Nibelungenweg. Rainer Schöffl

Nibelungenweg - Rainer Schöffl


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der Kustodin im Haus 1328 ab und »eines der bedeutendsten Denkmäler römischer Zeit in Europa nördlich der Alpen«, so Rudolf Pörtner in seinem Buch Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit, versinkt hinter mir wieder in seinen Dornröschenschlaf an der Aachener Straße.

      So endet ein fauler Tag mit nur 15 Kilometer Fußmarsch, drei Eroten und einem Grillabend in Köln-Weiden.

      Den Weg von Köln nach Bingen zu finden, ist eigentlich ganz einfach: immer am Rhein entlang. Ich könnte aber auch in die entgegengesetzte Richtung nach Leverkusen gehen und dabei meine Reise gleichzeitig erheblich abkürzen. Dazu müsste ich mir nur die Theorie von Heinz Ritter-Schaumburg zu eigen machen. Dieser Publizist siedelt die Nibelungen nicht in Worms, sondern westlich von Bonn nahe Zülpich an und lässt sie dann über Leverkusen und Altenberg im Bergischen Land bis nach Soest ziehen, wo sie schließlich ihr Ende finden. Bis dorthin wäre das nur noch eine Woche Fußwanderung. Ritter-Schaumburg beruft sich bei seinen Überlegungen auf die Thidrekssaga, die er für einen Tatsachenbericht hält. Auf dieser Basis konstruiert er eine lückenlose Indizienkette und liefert auch eine Begründung dafür, warum Siegfried tatsächlich die Sprache der Vögel verstanden haben kann. Ich brauche mich allerdings mit der Theorie von Ritter-Schaumburg nicht auseinanderzusetzen, da ich ja auf der Basis des Nibelungenlieds wandern will. Also muss ich zunächst weiter nach Bad Godesberg. Dorthin lasse ich mich von Köln-Weiden aus von meiner Tochter mit dem Auto bringen, bevor ich meine Fußwanderung wieder aufnehme. Wie schon bei der Strecke Xanten – Köln wähle ich nicht die Rheinuferstrecke, sondern Wege auf den Höhenzügen westlich des Rheins. Etwa dort, wo früher auch die Fernstraßen bzw. Handelswege liefen. Es ist dabei für mich sehr hilfreich, dass es zwischen Bonn und Mainz den markierten linksrheinischen Höhenweg gibt. Ich hatte mir hierüber bei der Vorbereitung der Tour einen Wanderführer gekauft, dem ich folgen will. Das Navi erweist sich aber bald schon als gute Hilfe, denn der linksrheinische Höhenweg ist teilweise äußerst dürftig markiert. Da ist es von Vorteil, dass mich auf der ersten Tagesstrecke ab Bad Godesberg meine Tochter und ihr Ehemann begleiten, denn sechs Augen sehen mehr als zwei. Trotzdem müssen wir öfters den Weg suchen oder nach ihm fragen.

      Wir parken das Auto am Bahnhof von Bad Godesberg und gehen von dort auf zunehmend steilen Straßen hinauf auf den Höhenzug oberhalb des Rheins, wo wir nach einigem Suchen endlich den Rheinhöhenweg finden. Dieser erste Anstieg lässt mich erahnen, was in den nächsten Tagen auf mich zukommen wird. Auf schönen Waldwegen kommen wir zum Heinrichsblick, von wo aus wir einen wunderbaren Blick über den Rhein auf den Drachenfels und das Siebengebirge haben. Für zum Tode Verurteilte war dies früher einmal der letzte Blick auf Erden, denn es handelt sich hier um eine historische Richtstätte.

      Bald darauf erreichen wir den beliebten Aussichtspunkt »Rolandbogen«, den Rest einer Burgruine aus dem 12. Jahrhundert. Diese Ruine ist auf allen Bildern als efeuumrankter, malerischer Bogen zu sehen, jetzt aber ist es nur nacktes Mauerwerk. Der Rolandbogen war nämlich einsturzgefährdet, und bei der Sanierung vor einem Jahr musste der Bewuchs entfernt werden. Es wäre nicht der erste Einsturz gewesen, denn der Rolandbogen ist schon einmal in sich zusammengefallen, nämlich 1839. Beim Wiederaufbau hat man dann das Bauwerk so gedreht, dass man nicht mehr auf die Insel Nonnenwerth sondern auf den Drachenfels schaut. Das ist eigentlich schade, denn um Rolandbogen und Nonnenwerth dreht sich eine romantische Sage, in der sich schließlich der Ritter Roland im Fensterbogen erhängt. Ein überaus starkes Finale.

      Wir machen auf der Terrasse Mittagspause, die durch starken Wind etwas getrübt wird. Für den Wind kann das Personal nichts, für den miserablen Service ist es allerdings voll verantwortlich.

      Nach etlichen Auf- und Abstiegen auf waldreichen Wegen gehen wir schließlich zwischen ehemaligen Weinbergen einen steilen Fußpfad hinunter nach Oberwinter. Dort stellt sich heraus, dass es hier im Ort kein freies Hotelzimmer gibt. Man empfiehlt mir ein Hotel zwei Kilometer weiter in Richtung Remagen. Ich verabschiede mich von meinen zwei Begleitern und gehe allein weiter zum Hotel in Unkelbach. Unterwegs komme ich an einem knallroten Haus mit B&B, ungarischem (!) Essen und Live-Musik vorbei. Das wäre eigentlich die richtige Absteige für mich als Vorbereitung auf Ungarn gewesen! Aber das gewählte Hotel ist auch nicht schlecht: Es wurde nämlich vollkommen renoviert, und ich bin der erste Gast in einem völlig neuen Zimmer.

