeiten … diese Sprunghaftigkeit … seit Sie diese Tabletten nehmen …“

      „Ach, Bergmann … lösen Sie sich doch einmal von den Konventionen. Lassen Sie Ihrem Gehirn freien Lauf …“

      „Mein Gehirn muss im Gegensatz zu Ihrem mit seiner natürlichen Menge an Neurotransmittern auskommen …“

      „Ah“, sagte Schäfer anerkennend, „Neurotransmitter … Sie haben sich informiert …“

      „Natürlich“, erwiderte Bergmann gereizt, „wen treffen denn die Nebenwirkungen?“

      „Wollen Sie sagen, dass ich gemein


Скачать книгу