Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
diesen heiteren Elaboraten des Krieges schwirrten Zitate überall umher, im Sprachschatz der Menschen heimisch geworden.
Man war bei allergrößtem Humor und wusste kaum, wo man ihn lassen sollte.
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Zwanzigstes Kapitel
In der Festlichkeit dieses Frühjahrs und Frühsommers geschah alles Wiederbegegnen auf neue Art. So das im Stall mit einem feurigen Rotschimmel, den mein Vater bei Beginn des Krieges hatte hergeben müssen. Er war aus dem Todesritt der Brigade Bredow, Ulanen1 und Kürassiere, bei Vionville/Mars-la-Tour lebend hervorgegangen und wieder in unsern Stall gelangt. Er war für mich nun kein bloßes Pferd, sondern höchstens das eines Gottes oder eines Sankt Georgs, von heldischem Heroismus umwittert. Und besonders die Bilder im Großen Saal gewannen durch die allgemeine Festlichkeit an Festlichkeit. »Er blickt hinauf in Himmelsaun, wo Heldenväter niederschaun.« Die liebliche Raffaelische Madonna Sixtina gehörte ja dorthin. Und in dem anderen Bilde, der großen Kreuzabnahme von Rembrandt van Rijn, stellte sich mir irgendetwas von göttlich-menschlichem Opfertode des Krieges dar, dem ich minutenlang nachhängen konnte.
Eines Tages war dann die Kurkapelle aufgezogen und weckte mich zum ersten Male wieder um sieben Uhr früh mit ihrem Choral. Der Krause-Omnibus holte Menschen von der Bahnstation und schüttete sie im Hofe der Krone aus. Andere, nämlich die reicheren Leute, benützten Droschken und Lohnwagen. Nicht so sehr die von Osten kommenden als die von Nordosten, Norden, Nordwesten und Westen her eintreffenden Gäste waren erfüllt von dem neuen Geist, womöglich stärker erfüllt als wir.
Meine Mutter war und blieb Dachrödenshof. Nicht, dass sie irgendwie meinen oder irgendeinen Enthusiasmus gestört hätte, sie sah und hörte nur lächelnd zu. Sie stand noch immer, wenig berührt, in der alten Zeit und sah in der neuen etwas, das einen gesicherten, stillen Verlauf des Lebens durch einen dramatischen ersetzte, dessen Ende nicht abzusehen war.
Die Vorgänge um die Testamentseröffnung hatten mich unter anderem gelehrt, wie wichtig es war, dass der Gasthof gut besucht wurde. Seltsam und nicht ganz menschenwürdig erschien es mir schon als Kind, wenn überall vor den Speisehäusern mit lautem Glockengeschell sozusagen zur Fütterung gerufen wurde. Eine solche Glocke führte die Krone nicht. Die Sorge aber, die ich jetzt für den Bestand der geliebten Krone hatte, bewog mich, auf der Lauer, die Gäste zu zählen, die trotz des fehlenden Rufes eintraten.
Es schienen mir immer zu wenig zu sein: kleine Gruppen und Grüppchen, die vom Kronenberg über die Freitreppe der Terrasse an den Arrangements südlicher Pflanzen vorüber in den Großen und Kleinen Saal einbogen. Wehe, wer hier vorüberging und den Berg weiterstieg, um im Elisenhof einzukehren!
Meine Mutter konnte nicht um Geld bitten, was überhaupt immer eine peinliche Sache ist. Sie erzog sich lieber zu einer fast sträflichen Anspruchslosigkeit. Nach der Erbschaft jedoch wurde ihr von meinem Vater der Erlös aus dem Verkauf des ausgekochten Suppenfleisches zugebilligt. In Würfel geschnitten, wurde es von meiner Mutter an arme Leute für ein Geringes weggegeben.