      Der Ausblick auf Unkel in der Abendsonne ist schließlich der ideale Abschluss eines Tages, an dem ich zwanzig Kilometer gegangen bin mit insgesamt achthundert Höhenmetern Anstieg.

      Ab heute bin ich wieder allein auf der Jagd nach dem schwarzen »R« auf weißem Grund – der Markierung des linksrheinischen Höhenweges.

      Da ich nun den Weg ohne Hilfe finden muss, programmiere ich mein Navi mit mehreren Wegpunkten entlang des linksrheinischen Höhenwegs, und tatsächlich führt mich das Gerät fast ausschließlich auf diesem Wanderweg. Offenbar ist er irgendwo auf der digitalen Karte hinterlegt. Nach einem mehr oder weniger steilen Anstieg auf Straßen wandere ich durch schöne, einsame Wälder. Ein Ort, wo ich mich so richtig wohlfühle. Das mag an meiner Kindheit liegen, in der unser Spielplatz die dunklen Wälder Oberfrankens waren. Wald flößt mir keinerlei Angst ein, auch nicht bei Dunkelheit. Mich begleitet Vogelgezwitscher, das jetzt in den Morgenstunden besonders intensiv ist. Es raschelt hin und wieder im Gestrüpp, und in der Nähe schreckt ein Rehbock, was einem Hundegebell entfernt ähnlich klingt. Der Wald bleibt auch grün, als die Buchen zunehmend von Fichten abgelöst werden, denn deren Stämme sind fast ausschließlich mit Efeu umrankt. Ob dies ein gutes oder schlechtes Zeichen für den Zustand des Waldes ist, weiß ich nicht. Es sieht jedenfalls schön aus.

      In einem Talgrund komme ich am Schloss Calmuth vorbei, das weniger wie ein Schloss als vielmehr wie ein großes Jagdhaus aussieht. Es wird derzeit renoviert, und der Bautafel entnehme ich, dass es einem bekannten Unternehmer der Solarbranche gehört. Ich gönne ihm dieses Schlösschen, denn schließlich steckt er viel Geld in seine Erhaltung.

      Nicht weit danach treffe ich eine Wanderin mit Hund, die den Eindruck erweckt, als suche sie den rechten Weg. Ich vermute richtig: Die Frau sucht das berühmte schwarze »R« auf weißem Grund. Schnell stellt sich heraus, dass es eine Holländerin ist, die zusammen mit ihrem Hund auf dem Weg von Amsterdam nach Rom ist. Keine Pilgerin, sondern eine Weitwanderin. Der Hund hat zwei Packtaschen umhängen, in denen er sein eigenes Futter tragen muss – bei vollen Taschen immerhin fünf Kilogramm. Und dabei handelt es sich um einen eher schwächlich aussehenden Jagdhund, nämlich einen recht seltenen ungarischen Drahthaar-Vizsla.

      Während wir uns unterhalten, entdecke ich hinter dem Rücken der Holländerin die Markierung, versteckt im dichten Gestrüpp. Wir gehen los, und kurz darauf finden wir ein »R« nach dem anderen. Es ist wie beim Pilze suchen: Hat man endlich den ersten Pilz gefunden, dann findet man bald weitere und zwar auch dort, wo vorher keine zu sehen waren.

      Die Frau benutzt für ihren Weg durch Deutschland den Europäischen Fernwanderweg E8, der in diesem Bereich mit dem Rheinhöhenweg identisch ist. Sie hat wegen mangelnder Deutschkenntnisse Probleme, den deutschen Wanderwegführer zu verstehen und fragt mich, was der Unterschied zwischen Weg, Wanderweg, Pfad, Fußpfad und Steig sei – alles Ausdrücke aus ihrem Büchlein. Ihr erkläre ihr kurz und bündig: »Everything is a trail«. Wir haben uns nämlich darauf geeinigt, miteinander Englisch zu sprechen.

      Der Hund scheint froh zu sein, endlich einmal eine weitere Begleitperson zu sehen und versucht mit mir zu spielen. Es sieht ausgesprochen lustig und unbeholfen aus, wie er vor mir, mit seinen Packtaschen behängt, hin und her springt. Sein Frauchen sagt, dass sie ihm schon oft erklärt habe, seine Kräfte zu sparen, weil der Weg nach Rom noch weit sei. Er scheint es aber nicht zu verstehen.

      Oberhalb der Kirche St. Apollinaris machen wir Rast auf einer Bank mit schönem Blick auf Remagen. Als wir wieder aufbrechen wollen, ist der Hund plötzlich von völliger Taubheit befallen. Er schaut konzentriert in eine andere Richtung und reagiert überhaupt nicht. Offenbar versucht er auf diese Weise die Pause zu verlängern. Schließlich zieht ihn die Holländerin hoch und schon kehrt sein Gehör wieder zurück.

      Nach der Apollinariskirche geht es wieder bergan und bergab nach Bad Bodendorf, einem menschenleeren, netten Fachwerkdorf, aus irgendeinem


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