Der Königstein und seine Gefangenen. Gunter Pirntke

Der Königstein und seine Gefangenen - Gunter Pirntke


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anfänglich gegen die Sonne, um zu sehen, ob nicht vielleicht etwas darauf geschrieben sei und dann letztendlich gab man es ihm nicht einmal. Daneben musste er sich noch beständigen Spott und bittere Bemerkungen über seine calvinistischen Ansichten, sowohl vom Hauptmann, als auch vom Kerkerknecht gefallen lassen. Ersterer gab ihm sogar Bücher gegen calvinische Lehre und schrieb, um ihn zu ärgern, in das

       eine Buch den Vers: „Das buch liest ein Christ mit bedacht, – einem Calvinisten das Herz im Leibe zubrach“

      Überhaupt behandelte ihn der Hauptmann viel härter, als es seinen Instruktionen lautete. Boten, die Krell absendete, hielt er auf und was er nach Dresden geschrieben haben wollte, schrieb er nicht allemal. Er borgte ihm Geld ab und ließ es sich dann von den Gefangenen fast wieder „abbetteln“. Nicht einmal neues Stroh wollte er ihn ins Bett geben lassen – und vor 7 Uhr durfte der Knecht nicht einheizen. Beschwerte sich Krell darüber, so hieß es, er könnte schlafen bis 8 Uhr. Nach Tische heizte man ihn gar nicht ein, wenn er oder sein Mitgefangener – ein gewisser Magister Montag – es nicht selbst tat. Kurz, in Allen war ihm der Hauptmann Gegner, welcher sich, wie Krell schreibt „hoffertig auch sehr hoch übermühtigk“ betrug, „nicht indenk wer er anfengklich als ehr regen hofe kommen gewesen, auch was ich ihm bey Hofe wo ich kundt gutts erzeiget, Gott wirdts aber zu seiner Zeit wohl richten.“

       Abb. 1: Nikolaus Krell, Ölgemälde eines unbekannten Künstlers

      Der regierende Vormund des noch minderjährigen Christian II., Herzog Wilhelm von Sachsen-Altenburg, teilte zwar Krells Beschwerde dem Hofe mit. Dieser aber verhöhnte Krell in seiner Antwort an den Administrator, indem er schrieb, Krell, der „sich wegen des bösen Gefängnisses und des darin zu erleidenden Gestanks beschwere, habe es doch selbst erbaut, gelehrte Leute und Prediger darein gesetzt und zwar zu dem Ende, das göttliche Wort zu vertilgen und zu unterdrücken“, weshalb er nun „Doktor Krell, darinnen vorlieb nehmen kann“.

      Doch wessen sollte man diesen Ketzer beschuldigen? Die in aller Eile von Jenenser Professoren zusammengestoppelte Anklage schmolz schon beim Hinsehen auf vier nicht beweisbare Punkte zusammen. Das Reichsgericht in Speyer verlangte auf Wunsch der gekrönten Häupter Westeuropas: „Verurteilen oder freilassen!“ In ihrer Gewissensnot mussten sich die Bewahrer Luthers an seine päpstlichen Todfeinde in Wien wenden. Auch dort wusste man keine Anklage. Also blieb nur die vollkommen unzuständige Appellationskammer Prag. Sie urteilte: „Hinrichtung durch das Schwert, weil Krell hat den Bestand des Hauses Österreich turbieren wollen.“

      Alle gegen Krell, dem man nun wohl oder übel den Prozess machen musste, erwiesen sich als haltlos und fielen auf die Urheber des Verfahren – Geistlichkeit und Adel – zurück.

      Erstens:

      „Wann denn nun dieser >ehrliche Vogel< seiner Kurfürstlichen Gnaden, wie ihm seiner Pflicht nach wohl gebühret, zur Erhaltung guten Friedens im Heiligen Reich und diesen Landen, zu Nutz und Besserung seines lieben Vaterlandes hatte treulich dienen und rathen und nicht aufs Rohr führen wollen, so hätte er in solcher schweren hochwichtigen Sachen erfahrene Leute und die es mit dem Rath und Vaterlande treulich meinen, in den Rath nehmen müssen. In seinem Kanzellariat-Amte ist kein ehrlicher vom Adel …“

      Hier offenbarte es sich zum ersten Mal. Der Adel monierte, dass keiner Ihresgleichen in Rat und Kanzlei untergebracht war und somit gingen Einfluss und Pfründe dahin.

      In einem Schreiben Krells an seine Verwandten, worin er unter anderen die bekannten Klagen wiederholt, gibt er ihnen Ratschläge sein Gefängnisaufenthalt zu mildern oder ihn gar daraus zu erlösen. Unter anderen beruft er sich auf Peucers Beispiel, der nach langer Haft vom Fürst Joachim Ernst von Anhalt freigelassen wurde und bittet seine Verwandten, den Landgrafen Wilhelm von Hessen und die Fürsten Hans Georg und Christian von Anhalt zu einer Fürbitte zu bewegen.

