Der Königstein und seine Gefangenen. Gunter Pirntke
Dieses brachte am Ausgang des 16. Jahrhunderts einen Mann zu Fall, der vom Erzieher des Prinzen Christian nach dessen Regierungsantritt erst zum Geheimrat und danach zum kursächsischen Kanzler aufstieg, „weil er sich im höchsten Grade brauchbar erwies und das unbedingte Vertrauen seines Herrn erwarb“. Doch was man damals noch nicht wusste, die Amtszeit des am 25. Juni 1589 zum Kanzler ernannten Dr. Nikolaus Krell sollte nur zwei Jahre dauern. Der bürgerliche Krell hatte sich während dieser Zeit den Hass der sächsischen Junker zugezogen, die es dann meisterlich verstanden, unter dem Mantel der Religion das „bürgerliche Subjekt“ auszuschalten.
Als Christian I. nach dem Tode seines Vaters, des Kurfürsten August, im Februar 1586 den Thron bestieg, war in Sachsen ein Streit über Religionsfragen anhängig. Die Lutheraner, als Inhaber der sächsischen Staatsreligion, gestatteten den Kalvinisten nicht, ihren Glauben öffentlich auszuüben. Der freisinnige Krell, machte sich unter anderem bei der lutherischen Geistlichkeit unbeliebt, weil er die Teufelsbeschwörung als Ausdruck des Aberglaubens verbot. Das führte zu Unruhen im Volk.
Eine Volksbibel mit kryptocalvinistischen Glossen, die sog. Crellbibel, und ein entsprechender Katechismus wurde herausgegeben. Am 4.7.1591 erfolgte die Abschaffung der Exorzismusformeln bei der Taufe.
Der von ihm bewirkte Befehl zur Abschaffung des Exorzismus, welchen der Kurfürst Christian I. bei der Taufe seiner Tochter Dorothea selbst durchsetzte, führte fast zur Rebellion und machte eine Menge Priester unglücklich, da sie – wenn sie den Befehl nicht befolgten – des Landes verwiesen wurden. In Dresden, z.B. drohte ein Fleischer, den Geistlichen den Kopf zu spalten, wenn er sein Kind nicht mit dem Exorzismus taufe.
1593 verschärfte sich die politisch aufgeladene Stimmung. In Leipzig kam es zu einem „Calvinistensturm“, bei dem hitzige lutherisch-strenge Studenten in Häuser der Calvinisten eindrangen, diese plünderten und Unheil stifteten.
Nicht nur wegen des Verbots der Teufelsaustreibung und der Abschaffung des Exorzismus, sondern wegen einiger anderer ähnlicher Eingriffe in das lutherische Kirchenwesen wurde Krell von der hohen evangelischen Geistlichkeit als „heimlicher Kalvinist“ ins Gerede der Leute gebracht. Der Adel nützte diese von ihm selbst künstlich entfachte Stimmung ans, um den Kanzler aus Amt und Würden zu treiben. Die Motive für Dr. Krells Sturz macht ein Bericht deutlich: „Aber auch der Adel war ihm feindlich gesinnt, weil er die Jagdrechte beschränkte, die Adels Vorrechte bei Stellenbesetzungen zu schmälern trachtete und die hohen Staatsämter gern Männern aus dem Bürgerstand übertrug, wenn sie dazu tauglich waren.“
Diese Schmach, die ein bürgerlich kursächsischer Kanzler den Landjunkern antun konnte, war unverzeihlich. Hatte doch der Adel von jeher seine Söhne bei Hofe untergebracht und vom Einfluss dieser dann profitiert. Krell konnte oder wollte aber nicht die Missstimmung beim Adel, der Geistlichkeit und großen Teilen des Volkes zur Kenntnis nehmen und vertraute zu sehr auf seinen Einfluss gegenüber den Kurfürsten. Er wusste, dass er dem Kurfürsten unentbehrlich war, dass die Gnade seines Fürsten ihn gegen alle Angriffe absicherte.
Die Landeskirche sollte fortan Gleiche unter Gleichen sein. Dagegen musste schnellstens etwas geschehen. Der Himmel hatte ein Einsehen. Bereits 1591 starb, nach fünfjähriger Herrschaft, Christian I., angeblich an einer Krankheit, die ihn überraschend auf der Jagd ereilte. Manche sprachen von „Darmgeschwüren“, andere von Säuferwahn. Nun kam die große Stunde des Zusammenspiels von Geistlichkeit und Adel.
Das bis dahin bestehende heimliche wurde nun zu einem offenen Bündnis, das sich über Recht und Gesetz bedenkenlos hinwegsetzte. Der Kurfürst hatte in seinem Testament zwar bestimmt, dass „der Kanzler Dr. Krell an der Spitze der Verwaltung bleiben und Vollstrecker des Testaments sein sollte“, aber noch ehe Christian I. beigesetzt war, wurde Krell am 23. Oktober 1591 auf Forderung eines Ausschusses der sächsischen Ritterschaft gestürzt, verhaftet, zunächst in seinem Haus gefangen gehalten.
Auch Krells Freunde fielen einsetzendem Terror zum Opfer oder flüchteten ins Exil. Universitäten, Kirchen, Rathäuser wurden nach aufklärerischen Schriften durchwühlt. Das Andenken an jene kurze Periode sollte möglichst vollständig getilgt werden.