Das solchermaßen verdiente Taschengeld meiner Mutter eröffnete ihr und mir wieder und wieder das Kurtheater. Ob sie im Todesjahr ihres Vaters hineingegangen ist, weiß ich nicht, ich möchte es aber für möglich halten, da sie Äußerlichkeiten, also zur Schau getragener Trauer, abhold war, und außerdem trieb sie, wenn sie ins Theater ging, einen ihrer Mutter geltenden Erinnerungskult: sie war eine geborene Stentzel, diese Mutter, in Breslau gebürtig und von Kind an auferzogen im Hause eines Fräuleins von Stutterheim. Vieles wurde von ihr erzählt und ihrer Theaterleidenschaft, besonders in einer Zeit, wo das Theater in Breslau florierte und alle Welt aus der Provinz tagelange Wagenfahrten nicht scheute, um einer Vorstellung beizuwohnen.
Meine Großmutter Straehler muss eine freie, lebenslustige und keineswegs frömmelnde Persönlichkeit gewesen sein. Ein kluger, weltlicher, reger Geist mag bei ihr überwogen haben.
»Die schöne Galathea«, im Sperrsitz neben meiner Mutter genossen, machte einen großen Eindruck auf mich: ein fantastisches Bildwerk, ein Weib, in das sich sein Meister verliebt, das lebendig wird und das er verzweifelt wieder zerschlägt, weil es ihn durch Untreue unglücklich macht. Vielleicht geht meine spätere Liebe zur Plastik in etwas auf dieses Werk von Suppé zurück.
Ein anderes Stück, das ich sah, hieß »Der alte Dessauer«, »Der Landwehrmann und die Pikarde« ein drittes, wo die gemütliche Art jener Zeit, welche die Kampfhandlung wesentlich auf den Soldaten beschränkte, anschaulich wurde. Auch an »Die Geier-Wally«, die unter dem Namen der Birch-Pfeiffer lief, erinnere ich mich; wenn sie, angeseilt und den Abgrund hinuntergelassen, dem Lämmergeier das geraubte Kind aus dem Neste nimmt, so war dies wohl heldenhaft und aufregend.
Ein Fragment vom Faust, zum Benefiz des Direktors Stegemann, der den Mephisto spielte, ist mir ebenfalls durch das Taschengeld der Mutter, stammend aus in Würfel geschnittenem Suppenfleisch, eröffnet worden. Welche Ursache, welche Wirkung!
*
Täglich nahm der Direktor Stegemann im Hotel zur Krone, also im ersten des Orts, meistens am Tisch meines Vaters, den Frühschoppen, der in je einer halben Flasche Bordeaux vor der anderen oder nach ihr bestand. Dieser schlanke Bonvivant, der ein halbes Jahrhundert und mehr auf dem Kerbholz hatte, sah ohne Maske bereits wie Mephisto aus. Er wusste genau, wenn Kaviar oder Hummer hereingekommen war, und es lag dann für ihn nicht fern, von diesen Delikatessen zu einer Flasche Champagner – es gab damals keinen deutschen Sekt – fortzuschreiten. Wenn er bei meinem Vater saß und sich Doktor Straehler aus dem Kometen dazugesellte, war es ein Kleeblatt, auf das ich nicht ohne Stolz und Neid hinblickte.
Irgendwann einmal mochte die Sitzung des Trios so gut gelaunt sein, dass mich mein Vater rief und an die Frau Direktor abordnete. Sie wohnte ein wenig entfernt im Niederdorf, und Mephisto selbst beschrieb mir genau den Weg; dabei hatte er mit einer bestrickenden Väterlichkeit die Hand auf meinen Scheitel gelegt und dankte mir freundlich im Voraus, wie ein Gentleman dem anderen, für meine Bemühung. Er käme, sollte ich melden, durch etwas Wichtiges aufgehalten, später als sonst nach Haus, man möge nicht mit dem Essen auf ihn warten.
Als ich die besten Häuser im beginnenden Niederdorf