      Allein diese und andere Wege des Rechts, die er als schlauer Kopf und trefflicher Jurist vorschlug, halfen ihm nichts.

      Zweitens:

      „Damit auch sein unkristlich Vorhaben möchte seinen Fortgang gewinnen, so hat er den Kurfürsten zu einem Testament überredet, welches wohl gut gewesen, wenn es bei Zeiten geschehen und auch mit Gedächtnis und Wohlfahrt der Landschaft. Aber weil er es selbst geschmiedet, hat er seiner nicht vergessen, sondern sich selbst zum Legator eingesetzt und durch seine böse, falsche Politik zum Verderb seines Vaterlandes zum Regiment-Adjuncten sich selbst angegeben. Er hat viele ehrliche Herren vom Adel angegriffen.“

      Und der nächste Fakt. Christian I. hatte sich mit der Berufung des aus bürgerlichen Kreisen stammenden Dr. Krell zum Kanzler über die Interessen des Feudaladels hinweggesetzt, an dessen Spitze er stand und den er repräsentierte. Und hinzukam, dass Christian I. in seinem Testament seinen Kindern Dr. Krell aufs wärmste empfohlen hat:

      »Diesen sollt Ihr für Euren Vater an meiner Statt achten; dem sollt Ihr folgen. Wie ich ihn bei meinem Leben treu befunden, also, hoff ich, wird er auch Euch treu sein und Euer sowohl als der ganzen Landschaft Wohlfahrt fördern.«

      Deshalb musste Dr. Krell weg. Kein Mittel dazu war zu schlecht. Die ergrimmten Herren vom Adel fochten das Testament an, nahmen die Sache aber gleich in die eigene Hand und ließen Dr. Krell auf dem Königstein verschwinden.

      Aber da war die Tatsache: Nichts Verdächtiges oder Krell Belastendes wurde unter den in seiner Wohnung und in seiner Kanzlei beschlagnahmten Papieren gefunden. Trotzdem blieb Krell in Haft.

      Und auch die Kurfürsten-Witwe wurde in das Ränkespiel des Adels eingebunden. Vergeblich wandte sich die Frau des auf dem Königstein inhaftierten Kanzlers an sie. Schließlich beschwerte sich Dr. Krells Frau bei dem Reichskammergericht in Speyer „wegen verweigerter und verzögerter Justiz“. Dasselbe erließ, wie bereits erwähnt, ein sogenanntes mandatum poenale sine clausula, in dem „geboten wurde, den Dr. Krell unverzüglich vor Gericht zu stellen oder ihn auf freien Fuß zu setzen“. Doch das kümmerte am Dresdner Hof niemanden.

       Abb. 2: Festung Königstein mit Johan-Georgen Burg und heute nicht mehr vorhandenem Krellturm Kupferstich von Martin Engelbrecht (1684 – 1756)

      Erst am 21. Januar 1595, nach mehr als dreijähriger Haft, erhielt der Gefangene auf dem Königstein eine schriftliche Anklage. Am 26. Januar 1595 erfolgte das erste Verhör. Hiernach diktierte Dr. Krell zwei Tage lang dem Notar seine Entgegnung auf die Anklage, in der er das hinterlistige Verfahren als gesetzwidrig bezeichnete, denn: „Die ganze Klage beruht nur auf Verdacht, weshalb er vor allem freizulassen, ihm aber doch jedenfalls die Berathung mit den Seinen und mit Rechtsgelehrten nicht abzuschneiden sei.“

      Aber Krell kommt nicht frei. Auch nicht, als ein Gutachten der Juristenfakultät in Tübingen ein Jahr später, am 21. Mai 1596, warnt, „wenn Krell die Sache an das Kaiserliche Kammergericht gebe, dies sowohl einer löblichen Landschaft zu merklichen Nachteil und Verkleinerung, consequenter auch Seiner Fürstlichen Gnaden halben zu etwas Schimpf gereichen möchte“.

      So vergehen die Jahre. Nach zehnjährigen Prozess erfolgte endlich sein Todesurteil, welches man von der Appellationskammer in Prag – es wurde darauf bereits verwiesen – eingeholt hatte, weil man fürchtete, er würde jeden inländischen Richterspruch als parteilich verwerfen.

      Das Prager Hofgericht, dem die Untersuchungsakten übergeben werden, fällt das Urteil in Krells Abwesenheit, ohne Zeugen zu hören und ihm gegenüberzustellen, nur auf Grund der schriftlich vorliegenden Zeugenaussagen, die fast ausschließlich von Adel und Geistlichkeit stammten oder auf Hörensagen und Gerüchten beruhen! Aus dann insgesamt 90 sogenannten Zeugenaussagen zieht das Prager Hofgericht am 8. September 1601, zehn Jahre nach der Verhaftung Krells, den Schluss: „Dr. Krell hat die Relegion ändern und den Calvinismus (in Sachsen) einführen wollen. Er hat die Einigkeit des Reiches und der Stände turbiren wollen und also sich gelüsten lassen, das crimen Laesae Majestatis


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