Es gotts(z)t mich an: Zufrieden ohne Gott. Helmut Bittner
angekommen, verlies sie das Haus nicht wieder lebend.
Wir pflegten sie zu Hause. Ihre Mutter pflegte sie am Tage. Nach der Arbeit übernahm ich die Nachtschicht, um morgens wieder in die Praxis zu fahren. Woher ich in diesen 14 Tagen meine Kraft nahm, weiß ich nicht.
Manchmal, wenn ich vor ihrem Bett kniete, wünschte ich mir, es gäbe einen helfenden Gott! Die Erwartungen waren so bescheiden, das ein Augenaufschlag beim Streicheln ihrer Wangen schon Glück bedeutete.
Als ich eines Abends nach Hause kam, sie war schon bewusstlos, hatte sie eine doppelseitige Schwellung im Gesicht, eine entstellende Entzündung der Ohrspeicheldrüsen. Gott gönnte ihr nicht, eine schöne Leiche zu werden.
In der letzten Nacht, sie suchte instinktiv meine körperliche Nähe, lag sie mit ihrem warmen Kopf auf meiner rechten Brust. … Als sie aufhörte zu atmen, war es nachts halb zwei.
Gott konnte sie nicht mehr quälen. Sie war gerade vierzig.
Wen will Gott eigentlich quälen und strafen? Den Betroffenen mit Schmerzen und Krankheit, den Sterbenden? Oder die Hinterbliebenen und Angehörigen, die mit dem Schmerz des Verlustes weiterleben müssen. Gibt es für Gott Kriterien, nach denen er die Leiden verteilt. Steht er auf Seiten der Täter oder der Opfer? Mache ich Gott zu Unrecht für das Leid verantwortlich? Schließlich sagt man ihm ja auch nach, er schenke uns Glück, Gesundheit, Gutes und Schönes auf dieser Welt. Gott ist immer da und beschützt uns, nur leider nie, wenn es nötig ist. Uns täglich helfen und schützen in der Not – das wäre ein Gott des täglichen Bedarfs.
Bei mir hatte er eigentlich immer ausreichend Gelegenheit, Hilfe zu leisten oder Leid zu lindern. Zur Vervollständigung sei hinzugefügt, dass im obigen Zeitraum mein Bruder mit 70 Jahren und meine Mutter im ehrbaren Alter von 93 Jahren verstorben sind.
Wie verhält sich aber Gott zu seinen strenggläubigen, widerspruchslosen, demütigen Vor- und Nachbetern? – Über viele Jahre war ich mit einem protestantischen Pfarrer sehr eng befreundet. Er war homosexuell und wie es sich gehört, sehr streng gläubig. Unsere Freundschaft beinhaltete sehr intensive und ernsthafte Gespräche über den christlichen Glauben. Ich konnte ihn nicht zur Auflockerung seiner fanatischen Einstellung bewegen. Aber er war so christlich, dass er ebenfalls erfolglos versuchte, meine Meinung zu verstehen.
Eines Tages erfuhr ich, dass er an einer Alzheimer-Krankheit leidet. Dieser Pfarrer soll mehrfach geäußert haben: »Aber ich habe IHM doch immer gedient.« Er ist elendig in einem Rollstuhl, später ohne Kommunikation und Kontakt zur Umwelt, dahinvegetiert, bis ihn Gott zu sich nahm. Grüße von mir hat er nicht mehr wahrnehmen können. Seine sehr gläubige Ehefrau erklärte mir am Telefon: Ihr Mann habe die Krankheit von Gott angenommen! – Die Erfahrung lehrt, so qualvoll und erbärmlich kann man auch ohne Glauben an Gott sterben.
Diese Erlebnisse machen nicht gläubig. Es wäre vertrauenerweckend gewesen, Gott hätte sich hilfreich gezeigt. Ich brauchte keinen Gott, der mich tröstet oder mir hilft, solche Last zu tragen. Ich brauchte einen Gott, der mich in wenigstens zwei Fällen hätte zum dankbaren Christen bekehrt. Ich mag keine lügenhaften und mysteriösen Tröstungen mit dem lieben Gott. Es wäre ein Leichtes für Diesen im Himmel gewesen, wenigstens meine Frau und Jaqui mit dem bekannten Spruch: »Stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim«, gesund aus dem Krankenhaus nach Hause zu entlassen! Gott ist nicht unfähig, es gibt ihn nur nicht. Diese Tatsache, dieser Realismus hat mir die Kraft gegeben, die oft an Verzweiflung grenzenden Situationen zu überstehen.
Man möchte sein Umfeld so wenig wie möglich belasten. Mein Trost war meine Arbeit. Ich musste mich konzentrieren und für die Patienten da sein. Was hätten wohl meine Patienten gesagt, wenn ich statt diagnostiziert und therapiert, gebetet hätte? Der Verstand war hell wach. Meinen Kindern, die sich sorgten, habe ich gesagt: »Ihr braucht euch um euren Vater keine Gedanken zu machen, er wird nicht anfangen zu trinken und zu rauchen, und er wird sich auch nicht das Leben nehmen.«
Die Realität und die Feststellung, dass sich solches Leid, und Schlimmeres, täglich auf dieser Erde abspielen, haben mir Kraft gegeben. Bei allem Verstand, ich wollte kein Weichei sein, die Tränen waren oft stärker. Ich hatte mir in diesen Tagen ein Beispiel an denen genommen, die solche Ereignisse bewältigen. Was wissen wir von dem Passanten, der an einem vorbei oder auf der anderen Straßenseite geht, was ihn gerade bewegt: hat er einen Angehörigen verloren, wurde sein Kind missbraucht oder entführt? Kommt er gerade vom Krankenbesuch? Hat er bei seinem Arztbesuch gerade eine vernichtende Diagnose erfahren?
Während ich an diesem Buch schreibe, erreicht mich die Nachricht meiner jüngsten Tochter, 40 Jahre, Diagnose: Brustkrebs. – Es schmerzt sehr! Meine Tränen funktionieren noch. – Welch ein erbärmlicher Gott! Wenn es einen gibt!
Ein zuverlässiger Partner zur Bewältigung von Leid ist die Zeit. Im Nachhinein bin ich ein bisschen stolz, alle widrigen Umstände gemeistert zu haben. – Ich habe dabei nicht eine Sekunde an Gott vergeudet. Es lohnt sich nicht, Christ zu sein!
Es gibt für mich keinen Gott. Für die Gläubigen ist er der Erlöser und Glücksbringer – im Jenseits, im Himmel, nach dem Leben!
Nach vielen Enttäuschungen und berechtigten Zweifeln halte ich es mit dem Sprichwort, »besser ein Teufel, den man kennt, als ein Unbekannter«. Für mich kommt blindes Vertrauen in Gott und den Glauben nicht in Frage.
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