An jenem Tage, da man den Kurfürsten zu Grabe trug und ihm in der Leichenpredigt seine Trunksucht vorhielt, brachte man seinen Kanzler auf die berüchtigte Festung Königstein.
Der Administrator, Friedrich Wilhelm, veranlasste dies am 18. November desselben Jahres. Dort musste Krell in demselben Gefängnis schmachten, wo vorher der Hofprediger Mirus auf sein Geheiß hin gesessen hat.
Hier aber wurde er nicht seinen Stand gemäß behandelt, wie er in einem „Wahrhaften und kurzen Bericht wie man in meinem Custodia (Gefängnis) zu Königstein mit mir umgegangen (ist)“ selbst erzählt. Die Hauptpunkte der Biografie Krells sind aus vielen Schriften bekannt, so dass wir sie getrost weglassen können. Weniger bekannt ist aber sein Schicksal im Gefängnis, welches hier doch erwähnt werden soll.
Es war nachts um 12.00 Uhr, als Krell unter Kavalleriebedeckung von Dresden abgeführt wurde, wo er gegen 6.00 Uhr ankam. Sein Gefängnis fand er zwar geheizt, jedoch die Kammer, wo er schlafen sollte, in ganz schlechten Zustand. Die Decke war kaputt, so dass man durch das Dach sehen konnte. Als Schlafstelle ein altes Spanbett, voll Steine, Staub und Kot, aber ohne Federbetten. Wenn nicht mitleidige Seelen, der Wachtmeister Abraham Pfeil und die Frau des Schlosshauptmanns, ihm einige Stühle, über die er seinen Pelz warf, so musste er die ersten Nächte auf einer hölzernen Bank schlafen. Erst am vierten Tag bekam er auf vielfache Fürbitte seiner Familie ein besseres Lager.
Anfänglich besuchte ihm der Wachtmeister und Hauptmann Christian Stange täglich. Bald aber war der Erstere (Krell sagt er wisse nicht warum) verhaftet und der Letztere entschuldigte sich immer, dass er zum Besuch keine Zeit habe. Und doch hatte er, wie Krell sagt „Zeit zum Saufen“. Wahrscheinlich fürchtete er, man möchte ihm des Einvernehmens mit dem vornehmen Gefangenen beschuldigen. Krell musste sich nun in allen an den Gefängniswärter wenden, welcher im, da er ein Trunkenbold war, viel Unannehmlichkeiten bereitete.
Einst war dieser Wärter so betrunken, dass er mit dem für Krell zubereiteten Essen die Wendeltreppe hinabstürzte. Ohne sich nun weiter um den hungernden Gefangenen zu kümmern, taumelte er nach Hause und Krell musste hungernd ins Bett gehen.
Krell bekam jährlich immer ein- bis zweimal heftige Anfälle von Podagra (= Gicht G.P.). Er bat also gleich nach seiner Ankunft auf dem Königstein um Arznei aus Dresden, die man ihm verweigerte. Wie der Hauptmann ihm nicht undeutlich zu verstehen gab, befürchtete man, er möchte Gift von seinen Freunden erhalten. Aus demselben Grund wurde auch sein Koffer, in Gegenwart des Wachtmeisters und des Pirnaischen Amtsmanns genau durchsucht. Als Krell fragte, ob man ihn denn, wenn er eine Krankheit bekommen würde, eher verderben als Arznei zu geben, antwortete der Hauptmann naiv genug: Ja.
In der Folge sandte man ihm zwar Arznei, besonders Purgir-Pillen, der Hauptmann schickte sie aber dem Wachtmeister, der erst an seinen Hund die Probe machen sollte, und dieser gab sie mit der Bemerkung zurück: Er wäre selbst der Hund gewesen, der sie gekostet hätte.
Als Krell am Ende des Jahres 1591 wirklich und zwar äußerst heftig die Podagra bekam, musste er aus Mangel an ärztlicher Hilfe, die man ihn, so sehr er auch darum bat, versagte, über 17 Wochen das Bett hüten.
Erschütternd ist es, wenn man ihn, den ehemaligen Minister und Liebling des Kurfürsten in jener Krankheit klagen hörte, dass es in seiner Schlafkammer an sechs Orten regne und schneie – dass sie auf einer Seite fast ganz offen – beständig vom Wind durchgeweht wird, dass Mäuse und anderes Ungeziefer ihn Tag und Nacht plage, dass er außerhalb der Mahlzeiten kein Trunk Bier oder anderes, wenn man auch gleich „sein Leben darauf gestanden“ erlangen könne – dass er sich bis weil sein Bett selbst machen müsse – dass man ihm das Haar nicht verschneiden lassen wolle – das er „vor Unflat stinke, das er Haare habe wie die Zigeuner“ usw.
Zwar erlaubte man den Seinigen, ihn während der Krankheit mit Wäsche und Essen zu versorgen. Allein Erstere durchwühle man ehe er sie erhielt, und selbst das Essen blieb nicht von einer Durchsuchung verschont. Jede gefüllte Taube, jede Wurst wurde aufgeschnitten und sogar die Butter mit Messern „durchgrubelt“, der Wein mit einen Holz umgerührt, alles damit er weder Mittel noch Briefe zum Selbstmord